Die mittelständische Hachenburger Brauerei im Westerwald beschäftigt rund 90 Mitarbeitende, darunter zehn Auszubildende. Jens Geimer, Inhaber in der fünften Generation, will mit seinem Unternehmen bis 2030 komplett klimaneutral wirtschaften. Aktuell kompensiert er die Treibhausgas-Emissionen, die er noch nicht vermeiden kann. Schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine bezahlte die Brauerei fünf bis acht Prozent ihres Umsatzes für Energie. Entsprechend groß ist jetzt das Einsparpotenzial.
In einem ersten Schritt hat Geimer beim Beratungsunternehmen Zukunftswerk, einer Genossenschaft im oberbayerischen Peißenberg, eine Klimabilanz für seine Brauerei in Auftrag gegeben. Zwei seiner Mitarbeiter hätten jeweils rund 50 bis 60 Arbeitsstunden damit verbracht, die dafür erforderlichen Daten zu sammeln. „Nachdem wir schon weitgehend digitalisiert sind, hielt sich der Aufwand in Grenzen“, berichtet der Brauereichef. Viele Informationen hatte das Unternehmen auch schon für seine Gemeinwohl-Bilanz ermittelt.
Die Bilanzierer unterscheiden zwischen Treibhausgasen, die im Unternehmen selbst entstehen (SCOPE 1), etwa aus dem Fuhrpark oder einer eigenen Heizanlage. Im Beispiel der Brauerei wären das auch die Abgase des Brauvorgangs. Zum sogenannten SCOPE 2 zählen indirekte Emissionen, die in erster Linie durch den Bezug von Energie im Unternehmen entstehen, also Strom, Fernwärme, Wasserdampf etc. Diese entstehen zum Beispiel in den Kraftwerken, die Strom und Fernwärme herstellen. Diese kann das Unternehmen zumindest teilweise beeinflussen, etwa durch einen Lieferantenwechsel.
Zu den sogenannten SCOPE 3-Emissionen dagegen zählen sämtliche Vorprodukte und die Nachnutzung der Ware, also die gesamte Lieferkette: von der Gewinnung der Rohstoffe über sämtliche Vorprodukte bis hin zu allen Prozessen, die beim Kunden des jeweiligen Unternehmens mit dessen Produkten stattfinden.
Allerdings wissen nur wenige Unternehmen, woher ihre Vorprodukte stammen, wie und mit welchen Umweltauswirkungen sie hergestellt wurden und was ihre Kunden sowie sämtliche nachfolgende Nutzer mit ihren Produkten tun. Und das ist ein Problem. Denn nach Meinung vieler Expertinnen und Experten entsteht hier ein Großteil der Emissionen.
Bastian Schröter leitet an der Hochschule für Technik in Stuttgart den Studiengang „Sustainable Energy Competence“ SENCE und das Zentrum für nachhaltige Energietechnik. Mit seinem Unternehmen CO2OP erstellt er zudem Klimabilanzen für zahlreiche Unternehmen. Er schätzt, dass „80 Prozent der klimaschädlichen Emissionen eines Unternehmens in den Lieferketten und bei der Nutzung seiner Produkte durch die Kundinnen und Kunden“ entstehen und nur etwa 20 Prozent im produzierenden Unternehmen selbst (SCOPE 1 und 2).
Deshalb verlangten immer mehr Auftraggeber – zum Beispiel in Ausschreibungen – auch eine Bilanzierung des Bewerbers nach SCOPE 3. Die brauchen sie, um selbst eine umfassende Treibhausgas-Bilanz für ihr jeweiliges Unternehmen zu erstellen. Für das Unternehmen bedeutet das einen Mehraufwand, der sich allerdings in vielen Fällen auch lohne, so Schröter. So könnten Betriebe, die ihre gesamte Beleuchtung auf LED-Lampen umstellen, ihren Stromverbrauch um bis zu 70 Prozent verringern. Bei Druckluft sehen Fachleute Einsparpotenziale von bis zu 50 Prozent, bei Wärme und Kälte jeweils bis zu 30 Prozent. Auch Firmen, die Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzen und, wo möglich, ihren Beschäftigten Bahntickets statt Flüge buchen, verbessern ihre Klimabilanz.
Je schneller die Preise für CO2-Verschmutzungsrechte im Rahmen des europäischen Emissionshandels steigen, desto eher rentiert sich die Klimaneutralität für den Betrieb. Auch angesichts steigender Energiekosten und brüchiger Lieferketten machen sich Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit heute schneller bezahlt denn je. Einkauf in der Region verkürzt die Transportwege und verringert die Abhängigkeit von Zulieferern in fernen Ländern, die – wie jüngst in China oder Russland – schnell ausfallen können.
Gelingen kann die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und letztlich zur Klimaneutralität des Unternehmens, wenn alle im Betrieb mitmachen. Nicht wenige Projekte scheitern, weil Angestellte sich von den Veränderungen überrumpelt fühlten.
In der Hachenburger Brauerei gab es kaum Widerstand gegen den Wandel hin zur Klimaneutralität. Im Gegenteil. Das Unternehmen hat mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen seinen Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen nach eigenen Angaben seit 2015 halbiert: auf aktuell 4.000 Tonnen pro Jahr. Diese Restmenge kompensiert das Unternehmen durch den Kauf von Zertifikaten bei einer Organisation, die energieeffiziente Kochöfen an arme Familien in Ruanda verteilt.
Auch andere Kompensationsprojekte versprechen Entlastung fürs Klima. Die Idee: Für Treibhausgasemissionen, die mein Unternehmen oder seine Produkte verursachen, bezahle ich einen Ausgleich an eine Organisation. Diese finanziert mit den Einnahmen Klimaschutzprojekte vor allem in Ländern des Globalen Südens. Dort bewirkt man mit einem investierten Euro wegen der niedrigeren Kosten zum Beispiel für Löhne deutlich mehr fürs Klima als in Europa.
Allerdings lässt sich in der Ferne die Wirkung der Zahlung nur schwer kontrollieren. Das gilt auch für Aufforstungsprojekte. Werden von den Kompensationszahlungen Bäume gepflanzt, dauert es 30 Jahre und mehr bis diese in nennenswertem Umfang Kohlendioxid aufnehmen. Brennt der neue Wald ab oder wird er später gefällt, ist der Klimaschutz-Effekt dahin – ebenso, wenn Wald an anderer Stelle abgeholzt wird oder die Setzlinge wieder eingehen.
Prof. Dr. Jens Hesselbach, Leiter des Fachgebiets Umweltgerechte Produkte und Prozesse (upp) an der Uni Kassel, sieht die CO2-Kompensationen deshalb kritisch. „Das Geld, das ich für Ausgleichszahlungen ausgebe, fehlt mir für Investitionen in Klimaschutz bei mir im Unternehmen“, erklärt der Wissenschaftler. Er empfiehlt stattdessen, die Mittel in einem eigenen Klimaschutzfonds anzulegen, aus dem man dann etwa eine eigene Solaranlage finanzieren könne.