Das Nadelöhr

In den Regionen kommt der Ausbau der Stromnetze nicht schnell genug voran. Dabei hatte Klimaminister Robert Habeck  Beschleunigungsgesetze versprochen. Bei den großen Netzbetreibern sind dagegen optimistischere Töne zu hören.  

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Dr. Klaus Heimann Redaktion

Egal ob in Ostdeutschland oder in Bayern: Die Stromnetze bleiben das Nadelöhr der Energiewende. Zwar gibt es seit 2022 ein verschlanktes Genehmigungsverfahren für neue und bestätigte überregionale Projekte. In den Regionen vor Ort tobt aber der „Häuserkampf“ weiter. Uwe Brandl, Bürgermeister von Abendsberg und Präsident des Bayerischen Gemeindetags, forderte nach einem Treffen mit Experten aus der Energiewirtschaft, der Netzausbau müsse mit dem Zubau an Erneuerbaren-Anlagen in den Regionen unbedingt Schritt halten. Brandl fasst die Lage exakt zusammen: „Der Verteilnetzausbau ist das Nadelöhr der Energiewende.“ 

Weil der Ausbau stockt, gibt es Abregelmaßnahmen – das ist der erzwungene Stillstand etwa von Windrädern, weil das Verteilnetz den erneuerbaren Strom nicht aufnehmen kann. Im N-ERGIE-Netz in der Region Nürnberg hat sich die Zahl der Zwangstopps von 2020 auf 2021 fast vervierfacht. Im ersten Quartal 2023 sei bereits mehr abgeregelt worden als im gesamten vergangenen Jahr, berichtet der Gemeindetag.

Nicht viel anders ergeht es MITNETZ STROM, dem größten regionalen Verteilnetzbetreiber in den neuen Bundesländern. Der Stromanbieter mit Sitz in Kabelsketal in der Nähe von Halle musste im Jahr 2013 ganze 159 Mal die Stromzufuhr sperren, zehn Jahre später sind es über 300 – fast doppelt so viele, so Pressesprecher Hagen Ruhmer.

 

GROßER BEDARF AN NEUEN NETZEN

Die großen vier Netzbetreiber in Deutschland 50Hertz Transmission, Amprion, TransnetBW und TenneT TSO bestätigen unisono: Das Netz ist voll, deshalb ist der geplante Aus- und Umbau dringend notwendig. In den dena-Verteilnetzstudien wird ein riesiger Bedarf ausgewiesen: zwischen 160.000 bis 214.000 Kilometern. 

Das Projekt SuedLink, eine rund 700 Kilometer lange unterirdische Stromautobahn von Brunsbüttel nach Leingarten im Landkreis Heilbronn, ist eine der umstrittensten überregionalen Trassen. Der SuedLink soll den Strom aus dem windstarken Norden in den industriestarken Süden bringen, so die Betreiber TransnetBW und TenneT. Nach zehn Jahren Planungs- und Genehmigungsphase geht es jetzt voran. Bislang sind aber gerade einmal 17 Kilometer der Trasse genehmigt. Ende 2028 soll die Stromtrasse fertig sein, so der Plan.

Tim Meyerjürgens, Geschäftsführer TenneT in Bayreuth, spürt bei den überregionalen Projekten deutlich wachsenden Zuspruch für den Netzausbau und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. „Die Bundes- und Landesregierungen haben bereits die richtigen gesetzlichen und personellen Weichen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren gestellt.“

 

START FÜR STROMAUTOBAHNEN 
SUEDLINK UND SUEDOSTLINK

Ähnlich optimistisch ist Hans-Jürgen Brick, CEO von Amprion in Dortmund, wenn er auf der Firmen-Internetseite feststellt: „Wenn alle Beteiligten – Politik, Hersteller und Netzbetreiber – die Beschleunigungspotenziale ausschöpfen, kann der Netzausbau eine ganz neue Geschwindigkeit aufnehmen.“ Der Amprion-Chef kämpft für eine 340 Kilometer lange Gleichstromverbindung zwischen den Standorten Osterath in NRW und Philippsburg in Baden-Württemberg. Nach neun Jahren bekam Amprion die Genehmigung für den Bau erster Streckenabschnitte. Über die Schwierigkeiten, die die 885 regionalen Verteilnetzbetreiber in helle Aufregung versetzen, verlieren „die vier Großen“ wenige Worte. 

Tim Meyerjürgens von TenneT erläutert, dass aktuell 40 Projekte mit einer Gesamtlänge von über 3.000 Kilometern im Bau oder im Genehmigungsverfahren sind. So soll zusätzlich zum Gleichstromprojekt SuedLink der SuedOstLink „noch in diesem Jahr mit dem Bau starten“. 

Im letzten Monitoringbericht zum Netzausbau der Bundesnetzagentur heißt es, dass 119 Vorhaben mit einer Gesamtlänge von 14.019 Kilometern jetzt anstehen. 25 sind fertig, 14 weitere sind auf allen Abschnitten abgesegnet. In der Genehmigungsphase befanden sich immer noch 55 Projekte. Für 25 Vorhaben stehen aber die Anträge noch aus. Es geht offenbar voran, wenn auch nicht unbedingt im neuen „Deutschland-Tempo“ von Bundeskanzler Olaf Scholz.

 

ENERGIEWENDE IST DEZENTRAL UND WETTERABHÄNGIG

Früher kam der Strom aus zentralen Kraftwerken, verbrauchsnah und konstant. Das ist bei der Energie aus Wind und Sonne anders: Sie ist dezentral und wetterabhängig. Der Netzbetrieb ist deshalb komplizierter, Energiewende bedeutet daher einen kompletten Umbau der Netze. Die vier großen Netzbetreiber investierten allein im Jahr 2022 rund 4,2 Milliarden Euro für den Aus- und Umbau, um Netzengpässe möglichst gering zu halten. 

Die zusätzlichen hohen Investitionen wollen oder können die Unternehmen allein nicht mehr stemmen. Sie rütteln deshalb an der Höhe des Netzentgelts. Das Vergleichsportal Verivox hat errechnet, dass das Entgelt jährlich bei 350 Euro für einen Haushalt mit einem Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden liegt. Die Bundesnetzagentur, die die Obergrenzen für die Netzentgelte festlegt, will den Unternehmen entgegenkommen und ihnen zumindest eine höhere Eigenkapitalverzinsung zugestehen, wie Präsident Klaus Müller versichert. 

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