Herr Dr. Hermann, wie attraktiv ist Deutschland für Unternehmen aus dem In- und Ausland?
Deutschland bleibt für Unternehmen hochattraktiv, insgesamt wurden hier im vergangenen Jahr 34,8 Milliarden Euro investiert. Wir haben 1.759 Investitionsprojekte verzeichnet und wissen, dass die Investitionsvolumina in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Das liegt unter anderem an den Großprojekten, die wir in den letzten fünf bis acht Jahren betreut haben – zum Beispiel Lilly, CATL oder TMSC.
Nun verzeichnen viele Beobachter und Analysten, dass Investitionen rückläufig sind, dass Deutschlands Produktivität sinkt. Wie ordnen Sie solche Analysen ein?
Es gibt viele Unternehmen und Institutionen, die mit unterschiedlichen Zahlen arbeiten. Deshalb ist es wichtig zu differenzieren, denn viele Zahlen sind nicht umfassend, sondern man muss genau wissen, was dahinter steckt. Viele Analysten beziehen zum Beispiel Erweiterungsinvestitionen nicht in ihre Untersuchungen ein. Bei uns ist das anders, denn nur so bekommen wir ein Gefühl dafür, wie sich der Standort entwickelt. Für unsere Jahresberichte arbeiten wir eng mit den Bundesländern zusammen und bekommen deren Ansiedlungszahlen. Deshalb wissen wir: 2023 hatten wir in Deutschland einen leichten Rückgang der ausländischen Investitionen um 1 Prozent, das ist also fast konstant geblieben.
Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern dar?
Deutschland gehört zu den Top-3-Standorten für Auslandsinvestitionen. Diese Position ist relativ stabil. Aber die Investitionsströme verändern sich. Zum Vergleich: Weltweit sind die Investitionen um 2,6 Prozent gestiegen, in Westeuropa aber um 8,8 Prozent gesunken. Hinzu kommt, dass es den großen Unternehmen in der Regel nicht darum geht, in Deutschland zu investieren, sondern in Europa. Und da vergleichen sie Deutschland zum Beispiel mit Frankreich, Ungarn oder Italien. Wenn wir uns diesen Wettbewerb anschauen, dann steht Deutschland nicht schlecht da.
Worin sehen potenzielle Investoren die Stärken Deutschlands?
Erstens ist Deutschland ein großer und wichtiger Markt in Europa. Zum anderen steht Deutschland
für innovative Technologien und Innovationskraft insgesamt. Relevant sind auch die erneuerbaren Energien: Die Verfügbarkeit von regenerativem Strom ist oft entscheidend für die Standortwahl. Viertens das Thema Fachkräfte: Dass diese fehlen, ist kein deutsches Inselproblem, sondern ein europäisches. Aber man traut den Deutschen zu, dafür Lösungen zu finden. Und schließlich: Bürokratie hat für Investoren auch etwas Verlässliches. Unternehmen planen auf Jahre hinaus. Da ist die Stabilität der Rahmenbedingungen eines der wichtigsten Themen – und da ist Deutschland gut aufgestellt.
Wer investiert heute in Deutschland und warum?
Wir sehen viele große Unternehmen, die investieren. Unter den 1.759 Projekten sind elf mit mehr als 500 Millionen Euro, acht sogar mit mehr als einer Milliarde Euro: Sanofi in Frankfurt am Main mit einer Milliarde, Lilly in Alzey mit mehr als zwei Milliarden. Das sind Beispiele aus der Pharmabranche, die zeigen, dass die Unternehmen am Standort sehr interessiert sind. Das hat viel mit Innovationsfähigkeit zu tun, aber auch damit, dass die Bundesregierung die Produktzulassung verkürzt und vereinfacht hat. Deutschland ist attraktiver geworden. Auch andere große Unternehmen kommen gerne: Apple, British Petroleum, Microsoft oder TSMC. Die gesamte Transformation der deutschen Wirtschaft ist attraktiv für Unternehmen aus den Bereichen KI, Erneuerbare Energien oder Mobilität, also beispielsweise Batterietechnologie. In welchen Regionen der Bundesländer dann investiert wird, hängt von der Branche und dem Ökosystem ab.