Der Unternehmer „trifft sämtliche geschäftsrelevanten Ziele und Entscheidungen. Da diese Entscheidungen in die Zukunft gerichtet sind, bleibt ihr Erfolg oder Misserfolg für den Unternehmer grundsätzlich ungewiss“, heißt es noch ganz altmodisch im Online-Brockhaus. Und genau diese Ungewissheit könnte der Grund dafür sein, dass die Deutschen so wenig gründen. Es fehlt das Gründer-Mindset, um Risiken einzugehen, Geld in die Hand zu nehmen und eine eigene Idee zu entwickeln.
Von wegen Gründergeist: Nur 3,6 Prozent der Deutschen planen eine Unternehmensgründung oder den Schritt in die Selbstständigkeit, hat die KfW für das Jahr 2023 ermittelt – im Vorjahr waren es noch 4,5 Prozent. „Die Gründungstätigkeit hängt in einem Tief fest“, stellt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib lakonisch fest. Dennoch ist die Anzahl der Existenzgründungen in Deutschland 2023 etwas gestiegen: 568.000 Menschen haben sich 2023 selbstständig gemacht, so die Staatsbank. 1.384 Start-ups wurden im ersten Halbjahr 2024 gegründet, ergänzen der Startup-Verband und die Branchendatenbank Startupdetector.
Vor allem die IT- und Softwarebranche ist Ziel unternehmerischer Neugründungen. Beobachter sehen in dieser Entwicklung einen Beleg für die zunehmende Bedeutung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in Deutschland. Innovative Softwarelösungen sind gefragt. Gegründet wird vor allem in Regionen mit einem bestehenden Start-up-Ökosystem: München und Berlin sind die zentralen Hotspots für Start-up-Ökosysteme; jedes vierte Start-up wird an der Spree oder an der Isar gegründet.
Aber auch in anderen Regionen Deutschlands finden Gründungen statt: Aachen, Darmstadt und Heidelberg gehören ebenfalls zu den Top-5-Gründungsstandorten. Hier zahlt sich aus, dass dort große und renommierte Forschungseinrichtungen angesiedelt sind. „Die zunehmende Bedeutung der Regionen zeigt das Potenzial, das in Deutschlands Breite schlummert“, sagt Dr. Felix Engelmann von Startupdetector. Allerdings tun sich ländlich geprägte Regionen eher schwer, eigene Start-up-Ökosysteme aufzubauen.
ZUVERSICHT BEI DER FINANZIERUNG
Neben gefühlter Unsicherheit und fehlendem Gründergeist müssen Unternehmer vor allem eine große Hürde überwinden: Geldmangel. Die finanzielle Situation ist oft schwierig, zeigt eine Studie des Digitalverbands Bitkom vom Mai 2024. Der Verband hat junge Unternehmen aus dem Technologiebereich unter die Lupe genommen und festgestellt, dass zwar die große Mehrheit dieser Start-ups zuversichtlich ist, Finanzierungsrunden erfolgreich abschließen zu können. Dennoch haben acht von zehn in den vergangenen Monaten eine deutliche Zurückhaltung der Investoren gespürt. „Wachstumsfinanzierung ist nicht mehr so einfach wie vor einigen Jahren“, sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.
Das hat Folgen für den Standort Deutschland, aber auch Europa: Viele europäische Unternehmer planen, sich von amerikanischen Risikokapitalgebern finanzieren zu lassen und dann auf dem US-Markt zu expandieren, heißt es in einer Studie zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit, die Ex-EZB-Banker Mario Draghi vor wenigen Tagen vorgestellt hat. „Das Problem ist nicht, dass es Europa an Ideen oder Ehrgeiz mangelt. Wir haben viele talentierte Forscher und Unternehmer, die Patente anmelden“, heißt es in dem Draghi-Bericht. Aber: „Wir schaffen es nicht, Innovationen in eine kommerzielle Nutzung zu überführen.“ Zwischen 2008 und 2021 hätten fast 30 Prozent der europäischen „Einhörner“ – Startups, die später mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wurden – ihren Sitz ins Ausland verlegt, vor allem in die USA.
„Kapital ist der Treibstoff für Start-ups und Scaleups“, sagt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbandes. „Trotz vieler Anstrengungen in den letzten Jahren besteht in Deutschland eine Finanzierungslücke, insbesondere in der Wachstumsphase. Um diese Lücke zu schließen, müssen wir mehr privates Kapital mobilisieren – vor allem von institutionellen Investoren.“ Der Startup-Verband fordert die Verdreifachung der Wagniskapitalinvestitionen bis 2030, um die bestehende Finanzierungslücke von jährlich rund 30 Milliarden Euro in Deutschland zu schließen. Vor allem institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Pensionskassen sollen als Wagniskapitalgeber einsteigen. Vor zwei Wochen haben deshalb Bundesregierung und Unternehmen aus der Finanzwirtschaft die WIN-Initiative für Wachstums- und Innovationskapital in Leben gerufen, die genau dies möchte: Mehr Kapital für rasch wachsende Start-ups generieren.
DAS BEISPIEL LILIUM
Aktuell zeigt sich das Problem nämlich bei Lilium: Das nicht mehr ganz neue Start-up aus München braucht Geld für Flugtaxis. Dreistellige Millionenbeträge sind dafür nötig. Das ist viel Geld für klassische Risikokapitalgeber. Versicherungen oder Pensionskassen, die auf der Suche nach renditestärkeren Anlagen sind, könnten in so einem Fall als Geldgeber einspringen. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, werden Pensionskassen verstärkt auch über Anlageformen mit höheren Renditechancen nachdenken müssen. Die heute geltenden Anlagevorschriften stehen Investitionen in solche Anlageklassen im Übrigen nicht entgegen“, schrieb BaFin-Vorstand Frank Grund bereits im vergangenen Jahr in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Doch bislang scheuen die Pensionskassen das höhere Risiko.
An anderer Stelle könnte sich das ändern – durch mehr Vielfalt. Noch immer gründen zum Beispiel zu wenige Frauen; ihnen wird der Zugang zu Kapital oft erschwert. Ähnliches gilt für qualifizierte Migrantinnen und Migranten. Bis zur Corona-Pandemie gründeten sie öfter als Einheimische, zeigen Untersuchungen. Bei fast zwei Dritteln der deutschen Unicorns stammt laut Start-up-Verband einer der Gründer aus dem Ausland. Doch Gründungswillige aus dem Ausland stoßen in Deutschland immer noch auf viele Hürden: sprachliche, administrative, finanzielle. Zu oft gilt immer noch: Gründergeist hilft wenig, wenn die clevere Geschäftsidee von Banken und Behörden blockiert wird.