Alles öko, oder was?

Landwirte leiden unter schlechtem Image, politischer Gängelung und finanziellen Zwängen. Politiker wollen das nun ändern. Wie soll die Landwirtschaft der Zukunft aussehen?
Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Axel Novak Redaktion

So wie Josef M. stehen heute viele Landwirte unter wachsendem Druck. Die Leistungsfähigkeit der modernen Landwirtschaft ist enorm: Heute kann ein Bauer 140 Menschen ernähren – mehr als achtmal so viele wie vor sechzig Jahren. Den Deutschen ging es nie zuvor so gut wie heute – zumindest was die Qualität ihrer Lebensmittel betrifft. Technischer Fortschritt hat die Erträge an die Grenze des Machbaren gebracht.

 

„Die Treiber der Entwicklung sind schon lange nicht mehr nur die Nachfrage nach Lebensmitteln und der Produktivitätsfortschritt in der Erzeugung“, sagte Hubertus Paetow, Präsident der Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft: „Die politisch gesetzten Rahmenbedingungen sind mehr und mehr der entscheidende Standortfaktor für die ganze Lebensmittelwirtschaft.“

 

Geld und Regeln

 

Den wichtigsten Rahmen setzt das Geld: 58 Milliarden Euro gab die Europäische Union 2019 für Landwirtschaft aus. Die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sorgt dafür, dass rund 6,2 Milliarden Euro im Jahr allein an Landwirte in Deutschland fließen. Das Geld sichert mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Einkommen. Für Kritiker aber ist die GAP verantwortlich für die Verschlechterung der Biodiversität, von Luft, Wasser und Klima, des Tierwohls und der Agrarstruktur.

 

Auch sorgen immer höhere Auflagen für mehr Bürokratie: Tierhalter beispielsweise wenden rund 32 Stunden im Monat für Auflagen, Nachweispflichten und Kontrollen in ihren Betrieben auf, hat der Deutsche Bauernverband ermittelt. Auch der enorme Anstieg der Bodenpreise beschäftigt die Bauern: Wer wachsen will, muss hohe Pachten zahlen, weil Land zum begehrten Anlageobjekt für Investoren geworden ist. Und schließlich sorgen ein schlechtes Image und ein verklärtes Landbild von Städtern für Frust und Resignation auf dem Land. Das System ist an seine Grenzen gekommen. Deshalb möchte es die Bundesregierung ändern.

 

Das ist gerade rechtzeitig, denn derzeit wird in Brüssel über die neue GAP-Agrarpolitik verhandelt, die 2021 in Kraft treten sollte. Anfang September 2020 ist daher eine Zukunftskommission Landwirtschaft in Berlin zusammengetreten. 32 Vertreter von Landwirtschaft, Handel und Ernährungsbranche, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützer sowie Wissenschaftler werden nun versuchen, allen Interessen irgendwie gerecht zu werden. Noch im Herbst wollen sie einen Zwischenbericht vorlegen.

 

Trendthemen der Zukunft

 

Drei Themen gelten als Trendsetter für die Zukunft. Da ist zum einen die Ökologisierung: Bio-Betriebe verzichten auf mineralischen Dünger und Chemie, respektieren die Bedürfnisse von Tieren und agieren möglichst in geschlossenen Nährstoffkreisläufen. Die Bundesregierung will deshalb, dass 2030 ein Fünftel der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet wird.

 

Der Umsatz ökologisch erzeugter Lebensmittel hat sich zwischen 1997 und 2019 verachtfacht. Weiteres Potenzial ist da, weil die Nachfrage die heimische Produktion übersteigt. Doch Ökolandwirtschaft ist aufwändig, personalintensiv und vielen Kontrollen unterworfen. Bio ist häufig nicht konkurrenzfähig. Aber Ökolandbau geht einher mit der Regionalisierung von Produktion und Verkauf, dem zweiten Zukunftstrend. Die Handelsketten greifen das gerne auf, weil die Verbraucher willens sind, für regionale Produkte mehr Geld auszugeben.

 

Doch wirkliche Regionalisierung geht weit darüber hinaus: Dezentrale regionale Wirtschaftskreisläufe machen nicht nur die Konsumenten unabhängiger von der globalen Agrarproduktion, sondern stärken die lokale Wertschöpfung durch Kleinst-, kleine und mittlere Wirtschaftsbetriebe vor Ort. Vor allem die Vertreter der klassischen bäuerlichen Landwirtschaft plädieren für eine Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft.

 

Und schließlich Trend Nummer drei, die Digitalisierung: Melkroboter, Kartierungs-Drohnen und Nährstoff- oder Vitaldaten-Sensoren setzen mehr als acht von zehn landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland bereits ein, weitere zehn Prozent planen oder diskutieren dies, haben der Bitkom, der Deutsche Bauernverband und die Landwirtschaftliche Rentenbank im Frühjahr 2020 herausgefunden. Großer Nachteil: Die hohen Investitionskosten solcher Maschinen. Dennoch wollen vor allem jüngere Landwirte mit Digitalkompetenz ihre Höfe effizienter und optimierter bewirtschaften, heißt es.

 

Viele Akteure mischen mit

 

Also sieht so die Zukunft der Landwirtschaft aus? Wer sich fragt, wie all das zusammenpassen soll, spricht ein großes Problem an: Den zu finden, der repräsentativ für die Landwirtschaft spricht. Denn die landwirtschaftlichen Betriebe weisen eine unglaubliche Vielfalt auf: Es gibt klassische Familienbetriebe, Erzeuger von Energiepflanzen, Rinderbarone, industrielle Schweine- oder Putenhalter, Nebenerwerbslandwirte, Obstbauern, Urban Farming-Praktiker und so weiter. Entsprechend groß ist die Anzahl der Akteure auf politischer Ebene: Bauernverband, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Verbände und Lobbyisten der Lebensmittelindustrie, der Agrarkonzerne und der Chemieindustrie, Banken und Genossenschaften.

 

Wer von ihnen kann glaubhaft eine Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland skizzieren? Vielleicht wäre es schon einmal gewonnen, wenn die Vielfalt der Landwirte, die heute in Deutschland produzieren, zumindest so erhalten bleibt? Wenn also nichts beschlossen wird, was einen wie auch immer gearteten Strukturwandel neu anstößt? Wenn man, wie Josef M. sagt, „uns Bauern einfach mal in Ruhe machen lässt“? Den Abschlussbericht mit ihren Empfehlungen will die Zukunftskommission Landwirtschaft im Übrigen im Juni 2021 vorlegen. Mitten in der Erntesaison.

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