Frau Picallo Gil, wie steht es um das Tierwohl in der Modeindustrie?
Mehr als fünf Milliarden Tiere werden jährlich für die Modeindustrie genutzt – und viele von ihnen leiden unter grausamen Praktiken und niedrigen Tierschutzstandards. Eines der größten Probleme, dem sich VIER PFOTEN widmet, ist die Pelzindustrie als Ganzes, das Lebendrupfen von Gänsen und Enten, und die Lämmerverstümmelung, auch bekannt als Mulesing.
Was ist das Problem in der Pelzindustrie?
Es gibt keinen Pelz, der tierfreundlich produziert wird. Auch die Zertifizierungsprogramme der Pelzindustrie bieten keine höheren Tierschutzstandards. Auf Pelzfarmen verbringen Wildtiere wie Nerze, Marderhunde und Füchse ihr ganzes Leben in Käfigen mit Drahtgitterböden, die ihnen jede Möglichkeit nehmen, ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben – nur um dann durch Vergasung oder anale Elektroschocks getötet zu werden. Wie Sie echten Pelz erkennen – und vermeiden – können, beschreiben wir auf unserer Website.
Wo steckt Tierleid in Daunen?
Daunen in Outdoor-Bekleidung oder Decken und ähnlichen Produkten stammen oft von Gänsen und Enten aus Massentierhaltung. Beim Lebendrupf werden den Gänsen die Daunen brutal und ohne Schmerzlinderung herausgerissen, was oft zu Verletzungen und Knochenbrüchen und manchmal sogar zum Tod führt. Da die Daunen jedes Mal feiner nachwachsen, besteht für die Züchter:innen ein Anreiz, sie alle fünf bis sechs Wochen zu rupfen. Vögel, die zu Reproduktionszwecken in sogenannten Elterntierbetrieben gehalten werden, sind besonders gefährdet, da sie länger leben und häufiger gerupft werden können. Da Elterntierbetriebe meist nicht mitkontrolliert werden, raten wir auf Alternativen umzusteigen.
Wo ist Tierleid in Wolle zu finden?
Schafwolle ist eines der am häufigsten verwendeten tierischen Materialien in der Modeindustrie. Das Hauptproblem bei Wollprodukten ist die Verstümmelung der Lämmer (Mulesing), eine blutige Prozedur, die nur in Australien, dem weltweit größten Wollproduzenten für die Modeindustrie, durchgeführt wird. Dabei werden den Lämmern große Hautstreifen rund um das Gesäß abgeschnitten, ohne dass die Schmerzen angemessen oder überhaupt gelindert werden. Ziel der Prozedur ist es, dem Befall durch Schmeißfliegen vorzubeugen, die ihre Larven in die Hautfalten um den After herum legen. Diese Hautfalten sind ein Zuchtergebnis, um die Hautfläche und somit den Wollertrag zu vergrößern. Neben unerträglichen Schmerzen sterben auch schätzungsweise 400.000 Lämmer jährlich an den Folgen der Verstümmelung. Dabei gibt es längst schmerzfreiere und wirksamere Methoden – etwa die Züchtung von Tieren mit weniger Hautfalten, die ohne Verstümmelung überleben und Wolle liefern. Das ist auch ökonomisch sinnvoll. Nur Alternativen können Tierleid garantiert ausschließen. Wer nicht auf Schafwolle verzichten möchte, sollte nach Tierwohl-Siegeln wie RWS, NATIVATM oder ZQ Merino Ausschau halten.
Was können Konsument:innen für mehr Tierwohl tun?
Wir empfehlen, unseren Markenkompass zu nutzen, der über 250 Labels auf ihr Engagement gegen Tierleid untersucht und regelmäßig erweitert wird. Verbraucher:innen haben eine wichtige Stimme. Sie können Marken anschreiben oder bei unseren Initiativen mithelfen, um mehr Bewusstsein zu schaffen. Je präsenter das Thema Tierwohl in der Mode ist, desto eher fühlt sich die Industrie, wie auch die Politik, in der Verantwortung etwas zu unternehmen.
www.vier-pfoten.de