»Gesundheitsmanagement ist ein zentraler Erfolgsfaktor«

Wie schaffen wir es, Arbeit und Gesundheit optimal zu verbinden? Worauf sollten Mitarbeitende und Betriebe achten? Ein Gespräch mit Christian Denzin, Berater für Betriebliches Sozial- und Gesundheitsmanagement.

Illustration: Gemma Portella
Illustration: Gemma Portella
Verena Mörath Redaktion

Herr Denzin, warum sollten sich Unternehmen und Führungskräfte mit betrieblichem Gesundheitsmanagement befassen?

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist essenziell für den Unternehmenserfolg – es steigert die Arbeitgeberattraktivität, reduziert Fehlzeiten und beugt Stress vor. Gesetzlich verpflichtend sind die Gefährdungsbeurteilung, einschließlich psychischer Belastungen, sowie das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) für Mitarbeitende mit längeren Ausfallzeiten. Ein präventiver Ansatz, der über diese Mindestanforderungen hinausgeht, zahlt sich langfristig aus, da Unternehmen langfristig leistungsfähiger und wettbewerbsfähiger bleiben.
 

Wann wird Arbeit gesundheitlich riskant? Früher war es körperliche Belastung – heute der 24/7-Dauerstress?

Arbeit kann sowohl Ressource als auch Belastung sein. Entscheidend ist nicht Stress an sich, sondern seine Dosis und die Möglichkeit zur Regeneration. Während früher körperliche Belastungen dominierten, sind heute psychische Stressoren wie Arbeitsverdichtung, IT-Abhängigkeit und ständige Erreichbarkeit zentrale Herausforderungen. Laut Gesundheitsreports sind branchenübergreifend die größten Belastungsfaktoren Arbeitsmenge, Komplexität, mangelnde Erholungsphasen und eine ungesunde Führungskultur. Regelmäßige Gefährdungsbeurteilungen helfen, Risiken zu erkennen und gegenzusteuern.
 

Von Rückenschule zu Resilienz-Coachings – welche Maßnahmen wirken wirklich?

Betriebliches Gesundheitsmanagement reicht von Einzelmaßnahmen zur Fachkräftebindung bis hin zu nachhaltigen Konzepten der Organisationsentwicklung. Viele setzen auf Verhaltensprävention, verändern aber nicht die Arbeitsbedingungen. Doch entscheidend ist die Verhältnisprävention: Statt nur einzelne Aktionen wie Obstkörbe oder Gesundheitstage anzubieten, sollten Arbeitsstrukturen gesundheitsförderlich gestaltet werden. Ein gutes Konzept nimmt Arbeitsorganisation, Arbeitszeiten, Führungsstil und Unternehmenskultur in den Blick – damit Gesundheitsförderung nicht bloß ein Strohfeuer bleibt.

Christian Denzin ist seit fast 25 Jahren systemischer Berater und Mediator. Er unterstützt rund 120 Betriebe dabei, ein Gesundheitsmanagement zu entwickeln und mit Leben zu füllen.
Christian Denzin ist seit fast 25 Jahren systemischer Berater und Mediator. Er unterstützt rund 120 Betriebe dabei, ein Gesundheitsmanagement zu entwickeln und mit Leben zu füllen.
Illustration: Gemma Portella
Illustration: Gemma Portella

Babyboomer vs. Generation Z – was erwarten ältere, was jüngere Beschäftigte?

Die Erwartungen unterscheiden sich stark. Ältere Beschäftigte legen Wert auf eignungsgerechte Arbeitsplätze, eine geregelte Arbeitszeitgestaltung und an ihre Leistungsfähigkeit angepasste Aufgaben. Jüngere Generationen hingegen erwarten mehr Selbstbestimmung, Flexibilität und Freiräume – etwa durch mobiles Arbeiten, individuelle Arbeitszeiten oder Gesundheitsangebote für Freizeit und Sport. Während Ältere ihre langfristige Arbeitsfähigkeit sichern müssen, steht für Jüngere eine gute Work-Life-Balance im Vordergrund. Die Digitalisierung verstärkt diese Unterschiede zusätzlich.
 

Wie sieht ein vorbildliches Gesundheitsmanagement aus?

Ein gutes Gesundheitsmanagement beginnt mit klaren, realistischen Zielen und der aktiven Einbindung der Beschäftigten. Führungskräfte sollten nicht nur ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen, sondern auch als Vorbilder agieren. Gesundheitsmanagement muss gelebte Praxis sein, nicht nur ein Marketinginstrument. Es hilft nicht, Server abends herunterzufahren, um Work-Life-Balance zu fördern, wenn Beschäftige dann über private Handys erreichbar bleiben. Erfolgreiches Gesundheitsmanagement bedeutet, sowohl strukturelle als auch individuelle Gesundheitsförderung zu verankern – durch gute Führung, aber auch durch die Eigenverantwortung der Beschäftigten. Die einseitige Erwartung, ‚der Arbeitgebende muss mich gesund halten‘ greift zu kurz. Zwar müssen Arbeitgeber eine gesunde Arbeitsumgebung schaffen, doch auch Arbeitnehmende tragen Verantwortung für ihren Lebensstil. Eigeninitiative, Selbstreflexion und im Betrieb für sich ein stabiles soziales Netzwerk zu knüpfen sind wichtig.
 

Welchen Gewinn bringen Investitionen in die Gesundheitsförderung?

Investitionen in Gesundheitsmanagement zahlen sich aus – nach Studien mit einem Return on Investment von 1:4. Das bedeutet: Die Kosten für Schulungen, Prävention und Gesundheitsmaßnahmen amortisieren sich durch weniger Fehlzeiten, etwa durch Burnout, höhere Produktivität und geringere Arbeitsfehler. Messbare Indikatoren sind sinkende Krankheitsquoten, weniger Fehler und Kundenreklamationen sowie eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit. Auch subtile Zeichen wie gepflegte Gemeinschaftsflächen, freundliche Begegnungen und eine positive Unternehmenskultur zeigen, ob Gesundheitsförderung wirklich gelebt wird. Wer die langfristigen Vorteile erkennt, investiert nicht nur in seine Beschäftigten, sondern auch in den Erfolg seines Human- und Sozialkapitals.
 

Was können kleinere Betriebe ohne großes Budget tun?

Auch mit begrenzten Mitteln kann eine gesunde Arbeitsumgebung geschaffen werden. In kleineren Betrieben hängt viel vom Engagement der Führungskräfte ab: Regelmäßige Kommunikation, individuelle Unterstützung und echtes Interesse an der Mitarbeitenden-Entwicklung sind zentrale Faktoren. Geld ist nur ein begrenzter Motivator – viel wichtiger sind Zugehörigkeit, Wertschätzung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Fehlen diese Faktoren, kann das erst zu Krankheit, dann zu Widerstand und manchmal zur Kündigung führen.
 

Blick in die Zukunft: Wird gesunde Arbeit irgendwann selbstverständlich sein?

Leider hat sich die Hoffnung auf eine stetige Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht uneingeschränkt erfüllt. Während einige Unternehmen Gesundheitsmanagement nachhaltig umsetzen, gibt es auch Rückschritte – etwa durch die zunehmende Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben oder wirtschaftliche Zwänge, die Gesundheit als zweitrangig erscheinen lassen. Aber Gesundheitsmanagement ist kein „Nice-to-have“, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen. Es braucht eine langfristige Strategie, engagierte Führungskräfte und eine aktive Beteiligung der Beschäftigten. Entscheidend ist, dass Gesundheit regelmäßig zum Thema gemacht wird – nicht erst, wenn es zu spät ist.

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