Generation Gründer:in

Klassisch stehen Start-ups für Innovation, Familienunternehmen eher für Tradition. Wie sich beide Welten erfolgreich miteinander verbinden, zeigt eine neue Generation von Nachfolgern und Nachfolgerinnen.
Illustration: Sophia Hummler
Illustration: Sophia Hummler
Klaus Lüber Redaktion

 

Sie gründet zunächst selbst und tritt dann, mit jeder Menge Transformationserfahrung und Selbst-bewusstsein, die Chefposten an.

Als Lena Schaumann ihren Bachelorabschluss in der Tasche hatte, konnte sie sich vieles vorstellen – nur nicht, in das Möbelunternehmen ihres Vaters einzusteigen. „Das war auch meinem Vater klar, trotzdem meinte er immer, dass er es schön fände, wenn ich mir die Firma zumindest mal für ein halbes Jahr anschaue.“ Studiert hatte Schaumann Business Administration an der renommierten Talenteschmiede WHU, bekannt vor allem durch ihren starken Fokus auf digitale Geschäftsmodelle. „Da war natürlich die Idee: Lena, könntest du uns nicht mal beim Thema E-Commerce unter die Arme greifen?“

Und genau so kam es dann auch – und am Ende wohl weit besser, als sich Vater Hermann Schaumann das hätte träumen lassen. Nicht nur schaffte es seine Tochter, innerhalb nur eines halben Jahres aus dem elterlichen Unternehmen heraus einen erfolgreichen Online-Shop für Matratzen aufzubauen, sondern Lena Schaumann schnupperte selbst Unternehmerluft. 2013, mit erst 26 Jahren, gründete sie in Berlin Lumizil, einen Onlineshop für Lampen, führte diesen jahrelang erfolgreich und kehrte 2019 schließlich, um eine Menge Erfahrung und Selbstbewusstsein reicher, als Nachfolgerin ihres Vaters ins Familienunternehmen zurück. Ihr Start-up, mitsamt Team, Infrastruktur und Know-how, nimmt sie mit nach Kassel, seit 1912 Sitz von Möbel Schaumann. „Wenn ich selbst nicht gegründet hätte, hätte ich niemals den Mut aufgebracht, als Geschäftsführerin einzusteigen“, erzählt sie im Rückblick.

Für Nadine Kammerlander, Professorin für Familienunternehmen und Leiterin des Instituts für Familienunternehmen und Mittelstand an der WHU, sind solche Nachfolge-Geschichten ein gutes Zeichen. „In vielen Familienunternehmen war es bislang so, dass der Nachwuchs sich seine Expertise in der Beratung oder bei anderen etablierten Unternehmen holte. Aber das stößt an Grenzen, wenn man die Veränderungen anstoßen will, die insbesondere die Digitalisierung notwendig macht. Man muss es ja schaffen, das Unternehmen in die Zukunft zu tragen.“ Genau diese Kompetenzen könne sich die sogenannte NextGen bei einer eigenen Gründung viel besser aneignen. „Kundenbetreuung, Finanzierung, Strategie, Mitarbeiterführung – als Gründerin oder Gründer durchläuft man in kürzester Zeit sämtliche relevanten Firmenaktivitäten. Das ist ein richtiger Crashkurs mit einer steilen Lernkurve.“

»Es ist ideal, wenn sich der Junior oder die Juniorin zunächst mit einer eigenen Firma ausprobiert.«

Hinzu komme der potenzielle Innovationsschub durch die Erfahrungen, welche die NextGen beim Aufbau digitaler Geschäftsmodelle machen könne. „Für Familienunternehmen ist das ja zunächst ein Risiko. Da ist es ideal, wenn sich der Junior oder die Juniorin zunächst mit einer eigenen Firma ausprobiert. Ist sie erfolgreich, wird sie später ins Unternehmen integriert. Scheitert das Geschäftsmodell, fällt es nicht auf den guten Namen des Familienunternehmens zurück.“ Wäre Lena Schaumanns Lumizil kein Erfolg geworden, der Marke Möbel Schaumann hätte es nicht geschadet. Noch dazu ist des gerade die Unabhängigkeit vom elterlichen Unternehmen, die die Erfolgschancen eines NextGen-Start-ups erhöht. „Die Infrastruktur von Möbel Schaumann hat überhaupt nicht zu einem Online-Shop gepasst“, erzählt Lena Schaumann. „Deshalb haben wir bei Lumizil alles von null gemacht und nicht etwa versucht, die bestehende Warenwirtschaft zu nehmen und zurechtzubiegen.“

Eine selbst gründende Nachfolgegeneration, die nach der eigenen Start-up-Erfahrung zurück ins Familienbusiness stößt, dort die Geschäftsführung übernimmt und das Unternehmen in die Zukunft führt? Sicher der Idealfall für einen unter Druck stehenden deutschen Mittelstand, der nach aktuellen Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) allein in den kommenden fünf Jahren 190.000 Chefposten zu vergeben hat – und den Digitalisierung und Fachkräftemangel zu einer Neuausrichtung des Unternehmens zwingt. Doch ist das nicht ein sehr spezielles Setting? Und Nachfolge-Geschichten wie die von Lena Schaumann zwar wünschenswert, aber eher Einzelfälle?

Larissa Leitner muss es wissen. Die Unternehmerin hat für ihre Doktorarbeit, ebenfalls absolviert an der WHU, genau solche speziellen Konstellationen untersucht – und ist, zumindest teilweise, fündig geworden. Rund 300 Fälle von gründenden Nachfolgerinnen und Nachfolgern konnte Leitner ermitteln, allerdings mit je unterschiedlichen Implikationen für das jeweilige Familienunternehmen. „Es gibt natürlich auch die Fälle, in denen die Gründer nicht ins Familienunternehmen zurückkehren, sondern weiter ihr eigenes Ding machen wollen. Aber die Motivation, sich unternehmerisch zu beweisen, ist bei allen stark ausgeprägt.“ Auffällig sei zudem, dass besonders diejenigen Gründerinnen und Gründer, die in derselben Branche wie das elterliche Unternehmen gründen, einen klaren Startvorteil gegenüber der Konkurrenz besäßen. „Unabhängig von den längerfristigen Karriereplänen der NextGen gibt es von Anfang an große Synergien mit dem eigenen Familienunternehmen.“

»Gründer, die in derselben Branche wie das elterliche Unternehmen gründen, besitzen einen klaren Startvorteil.«

Illustration: Sophia Hummler
Illustration: Sophia Hummler

So war das auch bei Thomas Grimme. Noch in diesem Jahr wird der Unternehmer die Nachfolge von Haushaltswaren Bley antreten, einem 1827 gegründeten Ladengeschäft in Cloppenburg. Studiert hatte Grimme Politik und Geschichte in Berlin und war kurz davor, eine journalistische Laufbahn einzuschlagen. Bis sein Vater ihn bat, beim Aufbau eines Online-Shops zu helfen. „Für mich war sofort klar, dass mein Vater das nicht allein schafft. Dass das aber überlebenswichtig für das Unternehmen ist.“ Grimme war schon immer digitalaffin, hatte Freunde und Bekannte aus der Start-up-Szene und gründete 2013 aus dem Familienunternehmen heraus eine Online-Filiale mit dem griffigen Namen Bleywaren. „Ohne das Mutterunternehmen hätte ich das aber nicht geschafft. Ich musste mir kein eigenes Lager aufbauen. Und bis heute bestelle ich alles, was über den Online-Shop läuft, aus dem Sortiment von Bley.“

 

»Die Idee war es, die Sharing Economy in die Fotografie zu transportieren.«

Thomas Grimme sieht es als seine Aufgabe, das Familienunternehmen zukunftsfest zu machen. Nicht nur durch seine E-Commerce-Expertise, sondern idealerweise in einer Kombination aus Offline- und Onlinegeschäft. „Ich glaube, es ist wichtig, die beiden Welten stärker miteinander zu verzahnen.“ Und dabei auch neue Ansätze auszuprobieren. „Die Herausforderung beim Onlinehandel ist ja der gnadenlose Preisvergleich mit der Konkurrenz. Ich glaube aber, dass wir da ein Stück weit ausbrechen können, indem wir versuchen, beim Kunden mit Sympathie zu punkten.“

Dass Thomas Grimme überhaupt den Entschluss fasste, ins Familienunternehmen einzusteigen, hat auch mit der Haltung seines Vaters zu tun, der seinen Kindern alle Freiheiten ließ, selbst über ihren beruflichen Karriereweg zu entscheiden, berichtet er. Eine Erfahrung, die er mit Lena Schaumann teilt, die dazu sagt: „Es bringt überhaupt nichts, die NextGen in irgendeine Richtung zu drücken. Sei es mit der Ansage: Du gehst auf jeden Fall in die Beratung! Oder aber auch: Du gründest bitte auf jeden Fall!“ Ausschlag für eine erfolgreiche Nachfolge gebe oft das Umfeld der Nachfolgegeneration und die Geschichten, die man von anderen höre. Zum Beispiel auch von Schaumann selbst, die inzwischen einen der erfolgreichsten Podcasts zum Thema Nachfolge betreibt. „Meiner Meinung nach gibt es nichts Spannenderes, als ein gesundes Familienunternehmen in die Zukunft zu führen. Und zwar nicht, indem man einfach weitermacht wie bisher. Sondern indem man das Unternehmen an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst. Im Grunde genau so, wie schon mein Großvater die Firma Schaumann umkrempelte, indem er aus einer Tischlerei ein Handelsunternehmen machte.“

Wie sehr die eigene Gründung der Nachfolgegeneration genau dabei helfen kann, dafür ist die Geschichte von Marius Hamer ein gutes Beispiel. 2014 übernahm der heute 39-jährige Unternehmer Foto Hamer, ein 110 Jahre altes in Bochum ansässiges Spezialgeschäft für hochwertiges Fotoequipment. Nach seinem BWL-Studium arbeitete Hamer kurz in der Beratung, entschied sich dann aber schnell, ins Familienunternehmen einzusteigen. „Ich hatte einfach den Ehrgeiz, unser Geschäftsmodell neu zu denken.“ 2017 gründetet er, aus dem Familienunternehmen heraus, den Online-Mietservice Gearflix. „Die Idee war es, die Sharing Economy in die Fotografie zu transportieren“, erzählt er. Das funktionierte gut, sehr bald überstieg der Umsatz des Start-ups den des Ladengeschäfts. Zwar verpasste Corona dem Geschäftsmodell einen empfindlichen Dämpfer, „Kameras werden ja vor allem zu Events gebraucht, und die fanden natürlich kaum mehr statt“. Doch Hamer schwenkte um, verkaufte einen Großteil des Bestandes und nutzte die vorhandene Infrastruktur des Start-ups, um nun mit voller Kraft in den Online-Verkauf einzusteigen. „Damit haben wir unseren Umsatz im letzten Jahr verdoppelt.“

Mit all seiner unternehmerischen Kreativität hat Hamer damit etwas geschafft, was er selbst als wichtigste Bedingung für eine gelungene Nachfolge ansieht: „Man muss etwas neu denken, etwas wirklich verändern. Erst dann ist es wirklich dein Unternehmen. Und erst dann hast du die Chance, die Firma in die Zukunft zu tragen.“ Ist die neue Generation von Familienunternehmern dazu bereit? Unbedingt, findet Marius Hamer. Und auch Lena Schaumann ist sich sicher: „Ich glaube, wir brauchen uns da keine Sorgen zu machen. Da werden tolle neue Unternehmerinnen und Unternehmer nachkommen.“

Erstveröffentlichung: diskurs – Kundenmagazin der Weberbank, Ausgabe 36, 31. März 2022

 

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