Vom Bauarbeiter zum BIM-Manager

In der Baubranche fehlt es auf allen Ebenen an Nachwuchs. Dabei eröffnet die Digitalisierung ganz neue Berufschancen. 

Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Axel Novak Redaktion

Berlin schon wieder: Kaum kommt der Frühling, wird gefeiert – diesmal der Bezug von 150 Wohnungen im Neubau. In der Senftenberger Straße im Ostberliner Bezirk Hellersdorf hat die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land zwei Wohngebäude fertiggestellt und vermietet. Was sie auszeichnet, ist nicht nur ihr Preis – im Durchschnitt sind 11,50 Euro pro Quadratmeter fällig – sondern: Die fünf Geschosse hohen Häuser wurden in nur 22 Monaten mit der BIM-Methode und digitalen Modellen gebaut. „Durch den Einsatz von BIM gewinnt ein Bauprojekt an Transparenz, Qualität, Kosten- und Terminsicherheit“, sagt Thomas Riedel vom Bauunternehmen Otto Wulff, das die Häuser errichtet hat: „BIM funktioniert aber nicht nur über neueste Technologien, sondern vor allem auch durch Teamwork.“

Das digitale Building Information Modeling – BIM – hilft bei der Planung und Steuerung von Bauwerken über den gesamten Lebenszyklus. Virtuelle Modelle eines Bauprojekts schaffen einen ganzheitlichen Überblick. So können zum Beispiel Änderungen im Plan sofort in Monteuranweisungen vor Ort einfließen oder die Anforderungen an die Klimatechnik schon in den ersten Bauentwürfen erkennbar werden. 

BIM ist die umfassendste Innovation in der doch recht konservativen Baubranche. Bislang werden Abrechnungen, Tagesberichte und andere Dokumentationen oft in Papierform erstellt. Das kostet Zeit und Personal, das möglicherweise besser woanders eingesetzt werden könnte. BIM ist allerdings nicht ganz neu, sondern wird seit vielen Jahren in Pilotprojekten vor allem der öffentlichen Hand eingesetzt. Doch die vielen meist kleineren Unternehmen oder Ein-Personen-Betriebe in der deutschen Baubranche sind mit der Methode oft nicht vertraut.

Diese verzögerte Digitalisierung macht sich nun besonders bemerkbar. Denn sie führt dazu, dass Fachkräfte das Unternehmen wechseln oder sich erst gar nicht bewerben, weil sie längst digital arbeiten wollen. Das betrifft vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen. 

Dabei hat die Branche einen enormen Bedarf an neuen Fachkräften. In der Bauwirtschaft können 53 Prozent der derzeit offenen Stellen zumindest teilweise nicht besetzt werden, weil die Firmen keine passenden Arbeitskräfte finden, so die Herbstumfrage 2023/24 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Nicht nur die klassischen Bauunternehmen suchen, sondern auch Architekten und Ingenieurdesigner. An dieser Lücke ändert auch die veränderte Auftragslage in der Branche nichts.

Um mehr Digitalisierung in die Berufe zu bringen, haben die Bau-Tarifpartner und überbetrieblichen Berufsbildungseinrichtungen deshalb damit begonnen, neue Lerninhalte in den klassischen Berufen zu vermitteln. Im Projekt „B³AUS“ beispielsweise arbeiten sechs Baubildungszentren aus sechs Bundesländern zusammen. Sie trainieren Auszubildende an digitalen Bauwerksmodellen, um ein ganzheitliches Verständnis für das Bauwerk zu schaffen. So kann jeder Auszubildende erkennen, welchen Beitrag er in welchem Kontext leistet. Gleichzeitig werden die BIM-geschulten Fachkräfte zu Multiplikatoren in den Unternehmen, in denen sie später arbeiten. „In der überbetrieblichen Ausbildung nehmen die das mit und tragen das in die Betriebe hinein“, erläutert Stefan Münich, Teilprojektkoordinator an der Bildungsakademie der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. 

Doch BIM ist mehr als nur 3D-Modellierung, sondern vor allem eine Koordinations- und Managementaufgabe. In den Unternehmen gibt es dafür unterschiedliche Funktionen: So genannte BIM-Konstrukteure beschäftigen sich vorzugsweise mit der Entwurfs-, Ausführungs- und Detailplanung am BIM-Modell nach festgelegten Modellierungsregeln. Der BIM-Koordinator verwaltet und koordiniert die Erstellung digitaler Modelle und integrierter Daten über die gesamte Projektphase – vom Entwurf bis zum Bau. Er steuert also das BIM-Projekt und ist die interdisziplinäre Verbindungsperson zwischen Projektmanagern, Architekten, Ingenieuren und anderen Mitarbeitern. BIM-Manager schließlich vermitteln im Unternehmen und im Projekt die Techniken, Anforderungen und Verantwortlichkeiten sowie die Grundsätze für eine erfolgreiche BIM-Einführung. Sie steuern und setzen BIM-Prozesse im Sinne des Unternehmens durch. 

Diese Ebenen zu besetzen, ist nicht einfach. Die Unternehmen haben die Erfahrung gemacht, dass sich erfahrene BIM-Fachkräfte kaum finden lassen, weil sie selten, oft in festen Jobs und noch dazu gut bezahlt werden. Daran ändert auch nichts, dass BIM schon seit geraumer Zeit an den Hochschulen in Vorlesungen, Workshops, Praxisübungen und Abschlussarbeiten ein Thema ist. Denn vielen Hochschulabgängern mit BIM-Know-how fehlt es an praktischer Erfahrung. Die digitalen Planungsmethoden müssen deshalb in den Büros neu erlernt und vertieft werden, durch Selbststudium, über Webinare oder bei speziellen praxisorientierten BIM-Kursen, Seminaren und Workshops. Solche BIM-Ausbildungsangebote bieten vor allem Verbände und Institutionen wie der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) an, aber auch Anbieter von Bausoftware und andere Dienstleister. Weil die Qualität dieser Angebote allerdings oft sehr unterschiedlich ist, bilden große Unternehmen ihr BIM-Fachpersonal meist selbst aus. Ausgewählte Mitarbeiter mit Praxiserfahrung, die Lust auf IT-Werkzeuge haben, durchlaufen interne Schulungen. 

Bleibt allein ein Problem: Noch fehlen nicht nur die Fachkräfte, die mit BIM arbeiten können, sondern auch die Lehrer und Lehrerinnen, die ungelernte Arbeitskräfte zu dringend benötigten Fachkräften machen. „Da der Einsatz der BIM-Methodik hierzulande jedoch noch nicht Status quo in unseren Projekten ist, sind jahrelang erfahrene Profis dementsprechend nicht so leicht zu finden“, sagt Beraterin Sarah Kristina Merz in einem Interview auf dem Branchen-Onlineportal Build-Ing. „Auf BIM-Grundlagenniveau gibt es schon eine Vielzahl sehr guter Lehrender; in den Vertiefungsrichtungen erreicht diese Qualität in Aus-, Fort- und Weiterbildung erst langsam den Markt.“ Merz ist allerdings zuversichtlich: „Doch je mehr bestenfalls lehrwillige Menschen die bestehenden Qualifikationsangebote annehmen, umso schneller steigt auch die Zahl kompetenter Lehrender.“ 
 

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