»Wir müssen urbane Dichte im menschlichen Maßstab entwickeln«

Der Architekt Max Schwitalla vom Berliner Studio Schwitalla beschäftigt sich mit (Mikro-)Mobilität, sozialen Begegnungsflächen und dem Verhältnis zwischen Haus und Stadt. Im Interview teilt er seine Ansichten zur Green City.

Max Schwitalla studierte Architektur an der Universität Stuttgart und der ETH Zürich und verliebte sich beim Skateboarden in Architektur sowie in urbane Mobilität.
Max Schwitalla studierte Architektur an der Universität Stuttgart und der ETH Zürich und verliebte sich beim Skateboarden in Architektur sowie in urbane Mobilität.
Interview: Mirko Heinemann Redaktion

Herr Schwitalla, wie können unsere Städte grüner werden? 
Um mit dem augenscheinlichen Grün anzufangen: Dächer und Fassaden können für die Energiegewinnung genutzt werden und sie können begrünt sein, aber in Deutschland sind das gerade einmal 10 % aller neu gebauten Flachdächer. Da ist noch viel Luft nach oben. Begrünte Dächer mit Gemeinschaftsflächen sind auch als sozialer Begegnungsraum wichtig, etwa als Nachbarschaftsgarten für Mehrfamilienhäuser. Auch grüne Fassaden können viel leisten, um die Biodiversität in Städten zu erhöhen, denn es geht ja nicht nur um Menschen, sondern auch um Flora und Fauna in der regenerativen Stadt. 

Es gibt tolle Vorreiterbeispiele wie etwa Singapur: Die Stadt möchte bis 2030 mindestens 80 % ihrer Gebäude begrünt haben. Und der Bosco Verticale in Mailand, ein begrüntes Hochhaus, zeigt, dass wir auch in Europa Green City können. 

Neben Dächern und Fassaden sollten wir natürlich auch auf den Boden blicken. In Los Angeles ist etwa ein Viertel der Stadtfläche durch Asphalt zum Parken und Fahren dem Auto zugeschrieben. In Berlin schätzen wir, dass Parkplätze etwa drei Millionen Quadratmeter Fläche einnehmen. Das bietet viel Platz für Umnutzung, immer rund um die Frage des physischen und seelischen Wohlergehens unserer Städte und ihrer Bewohner:innen.
 

Wie kann man das Thema Green City noch weiterdenken als Stadtbegrünung?
Ich finde das Thema Wasser sehr wichtig. Wir sollten es noch mehr als Teil der Stadtgestaltung nutzen, um Plätze abzukühlen, Sport und Erholung zu bieten und um Biodiversität zu fördern. Das funktioniert beispielsweise in Zürich toll, und hier in Berlin bin ich großer Fan vom geplanten Flussbad. Stadtstrände wie etwa in Rio de Janeiro oder Barcelona können sogar als „social equalizer“ wirken, um Menschen zusammenzubringen. 

Auch beim Baumaterial gibt es viel Potential, grüne Städte zu bauen. Wir können die Green City nicht nur aus Stahl und Beton bauen. Holz ist eines der wichtigsten Baumaterialien der Zukunft. Ich finde es wichtig, Urbanisierung hier nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance zu sehen: Wenn wir Bäume pflanzen, um daraus zu bauen, kostet das zwar Ressourcen und Wasser, bindet aber auch CO2. Lehmbau oder recycelte Materialien bieten weitere Möglichkeiten für nachhaltiges Bauen und die Stadt der Zukunft.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante

Sie arbeiten viel zum Thema Mobilität, was hat das mit der grünen Stadt zu tun? 
Urbane Mobilität ist ein wichtiger Hebel, um die Stadt grüner zu machen. Wenn man bedenkt, dass das Bauen und Betreiben von Häusern etwa 40 % und Transport bis zu 20 % aller CO2-Emissionen darstellt, muss man diese Themen in der nachhaltigen Stadtplanung noch integrativer denken. Anstatt die Stadt mit Straßen und Autobahnen auszurollen, kann man in der durchmischten Stadt Räume zwischen den Gebäuden schaffen und öffentliche Plätze gestalten. Dies fördert auch die aktive Mobilität mit dem E-Bike, dem Fahrrad und zu Fuß. 

Wir müssen urbane Dichte wieder im menschlichen Maßstab entwickeln. Auf der Quartiersebene kann man besonders viel erreichen.  Gemeinsam im Team entwickeln wir zum Beispiel in Hamburg-Oberbillwerder das Thema Mobility Hub. Hier geht es darum, Parkplätze aus dem Straßenraum zu entfernen und im Hub zu zentralisieren. In diesen neuen Quartierszentren erfolgt der Umstieg auf die Last Mile im autofreien Quartier. So wird Platz im Quartier und in den Köpfen frei für Experimentierflächen mit denen wir zeigen können, dass Straßen auch fußgängergerechte oder spannende Spielräume sein können.
 

In ein paar Sätzen: Welchen Rat haben Sie für Stadtplaner:innen und andere Zuständige, die eine Green City erreichen möchten? 
Ein grundsätzlicher Ansatz könnte das Serendipitätsprinzip bieten: Wir brauchen die räumliche Dichte in Städten auch, um glückliche Zufälle zu fördern, um den besseren Job zu finden oder uns zu verlieben. Damit das geht, braucht man Begegnungsräume. Daher entwerfen wir klassische Bewegungsräume als soziale Begegnungsräume – in der Stadt, im Quartier und auch im Gebäude. 

Ein ausgewogener Nutzungsmix ist essenziell. Barcelona und Wien zeigen beispielhaft, dass 50 % Wohnen, 20 % Gewerbe, 20 % Bürofläche und 10 % kulturelle Einrichtungen gut zusammen funktionieren. Das reduziert Wege, fördert die 15-Minuten-Stadt. Planer:innen sollten  immer an den menschlichen Maßstab denken und kleinteilige, poröse Strukturen mit diversen urbanen Räumen dazwischen, mit Grün- und Wasserflächen berücksichtigen. Diese Strukturen fördern die aktive Mobilität, für mich einer der wichtigsten Aspekte der Green City.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Städte im Wettkampf um Talente stehen. Wenn wir also biodiverse Quartiere und Städte für gesündere und damit auch glücklichere Städter bauen, sind wir auf dem richtigen Weg. Und daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten – für Mensch, Flora und Fauna.
 

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