Einigkeit und Recht und Freiheit – mit diesen Worten beginnt die deutsche Nationalhymne. Sie wird bei offiziellen politischen Anlässen gesungen, bei Länderspielen der Nationalmannschaften im Sport oder bei der Vereidigung von Bundeswehrsoldaten. Die Soldaten schwören dabei feierlich, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.
Die Nationalhymne wird auch gern von Rechtsextremisten gesungen, zum Beispiel von Politikern der AfD. Dabei wird auch schon mal die erste Strophe gesungen: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.“ Da die dahinter stehende Einstellung das Land in zwei verheerende Weltkriege geführt hat und ein Staatsgebiet „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“ besungen wird, beschloss die Bundesrepublik 1952, dass nur noch die dritte Strophe der Nationalhymne gesungen wird. Verboten ist die erste Strophe aber nicht: Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 1990 entschieden, dass das ganze Lied – also auch Strophen eins und zwei – unter dem Schutz der Kunstfreiheit interpretiert werden darf. Einigkeit und Recht und Freiheit aber klingt eindeutig zeitgemäßer. Vor allem: friedlicher.
»Wenn man miteinander spricht, darf, ja soll es unterschiedliche Positionen geben.«
Einigkeit über ein paar grundsätzliche Dinge – die wird von immer mehr Deutschen aufgekündigt. Die Wahlergebnisse in Sachsen, Thüringen, Brandenburg für die Partei, deren Mitglieder gern schon mal die erste Strophe singen, sprechen eine klare Sprache: Für sie hat Einigkeit ausgedient. Die Vorstellungen, wie es mit Deutschland weitergehen soll, klaffen auseinander: Ein Drittel aller Wähler in Thüringen, Sachsen, Brandenburg haben Rechtsextreme gewählt. Sie wollen, was die AfD will. Zum Beispiel Wahlsieger Björn Höcke in Thüringen. Familienunternehmen, die sich kritisch zur Einwanderungspolitik der AfD geäußert hatten, wünschte er, dass sie „in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen.“ Das ist keine politische Position. Das ist niederträchtig. Es zeigt aber, wie der Diskurs der Rechten funktioniert: Spaltung statt Einigkeit. Verwünschungen statt demokratische Streitkultur. Dass die Lust an der Spaltung einen wichtigen Teil des Erfolgs der AfD ausmacht, zeigt sich in den sozialen Medien. Hier, auf TikTok, Insta oder X, funktioniert das besonders gut. Wer komplexe Zusammenhänge erklären möchte, wie das etwa der Grüne Robert Habeck gern tut, ist hier fehl am Platz. Bunte Clips und kurze Statements, die überkommene Stereotypen reproduzieren („echte Männer“), buhlen um schnelle Zustimmung. Falsche Fakten sind schnell in der Welt, die kaum jemand überprüft. Auf die Gefahren für die Demokratie durch die sozialen Medien, durch Desinformationskampagnen, Verschwörungstheorien und Fehlinformationen, weist etwa der Politologe Herfried Münkler in seinem Buch „Die Zukunft der Demokratie“ hin.
Wie Diskurs stattdessen funktionieren kann, zeigen die vielen Vereine, Institutionen, demokratischen Parteien, in denen sich Ehrenamtliche engagieren. Dort spricht man miteinander, statt zu chatten. Versucht sich zu verstehen. Hört sich zu. Das ist gelebte Demokratie: Alle Staatsgewalt geht laut Grundgesetz vom Volk aus. Und das ist sehr vielfältig: 50 Prozent sind Männer. 30 Prozent haben eine Migrationsgeschichte. 24 Prozent sind katholisch, 20 Prozent leben in Ostdeutschland, 7 Prozent zählen sich zur LGBTQ-Community. Und so weiter.
Diese Vielfalt ist keine Last, sondern eine Chance. Wie Sichtweisen sich gegenseitig ergänzen und zu echter Innovation führen, kann man in Unternehmen, die auf Diversität in ihren Strukturen achten, beobachten. Wenn die Spielregeln fairer Kommunikation eingehalten werden, wenn alle angstfrei ihre Meinung sagen können, entsteht etwas Neues, Spannendes.
Das könnte auch in der Gesellschaft funktionieren, wenn...ja, da kommen einem plötzlich konservativ wirkende Wörter in den Sinn: Manieren. Betragen. Fairness. Anstand. Wer diese Maßstäbe anlegt, sieht sofort, wo die Unanständigen sitzen. Wenn man miteinander spricht, darf, ja soll es unterschiedliche Positionen geben. Einigkeit sollte über eines herrschen: Der Anstand muss gewahrt bleiben.