Sie gründet zunächst selbst und tritt dann, mit jeder Menge Transformationserfahrung und Selbst-bewusstsein, die Chefposten an.
Als Lena Schaumann ihren Bachelorabschluss in der Tasche hatte, konnte sie sich vieles vorstellen – nur nicht, in das Möbelunternehmen ihres Vaters einzusteigen. „Das war auch meinem Vater klar, trotzdem meinte er immer, dass er es schön fände, wenn ich mir die Firma zumindest mal für ein halbes Jahr anschaue.“ Studiert hatte Schaumann Business Administration an der renommierten Talenteschmiede WHU, bekannt vor allem durch ihren starken Fokus auf digitale Geschäftsmodelle. „Da war natürlich die Idee: Lena, könntest du uns nicht mal beim Thema E-Commerce unter die Arme greifen?“
Und genau so kam es dann auch – und am Ende wohl weit besser, als sich Vater Hermann Schaumann das hätte träumen lassen. Nicht nur schaffte es seine Tochter, innerhalb nur eines halben Jahres aus dem elterlichen Unternehmen heraus einen erfolgreichen Online-Shop für Matratzen aufzubauen, sondern Lena Schaumann schnupperte selbst Unternehmerluft. 2013, mit erst 26 Jahren, gründete sie in Berlin Lumizil, einen Onlineshop für Lampen, führte diesen jahrelang erfolgreich und kehrte 2019 schließlich, um eine Menge Erfahrung und Selbstbewusstsein reicher, als Nachfolgerin ihres Vaters ins Familienunternehmen zurück. Ihr Start-up, mitsamt Team, Infrastruktur und Know-how, nimmt sie mit nach Kassel, seit 1912 Sitz von Möbel Schaumann. „Wenn ich selbst nicht gegründet hätte, hätte ich niemals den Mut aufgebracht, als Geschäftsführerin einzusteigen“, erzählt sie im Rückblick.
Für Nadine Kammerlander, Professorin für Familienunternehmen und Leiterin des Instituts für Familienunternehmen und Mittelstand an der WHU, sind solche Nachfolge-Geschichten ein gutes Zeichen. „In vielen Familienunternehmen war es bislang so, dass der Nachwuchs sich seine Expertise in der Beratung oder bei anderen etablierten Unternehmen holte. Aber das stößt an Grenzen, wenn man die Veränderungen anstoßen will, die insbesondere die Digitalisierung notwendig macht. Man muss es ja schaffen, das Unternehmen in die Zukunft zu tragen.“ Genau diese Kompetenzen könne sich die sogenannte NextGen bei einer eigenen Gründung viel besser aneignen. „Kundenbetreuung, Finanzierung, Strategie, Mitarbeiterführung – als Gründerin oder Gründer durchläuft man in kürzester Zeit sämtliche relevanten Firmenaktivitäten. Das ist ein richtiger Crashkurs mit einer steilen Lernkurve.“
»Es ist ideal, wenn sich der Junior oder die Juniorin zunächst mit einer eigenen Firma ausprobiert.«
Hinzu komme der potenzielle Innovationsschub durch die Erfahrungen, welche die NextGen beim Aufbau digitaler Geschäftsmodelle machen könne. „Für Familienunternehmen ist das ja zunächst ein Risiko. Da ist es ideal, wenn sich der Junior oder die Juniorin zunächst mit einer eigenen Firma ausprobiert. Ist sie erfolgreich, wird sie später ins Unternehmen integriert. Scheitert das Geschäftsmodell, fällt es nicht auf den guten Namen des Familienunternehmens zurück.“ Wäre Lena Schaumanns Lumizil kein Erfolg geworden, der Marke Möbel Schaumann hätte es nicht geschadet. Noch dazu ist des gerade die Unabhängigkeit vom elterlichen Unternehmen, die die Erfolgschancen eines NextGen-Start-ups erhöht. „Die Infrastruktur von Möbel Schaumann hat überhaupt nicht zu einem Online-Shop gepasst“, erzählt Lena Schaumann. „Deshalb haben wir bei Lumizil alles von null gemacht und nicht etwa versucht, die bestehende Warenwirtschaft zu nehmen und zurechtzubiegen.“
Eine selbst gründende Nachfolgegeneration, die nach der eigenen Start-up-Erfahrung zurück ins Familienbusiness stößt, dort die Geschäftsführung übernimmt und das Unternehmen in die Zukunft führt? Sicher der Idealfall für einen unter Druck stehenden deutschen Mittelstand, der nach aktuellen Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) allein in den kommenden fünf Jahren 190.000 Chefposten zu vergeben hat – und den Digitalisierung und Fachkräftemangel zu einer Neuausrichtung des Unternehmens zwingt. Doch ist das nicht ein sehr spezielles Setting? Und Nachfolge-Geschichten wie die von Lena Schaumann zwar wünschenswert, aber eher Einzelfälle?
Larissa Leitner muss es wissen. Die Unternehmerin hat für ihre Doktorarbeit, ebenfalls absolviert an der WHU, genau solche speziellen Konstellationen untersucht – und ist, zumindest teilweise, fündig geworden. Rund 300 Fälle von gründenden Nachfolgerinnen und Nachfolgern konnte Leitner ermitteln, allerdings mit je unterschiedlichen Implikationen für das jeweilige Familienunternehmen. „Es gibt natürlich auch die Fälle, in denen die Gründer nicht ins Familienunternehmen zurückkehren, sondern weiter ihr eigenes Ding machen wollen. Aber die Motivation, sich unternehmerisch zu beweisen, ist bei allen stark ausgeprägt.“ Auffällig sei zudem, dass besonders diejenigen Gründerinnen und Gründer, die in derselben Branche wie das elterliche Unternehmen gründen, einen klaren Startvorteil gegenüber der Konkurrenz besäßen. „Unabhängig von den längerfristigen Karriereplänen der NextGen gibt es von Anfang an große Synergien mit dem eigenen Familienunternehmen.“
»Gründer, die in derselben Branche wie das elterliche Unternehmen gründen, besitzen einen klaren Startvorteil.«