Herr Schöller, Herr Montebaur, Schoenergie und Westnetz sind Partner im Projekt SUREVIVE – die Abkürzung steht für „Stabilitäts-Versuche zur Momentanreserve-Erbringung aus Verteilnetz-Anlagen“. Können Sie erklären, was dieser Begriff bedeutet?
Alexander Montebaur: Das lässt sich vor dem Hintergrund der Energiewende beleuchten, in deren Zuge immer mehr konventionelle Großkraftwerke zur Stromerzeugung, beispielsweise Kohlekraftwerke, abgebaut werden. So weit, so bekannt. Aber die Anlagen generieren nicht nur Elektrizität, sondern stabilisieren auch das Stromnetz, sie sind netzbildend. Verantwortlich dafür sind ihre so genannten rotierenden Massen, etwa Generatoren und Turbinen. Deren Trägheit erhält die Frequenz des Netzes aufrecht, auch bei einem kurzfristigen Abfall der Stromerzeugung – sie stellen die Momentanreserve zur Verfügung. Durch den Kraftwerksabbau ist diese Funktion gefährdet. Es braucht also einen Ersatz.
Was kommt dafür in Frage?
Gerd Schöller: Schauen wir auf die Stromquellen in Deutschland: Im Jahr 2024 stammten 59 Prozent aus erneuerbaren Energien, bis 2030 sollen es 80 Prozent sein. Doch Wind und Sonne sind nicht vorhersehbar, mal wird zu wenig Strom produziert, mal zu viel, der dann in Batterien gespeichert wird. Außerdem liefern die Anlagen Gleichstrom, der durch einen Wechselrichter in den Wechselstrom des Netzes umgewandelt werden muss. Hier kommt SUREVIVE ins Spiel: Schoenergie hat in der Nähe des Stammsitzes in Föhren einen Batteriespeicher für eine 20-Megawatt-Solaranlage gebaut und mit einem netzbildenden Wechselrichter des Herstellers SMA zusammengeschlossen, Westnetz wiederum stellt sein Verteilnetz zur Verfügung – es ist das erste Projekt in Deutschland, bei dem getestet wird, wie netzbildende Wechselrichter und ein Großspeicher die Netzstabilität sichern können. Dazu gehört auch die Fähigkeit, als Insellösung bei einem Totalausfall der Stromversorgung einen Schwarzstart zu schaffen.
Wer ist noch an dem Projekt beteiligt?
A. M.: Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und das Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik der Uni Stuttgart sind für die wissenschaftliche Analyse und Auswertung der Testergebnisse zuständig, für Simulationen und Modellvalidierung. Zudem arbeiten als assoziierte Partner im Konsortium SMA, die Stadtwerke Trier sowie die Übertragungsnetzbetreiber amprion und TransNetBW mit.
G. S.: Doch das Ganze ist nicht
nur ein Feldtest: Die Anlage hat einen praktischen Nutzen für den Industriepark Region Trier, einen Zweckverband, dessen Beteiligte auf ein stabiles Netz angewiesen sind. Daher haben verschiedene Institutionen und Firmen in den Bau des Batteriespeichers investiert.
Wie sieht der Zeitplan von SURE-VIVE aus?
A. M.: Begonnen hat es im Sommer 2024 und ist auf vier Jahre angelegt, in diesem Zeitraum wird es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Grundlage ist die „Roadmap Systemstabilität“ – das zeigt, dass die Politik verstanden hat, wie wichtig netzbildende Batteriespeicher sind.
Warum gab es bisher noch keine Tests in dieser Richtung?
G. S.: Da muss sich zum einen die Branche der Erzeuger, zu der Schoenergie gehört, an die eigene Nase fassen. Natürlich hatten die Firmen vor allem großes Interesse daran, möglichst viel Energie zu produzieren, das ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell – zweitrangig, ob das Netz mit diesen Strommengen klarkommt...
A. M.: ...während für Verteilnetzbetreiber wie Westnetz die Stabilität einer der wichtigsten Faktoren war und ist. Darin bestand der Interessenkonflikt. Daher standen wir den Erzeugern lange skeptisch gegenüber.
Wie kamen Ihre Unternehmen zusammen?
G. S.: Vertreter von Schoenergie und Westnetz haben sich bei einer Tagung über die Möglichkeit einer Kooperation ausgetauscht und anschließend Nägel mit Köpfen gemacht.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
G. S.: Erneuerbare Energien sind schon heute die günstigste Form der Stromerzeugung. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten – jetzt muss die neue Bundesregierung Erneuerbare als systemrelevant anerkennen und vollständig ins Netz integrieren. Insgesamt wünschen wir uns mehr Kontinuität. Bisher gibt es alle paar Jahre eine andere politische Ausrichtung, das mindert die Verlässlichkeit erheblich. Die Märkte sind verunsichert, das merken wir in unserer Branche.
A. M.: Kontinuität ist essenziell für sämtliche Akteure der Energiewende. Damit wir sie erreichen, müssen alle an einem Strang ziehen. Und es bedarf einer Austarierung der Elemente der Energiewende. Das Zieldreieck der Energiewirtschaft, also der Ausgleich zwischen Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit, sollte wieder besser in Form gebracht und gewahrt werden. Wir haben in Deutschland gezeigt, dass wir Anlagen für erneuerbare Energien en masse und in höchster Qualität bauen können, auch netzbildende Batteriespeicher. Wenn wir diese Komponenten zusammenfügen zu einem funktionierenden und preisgünstigen Energiesystem, ist die Energiewende machbar – und SUREVIVE leistet einen Beitrag dazu.
ÜBER WESTNETZ
Westnetz ist der größte Verteilnetzbetreiber Deutschlands: Mit 175.000 Kilometern Strom- und 24.000 Kilometern Gasnetz versorgt das Unternehmen große Teile von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Westnetz, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Energieunternehmens Westenergie, hat seinen Stammsitz in Dortmund und beschäftigt rund 7.000 Menschen.
www.westnetz.de
ÜBER SCHOENERGIE
Schoenergie ist ein Familienunternehmen, das 2008 von vier Brüdern gegründet wurde. Kernkompetenz der Firma mit Stammsitz in Föhren bei Trier ist das Thema Solarenergie. Heute realisiert Schoenergie nachhaltige und bezahlbare Energielösungen für Privat- und Geschäftskunden, entwickelt große Solarstrom- und Batteriespeicherprojekte und übernimmt die Energievermarktung. Schoenergie hat an sechs Standorten rund 400 Mitarbeitende.
www.schoenergie.de