»Deutschland ist attraktiver geworden«

Fast 35 Milliarden Euro investierten ausländische Unternehmen 2023 in Deutschland. Was den Standort so begehrt macht, erläutert Dr. Robert Hermann, Geschäftsführer der Germany Trade & Invest (GTAI).

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Interview: Axel Novak Redaktion

Herr Dr. Hermann, wie attraktiv ist Deutschland für Unternehmen aus dem In- und Ausland?

Deutschland bleibt für Unternehmen hochattraktiv, insgesamt wurden hier im vergangenen Jahr 34,8 Milliarden Euro investiert. Wir haben 1.759 Investitionsprojekte verzeichnet und wissen, dass die Investitionsvolumina in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Das liegt unter anderem an den Großprojekten, die wir in den letzten fünf bis acht Jahren betreut haben – zum Beispiel Lilly, CATL oder TMSC.
 

Nun verzeichnen viele Beobachter und Analysten, dass Investitionen rückläufig sind, dass Deutschlands Produktivität sinkt. Wie ordnen Sie solche Analysen ein?

Es gibt viele Unternehmen und Institutionen, die mit unterschiedlichen Zahlen arbeiten. Deshalb ist es wichtig zu differenzieren, denn viele Zahlen sind nicht umfassend, sondern man muss genau wissen, was dahinter steckt. Viele Analysten beziehen zum Beispiel Erweiterungsinvestitionen nicht in ihre Untersuchungen ein. Bei uns ist das anders, denn nur so bekommen wir ein Gefühl dafür, wie sich der Standort entwickelt. Für unsere Jahresberichte arbeiten wir eng mit den Bundesländern zusammen und bekommen deren Ansiedlungszahlen. Deshalb wissen wir: 2023 hatten wir in Deutschland einen leichten Rückgang der ausländischen Investitionen um 1 Prozent, das ist also fast konstant geblieben. 
 

Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern dar?

Deutschland gehört zu den Top-3-Standorten für Auslandsinvestitionen. Diese Position ist relativ stabil. Aber die Investitionsströme verändern sich. Zum Vergleich: Weltweit sind die Investitionen um 2,6 Prozent gestiegen, in Westeuropa aber um 8,8 Prozent gesunken. Hinzu kommt, dass es den großen Unternehmen in der Regel nicht darum geht, in Deutschland zu investieren, sondern in Europa. Und da vergleichen sie Deutschland zum Beispiel mit Frankreich, Ungarn oder Italien. Wenn wir uns diesen Wettbewerb anschauen, dann steht Deutschland nicht schlecht da.
 

Worin sehen potenzielle Investoren die Stärken Deutschlands?

Erstens ist Deutschland ein großer und wichtiger Markt in Europa. Zum anderen steht Deutschland
für innovative Technologien und Innovationskraft insgesamt. Relevant sind auch die erneuerbaren Energien: Die Verfügbarkeit von regenerativem Strom ist oft entscheidend für die Standortwahl. Viertens das Thema Fachkräfte: Dass diese fehlen, ist kein deutsches Inselproblem, sondern ein europäisches. Aber man traut den Deutschen zu, dafür Lösungen zu finden. Und schließlich: Bürokratie hat für Investoren auch etwas Verlässliches. Unternehmen planen auf Jahre hinaus. Da ist die Stabilität der Rahmenbedingungen eines der wichtigsten Themen – und da ist Deutschland gut aufgestellt. 
 

Wer investiert heute in Deutschland und warum?

Wir sehen viele große Unternehmen, die investieren. Unter den 1.759 Projekten sind elf mit mehr als 500 Millionen Euro, acht sogar mit mehr als einer Milliarde Euro: Sanofi in Frankfurt am Main mit einer Milliarde, Lilly in Alzey mit mehr als zwei Milliarden. Das sind Beispiele aus der Pharmabranche, die zeigen, dass die Unternehmen am Standort sehr interessiert sind. Das hat viel mit Innovationsfähigkeit zu tun, aber auch damit, dass die Bundesregierung die Produktzulassung verkürzt und vereinfacht hat. Deutschland ist attraktiver geworden. Auch andere große Unternehmen kommen gerne: Apple, British Petroleum, Microsoft oder TSMC. Die gesamte Transformation der deutschen Wirtschaft ist attraktiv für Unternehmen aus den Bereichen KI, Erneuerbare Energien oder Mobilität, also beispielsweise Batterietechnologie. In welchen Regionen der Bundesländer dann investiert wird, hängt von der Branche und dem Ökosystem ab.

DR. ROBERT HERMANN, Geschäftsführer der Germany Trade & Invest (GTAI)
DR. ROBERT HERMANN, Geschäftsführer der Germany Trade & Invest (GTAI)

Hohe Energiekosten, ausufernde Bürokratie oder fehlende Fachkräfte werden oft als Hemmnisse beklagt. Erleben Sie das auch so?

Da gibt es natürlich unterschiedliche Sichtweisen. Das Thema Erneuerbare Energien beziehungsweise die Energiewende ist ein Verkaufsargument, führt aber zu höheren Preisen. Bürokratie ist eine Herausforderung, gerade weil wir oft nicht digital genug sind, steht aber auch für Verlässlichkeit. Ähnliches gilt für das Thema Fachkräfte: Das kann eine Herausforderung sein, aber die gibt es in ganz Europa.
 

Wie wirken sich denn politische Entwicklungen wie die jüngsten Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen auf Investitionsentscheidungen aus?

Dafür sind die Wahlergebnisse noch zu frisch, das hat sicher noch keine Auswirkungen. Aber die Tendenz ist nicht positiv. Die Unternehmen bekommen das mit, und wir müssen ehrliche Antworten geben.

Dafür sind die Wahlergebnisse noch zu frisch, das hat sicher noch keine Auswirkungen. Aber die Tendenz ist nicht positiv. Die Unternehmen bekommen das mit, und wir müssen ehrliche Antworten geben.
 

Wie beurteilen sie den Zustand der Infrastruktur in Deutschland?

Die Infrastruktur - Straße und Schiene - ist noch da, aber sie muss modernisiert werden, das ist unbestritten. Entscheidend ist, dass wir transparent machen, wo Deutschland steht. Man muss berücksichtigen, dass wir bei großen Unternehmen über ein europäisches Umfeld reden. Und da stellt sich immer die Frage: In welchem europäischen Land ist es besser? Wo sind die Rahmenbedingungen besser?
 

Wie notwendig sind Subventionen und staatliche Förderungen? Die USA haben ja mit dem Inflation Reduction Act sehr viele Investitionen ausgelöst.

Subventionen sind ein wichtiger Bestandteil von Projekten. Meistens ist die erste oder zweite Frage eines Investors: Welche Förderungen gibt es? Inzwischen ist die Förderpolitik viel transparenter geworden. Deshalb sehen wir, dass andere Nationen sehr stark subventionieren, was sich auf die Investitionsströme auswirkt. Aber auch in der EU gibt es umfangreiche Förderinstrumente. Bei speziellen IPCEI-Projekten (Important Projects of Common European Interest) können die Regionen auch höhere Fördersummen auszahlen als sonst üblich.
 

Was könnten denn Bund und Länder tun, um mehr Investitionen aus dem Ausland zu generieren?

„Könnten“ hieße, nichts zu tun! Das ist aber nicht der Fall. Wichtig ist das Signal: Ihr seid uns willkommen. Wir brauchen euch als Unternehmen und eure Technologien. Dieses Signal sendet die Bundesregierung aus – und das war nicht immer so.
 

GERMANY TRADE & INVEST (GTAI)

Wie die meisten Industriestaaten hat auch die Bundesrepublik eine Agentur, die Investoren nach Deutschland locken soll – und gleichzeitig deutschen Unternehmen hilft, Märkte im Ausland zu finden. Rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der GTAI in der Investorenanwerbung tätig. Sie betreuen jährlich rund 1.500 Unternehmen, die in Deutschland investieren wollen. In 99 Prozent der Fälle handelt es sich um mittelständische Unternehmen.

Nächster Artikel