Und weiter geht die Stagnation: Das Münchner ifo-Institut hat zuletzt seine Wachstumsprognose für Deutschland für das laufende Jahr 2024 korrigiert: auf null Prozent. Die Gemeinschaftsdiagnose der großen Wirtschaftsinstitute wurde am 26. September und damit nach Redak tionsschluss veröffentlicht. Sie fasst zusammen, was von vielen Instituten schon prognostiziert wurde und daher absehbar war: Andere europäische Länder wachsen, während Deutschlands Wirtschaftsmotor im Leerlauf dreht. „Die deutsche Wirtschaft steckt fest, und sie dümpelt in einer Flaute, während andere Länder den Aufwind spüren“, sagte ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Wir haben eine strukturelle Krise. Es werden zu wenig Investitionen insbesondere in der Industrie getätigt, und die Produktivität tritt seit Jahren auf der Stelle.“
PRIVATHAUSHALTE SPAREN
Neben der strukturellen stecke Deutschland auch in einer konjunkturelle Krise. „Die Auftragslage ist schlecht, und die Kaufkraftgewinne führen nicht zu steigendem Konsum, sondern zu höherer Ersparnis, weil die Leute verunsichert sind.“ Am mangelnden Geld in den Privathaushalten liege es nicht, so das ifo-Institut. Die Menschen wollen es aber offenbar nicht ausgeben, sondern lieber sparen. Die Sparquote der Deutschen beziffert das Institut auf 11,3 Prozent, das ist deutlich mehr als der Zehnjahresschnitt von 10,1 Prozent vor Corona. Immerhin soll die Inflationsrate weiter zurückgehen – von durchschnittlich 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf nunmehr 2,2 Prozent. Anschließend soll sie bei rund 2 Prozent verharren. Das entspräche exakt dem Ziel, das sich die Europäische Zentralbank gesetzt hat, um die Preise stabil zu halten. Deren Auffassung nach ist eine zu niedrige Inflationsrate genauso negativ wie eine zu hohe Inflationsrate.
Unsicherheit schüren die politischen Verhältnisse, der zunehmende Hang, rechte und rechtsextremistische Parteien zu wählen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, einer der wesentlichen Wachstumsbremsen, wären Offenheit und Willkommenskultur wichtig. Die politischen Signale aber sind gegenteilig: „Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen ein Warnsignal“, erklärte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. „Deutschland muss ein Land bleiben, das für Weltoffenheit und Innovationsfreude steht.“ Diese Werte würden weder AfD noch BSW vertreten. Ohne qualifizierte Zuwanderung könne Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken. „Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können“, sagte Wintergerst. „Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen.“
WACHSTUMSGESETZE, JETZT!
Der Verband der Familienunternehmer forderte die Ampel auf, schnellstmöglich die geplanten Wachstumsgesetze zu beschließen. „Nur so kann sie die notwendige Trendwende für unsere Wirtschaft einleiten“, so Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands.
Die ostdeutsche Wirtschaft wird in diesem und wohl im kommenden Jahr stärker wachsen als im gesamtdeutschen Durchschnitt. Doch dieses Wachstum benötige vor allem Fachkräfte, erklärte Knut Bergmann vom Wirtschaftsforschungsinstitut IW in Köln: „Dass die ostdeutsche Wirtschaft in der Vergangenheit überhaupt noch an Beschäftigung zugelegt hat, ist alleine ausländischer Zuwanderung geschuldet. Die inländischen Erwerbspotenziale sind nicht in der Lage, die Abgänge aus dem Arbeitsmarkt zu decken, und das ist ein großes Problem.“
Joachim Schallmeyer, Anlagestratege bei der Deka Bank, befürchtet, der Siegeszug der AfD werde negative Folgen für Investitionen haben: „Für internationale Investoren ist das keine gute Nachricht. Das wird keine Anlegergelder nach Deutschland ziehen.“ Die AfD habe ein Klima geschaffen, das Investoren und Zuwanderer eher abschrecke. Auch deshalb schrumpfe die Bevölkerung in Sachsen und Thüringen, so der Sozialforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln: Junge Menschen suchen ihr berufliches Heil woanders, während die Menschen vor Ort zunehmend unzufrieden seien.
Nun eine gute Nachricht: Die Auftragsbücher der deutschen Industrie füllen sich wieder. Im Juni waren die Aufträge erstmals seit sechs Monaten wieder gestiegen. Im Juli stiegen sie im Vergleich zum Juni um 2,9 Prozent, so das Statistische Bundesamt. Grund dafür sind vorwiegend Großaufträge. Im sogenannten Sonstigen Fahrzeugbau, der Flugzeuge, Schiffe, Züge und Militärfahrzeuge umfasst, lagen die Neuaufträge sogar 86,5 Prozent höher als im Juni. Bei der Herstellung von elektrischen Ausrüstungen stiegen die Aufträge um 18,6 Prozent. Der Maschinenbau bekam demnach allerdings weniger Aufträge.
Die Zinswende in den USA könnte hier als Wachstumsbeschleuniger fungieren: Knapp zehn Prozent der deutschen Exporte fließen in die USA. Wenn Investitionen, Kredite und Refinanzierungen dort billiger werden, könnten auch Firmen hierzulande profitieren, zitiert die ARD Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors. Insgesamt also keine schlechten Aussichten – trotz der schlechten Zustimmungswerte für die Regierung. Angeblich sollen nur noch drei Prozent der Bevölkerung die Ampelpolitik gutheißen, so eine Umfrage des der CDU nahestehenden Allensbach-Instituts.
Die bundesweite Sonntagsfrage des Allensbach-Instituts zeigte Ende September eine völlige Verschiebung der Kräfteverhältnisse: Demnach kämen, wenn Bundestagswahl wäre, CDU/CSU auf 35,5 Prozent. Zweitstärkste Kraft wird die AfD mit 17 Prozent, gefolgt von der SPD, die 16 Prozent erreicht. Die Grünen fallen auf zehn Prozent, während das BSW dicht dahinter neun Prozent erreicht. FDP und Linke wären hingegen nicht mehr im Bundestag vertreten.