Effiziente Lieferketten

Der Druck auf die Händler steigt: Im E-Commerce sind Innovationen und automatisierte Prozesse gefragt.

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Axel Novak Redaktion

Der E-Commerce leidet derzeit an den ökonomischen Unsicherheiten: Rezession oder nicht – der Wettbewerb verschärft sich, der Innovationsdruck in der Branche steigt. Produzenten, Händler, Shops und Logistiker müssen effizienter werden. Ein Weg dahin ist mehr Automatisierung. Technische Lösungen steigern die Lagerleistung. Weil die E-Commerce-Logistik weiter expandiert und die Automatisierung hilft, Kapazitäten zu erhöhen und Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, wird effizientes und innovatives Fulfillment immer wichtiger. Auch das industrielle Internet der Dinge mit Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen sorgt für produktivere Betriebsabläufe und einen effizienten Service.
Die eigentliche Grundlage für Automatisierung und Effizienz ist eine mehr oder weniger umfassende Digitalisierung im Handel. Die meisten europäischen Einzelhändler haben sie daher längst strategisch in ihr Marketing integriert. Fast alle sind bereits auf mindestens einem Online-Marktplatz vertreten, meist bei Amazon, eBay oder Etsy, so eine Studie des Automatisierungsspezialisten Jitterbit. Allerdings sind diese Auftritte noch längst nicht vollständig digitalisiert. 83 Prozent Einzelhandelsunternehmen gaben nämlich an, dass in ihren Marktplatz-Auftritten noch immer mehr als zehn manuelle Datenprozesse, bei über der Hälfte der Unternehmen sogar mehr als 20 händische Prozesse vorhanden sind. „Die Integration, insbesondere die Hyperautomatisierung durch Eliminierung aller manuellen Prozesse, wird zweifellos eine entscheidende Rolle spielen, um die derzeitigen Herausforderungen im Einzelhandel zu meistern und wettbewerbsfähig zu bleiben“, schlussfolgert Joost De Bot von Jitterbit.

 Automatisierte Lagerhäuser
 
Die Digitalisierung setzt sich betriebsseitig durch Automatisierung von E-Commerce-Lagern fort. Doch um die steht es noch nicht so gut. Nach einer Umfrage des Robotik- und Automatisierungunternehmens Addverb Technologies berichten 42 Prozent der in Deutschland befragten Unternehmen von einer sehr geringen Automatisierung im Lagerbereich. 26 Prozent der Unternehmen wollen aber zumindest innerhalb der nächsten drei Jahre in die Lagerautomatisierung investieren.

Zentrales Element dabei ist die Lagerverwaltungssoftware für die Abläufe im Warehouse. Ein passendes Warehouse-Management-System sorgt für eine Rückverfolgung des Lagerbestands in Echtzeit, organisiert eine fehlerfreie Kommissionierung und koordiniert die Abwicklung mit Transportunternehmen für pünktliche Lieferungen. Es kann gleichzeitig auf eine schwankende Anzahl von Aufträgen reagieren und 24-Stunden-Lieferungen ermöglichen. Mittlerweile arbeitet kaum jemand ohne solch eine Software – die allerdings auch schon oft in die Jahre gekommen ist. Doch bei der Automatisierung von Kommissionierung und Verpackung liegen noch Chancen brach. Die Kommissionierung – also die Zusammenstellung von Sendungen – nimmt im Warehouse etwa zwei Drittel der Betriebszeit und mehr als die Hälfte der Betriebskosten in Anspruch.

In automatisierten Lagerhäusern dagegen bewegen sich die Produkte über automatisierte Förderer, mit Kränen und automatischen Regalbediengeräten, die von ausgefeilten Steuerungen koordiniert werden. Solche effizienten Systeme werden oft in Kühllagern betrieben, in denen Menschen nur eingeschränkt tätig werden können. In anderen Lagern sind fahrerlose Transportsysteme im Einsatz: Sie bewegen Waren, entnehmen oder platzieren sie in den Regalen und stellen die Aufträge zusammen. Andere Logistiker wiederum setzen auf Roboter. Die haben den Vorteil, dass sie sich an Veränderungen einfach anpassen können. Dazu gehört, Hindernisse zu umfahren und sich anhand von Informationen, die sie in Echtzeit aus der Umgebung erhalten, für die beste Route zu entscheiden. Dank Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen treffen sie selbstständig Entscheidungen. Goods-to-Person (Ware zum Mann) heißt dieses Prinzip für die Kommissionierung: Die Mitarbeiter im Lager bleiben an den Kommissionier-Stationen und warten darauf, dass Roboter die Waren selbstständig anliefern.
 
Lieferbarkeit schlägt Preis
 
Für die Händler bietet sich der Vorteil agilerer Prozesse und von mehr Flexibilität im Wettbewerb Bis vor Kurzem zählte vor allem der günstigste Preis bei einer Bestellung. Heute geht es um die Lieferbarkeit eines Artikels. Für die Softwarehersteller wiederum zeichnet sich schon jetzt ein großes Geschäft ab: Die Berater von ABI Research sagen für die Lagerautomatisierung eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 23 Prozent voraus. 2030 könnte der weltweite Umsatz für solche Software bei mehr als 51 Mrd. US-Dollar liegen.
Allerdings wollen solche hohen Investitionen angesichts der ökonomischen Ungewissheiten gut überlegt sein. Große Logistikdienstleister planen oft ganz neu und stampfen quasi auf der grünen Wiese eine State-of-the-Art-Anlage aus dem Boden. Viele andere Händler und Logistiker sind darauf angewiesen, bestehende Anlagen zu automatisieren. Bei solch einer Bromfield-Lösung – auf „braunem“, also bereits bebautem Feld – bleiben Teile der Lageranlagen bestehen, während lediglich die Materialflüsse automatisiert werden. Das hat den Vorteil, dass Räume und Ausrüstung vor Ort genutzt werden können. Auch wird weniger Zeit benötigt, um die Automatisierung zu implementieren. Und natürlich spielen die geringeren Kapitalkosten eine Rolle – was gerade im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld entscheidend sein kann.

Und die haben es in sich: Investitionen von bis zu 230 Mrd. Euro sind für diese digitale Transformation notwendig, heißt es bei den Beratern von McKinsey. So könnte die Automatisierung in der gesamten Wertschöpfungskette vorangetrieben, die IT modernisiert und skalierte Datenanalysen für Wachstum und betriebliche Effizienz eingeführt werden. Das Ziel: Händler mit einem echten Omnichannel-Vertrieb, der den Kunden das nahtlose Switchen zwischen verschiedenen Kanälen bietet.

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