Den Dreck unter dem Glanz sichtbar machen

Ein Beitrag von Vieri

Guya Merkle ist Gründerin und Inhaberin des Berliner Goldschmuck-Labels Vieri.
Guya Merkle ist Gründerin und Inhaberin des Berliner Goldschmuck-Labels Vieri.
Vieri Beitrag

Frau Merkle, als Goldschmuckdesignerin legen Sie Wert auf Unverwechselbarkeit, doch Ihr Label Vieri sticht auch durch einen besonderen Anspruch an unternehmerische Verantwortung hervor – was ist Ihr Ansatz?

Vieri tut gar nichts Spektakuläres, wir nennen die Dinge bloß beim Namen, um bei Käufer:innen und in unserer Branche das Bewusstsein zu schärfen: Gold ist ein höchst problembehafteter Rohstoff. Es wird weltweit zum größten Teil in Kleinminen abgebaut, die enorme Umweltschäden verursachen, die Arbeiter:innen, die manchmal noch Kinder sind, werden ausgebeutet und müssen oft unter lebensgefährlichen Bedingungen zu Werke gehen.
 

Gibt es auch verantwortungsvoll abgebautes Gold?

Ja, dafür stehen vor allem die aus meiner Sicht vertrauenswürdigen Label Fairtrade-Gold und Fairmined-Gold. Die Organisationen dahinter zertifizieren Minen, die in bessere Arbeits-, Lebens- oder Umweltbedingungen investieren. Für das zertifizierte Gold zahle ich als Einkäuferin im Goldhandel zehn bis 15 Prozent Premium-Aufpreis, ein Teil des Geldes kommt wiederum den Arbeiter:innen zugute. Eigentlich ein prima Konzept. Aber angesichts des derzeit enorm hohen Goldpreises kann sich kaum jemand den Aufschlag leisten, die Minen bleiben auf ihrem Gold sitzen und verzichten im Zweifelsfall auf die Zertifizierung.
 

Ist recyceltes Gold eine sinnvolle Alternative?

Ja, aber man muss das differenziert betrachten. Recycling ist grundsätzlich gut, weil es dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft entspricht. Doch bei recyceltem Gold kennt niemand die exakte Herkunft des Materials, denn wenn das Metall eingeschmolzen wird, gehen fast alle Spuren verloren. Hinzu kommt, dass die Wiederverwertung nicht das Problem der Abbauzustände löst: Unabhängig von der Recyclingmenge wird Gold immer weiter abgebaut – von den rund 4.000 Tonnen, die jährlich für Schmuck, Industrie und Handys sowie als Anlageprodukt und Währung benötigt werden, kommen 3.000 Tonnen frisch aus der Mine.
 

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Zum einen verwenden wir nur recyceltes Gold, beispielsweise aus deutschen Scheideanstalten, das mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit aus Industrieabfällen und eingeschmolzenem Altgold stammt. Keine perfekte Lösung, aber pragmatisch richtig. Wichtiger ist mir aber, dass wir das Kernproblem der Goldmisere angehen: die Abbau- und Lebensbedingungen.
 

Wie tun Sie das?

Ungefähr 30 Millionen Menschen weltweit arbeiten im Goldabbau, 100 Millionen hängen vom Goldgeschäft ab. Ich habe viele Minen besucht und mit den Menschen dort gesprochen. Die Berichte junger Männer von ihren Todesängsten unter Tage, der Unterdrückung durch die Betreiber, der Anblick der gewaltigen Umweltschäden – das hat mich vor zwölf Jahren veranlasst, die Earthbeat Foundation zu gründen, die Vieri gehört und sich sich aus den Gewinnen des Unternehmens finanziert. Mit dem Geld helfen wir Menschen vor Ort alternative Einkommensquellen zu finden, wir fördern Bildungs- und Finanzprogramme und konnten sogar schon zur Schließung und Renaturierung von Minen beitragen.
 

Haben Sie eine Vorstellung, was Sie mit Ihrem Engagement noch erreichen wollen?

Wir können das System nicht im Alleingang ändern, aber Vorbild sein, um Einfluss zu nehmen. Vieri soll irgendwann so groß werden, dass sogar Cartier merkt: „Hoppla, da ist ein Berliner Label, das sich für einen Strukturwandel im Goldgeschäft einsetzt und uns auch noch Marktanteile wegschnappt!“ Wenn diese Weltmarke unser Konzept dann nachahmt – wunderbar. 

vieri.com

 

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