Sie haben gerade zum zweiten Mal Ihre Zukunftsstudie Handel veröffentlicht. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?
Handelstrends und Entwicklungen für das kommende Jahr müssen aktuell im Kontext der Omnikrise betrachtet werden. Klimakrise trifft auf Wirtschaftskrise trifft auf politische Krise trifft auf globale Konflikte. Das führt gerade bei sehr vielen Menschen zu einer kognitiven Erschöpfung. Sie sind müde und haben Angst, in die Zukunft zu schauen. Das wirkt sich natürlich auf ihr Konsumverhalten aus.
Heißt, die Menschen sind zurückhaltender beim Konsum?
Ich würde es als bewusster beschreiben – also nachhaltiger, weniger und auch sparsamer.
Sparsamer würde das Phänomen der Billigkultur erklären. Denn Marken wie Shein oder Temu erfreuen sich aktuell großer Beliebtheit …
Richtig, wobei diese Kultur weit über die von Ihnen genannten Beispiele hinausgeht. Insgesamt werden derzeit 22 Prozent aller Waren des alltäglichen Gebrauchs in Deutschland rabattiert angeboten. Und das führt zu einem ganz anderen Verhältnis von Preis/Leistung. In den nächsten zwei Jahren wird sich alles um diesen Aspekt drehen: Was ist der richtige Preis und was ist ein Produkt überhaupt noch wert?
Gleichzeitig sagen Sie – und das belegt Ihre Studie –, dass Nachhaltigkeit ebenfalls eine immer größere Rolle spielt. Wie passt das zum „Billigtrend“?
Das ist eine der großen Herausforderungen für den deutschen Handel, bei der Innovationskraft und Kreativität gefragt sind. Es muss Unternehmen wieder gelingen, Menschen von guten Produkten zu begeistern – und zwar unabhängig von der Branche. Preis/Leistung wird zunehmend und vor allem in Zukunft zur Vertrauenssache – Vertrauen, das es zurückzuholen gilt. Und zwar mit anderen Formen von Rabatten und Leistungen, die uns zukünftig Wert schaffen.
Interessant ist der Fokus der Konsumenten auf den Preis in Krisenzeiten dennoch. Denn gerade wenn die Welt draußen unterzugehen scheint, hat man doch das Bedürfnis, sich etwas Gutes zu tun …
Tatsächlich erleben wir deshalb auch das Wiederaufflammen eines Megatrends, der schon einmal da war, jetzt aber mehr Raum bekommt. Nämlich Produkte, die auf die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden einzahlen. Der Trend hin zu Wellbeing-Markets entspricht dem Wunsch der Verbraucher nach einem bewussten und gesunden Lebensstil. Unternehmen, die hier positive Einkaufserlebnisse und Wohlfühlprodukte anbieten, werden sich in einem wachsenden Markt positionieren können. Dieses Wohlfühlen wirkt sich im Übrigen auch auf die Gestaltung der Läden aus. Alles wird wieder wertiger, Materialien und Design bleiben naturbelassen.
Wie kann der stationäre Handel hier punkten?
Wenn er die Trends erkennt und innovativ ist. Es gibt in Berlin einen Käsekuchenladen, der über 15 verschiedene Sorten anbietet, die nur mit natürlichen Zutaten und ohne Zucker gebacken werden. Die Schlange geht bis auf die Straße. Ähnliche Trends sehen wir bei Wein, der mittlerweile immer öfter pur, also ohne Zuckerzusatz, und dadurch kalorienreduziert produziert wird.
Das heißt, Konsum wird entweder durch Rabatte angekurbelt oder außergewöhnliche Erlebnisse, die begeistern …
Das ist eine gute Zusammenfassung, ja. Denn was die Menschen nicht wollen, ist verzichten. Das funktioniert entweder, wenn Produkte billig sind oder besonders herausstechen. Der Handel muss daher schauen, wo und wie er sich positioniert, und dafür schlicht ausgetretene Pfade verlassen. Dazu gehören definitiv auch neue Technologien, denn gerade im E-Commerce wird dank Künstlicher Intelligenz das Schoppingerlebnis immer persönlicher und intuitiver – Aspekte, mit denen bisher vor allem der stationäre Handel überzeugen konnte, weshalb jetzt auch hier neue Servicestandards gesetzt werden.