Tierwohl ist Umweltschutz

Tierhaltung, Transporte und Tierversuche sind nicht nur ethisch problematisch, sondern auch klimaschädlich. Warum Tierwohl ein oft unterschätzter Schlüssel für echte Nachhaltigkeit ist.

Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Oskar Rheinhold Redaktion

Nachhaltigkeit ist mehr als Strom sparen, Müll trennen oder CO2kompensieren. Sie umfasst auch die Art, wie wir mit Tieren umgehen. Tierwohl und Umweltschutz stehen in enger Verbindung – oft enger, als vielen bewusst ist. Tiere werden in unterschiedlichsten Bereichen genutzt: in der Landwirtschaft, der Forschung, der Mode‑ und Kosmetikindustrie. Ihre Lebensbedingungen betreffen nicht nur ethische Fragen, sondern auch ökologische Folgen. Wer nachhaltig leben möchte, muss daher auch auf das Tierwohl achten.
 

TIERHALTUNG ALS UMWELTFAKTOR


Die industrielle Tierhaltung gilt weltweit als einer der größten Verursacher von Umweltproblemen. Laut der Ernährungs‑ und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist sie für rund 14,5 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich – mehr als der gesamte Verkehrssektor. In Deutschland stammen laut Umweltbundesamt etwa zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Emissionen aus der Tierhaltung. Die Gründe sind vielfältig: Methan aus der Verdauung von Wiederkäuern, Lachgas aus Gülle und Düngemitteln, Emissionen durch Futtermittelpro‑ duktion sowie der Energieverbrauch in Mastanlagen. 

Hinzu kommt der Ressourcenverbrauch: Für die Aufzucht von Tieren werden große Mengen Wasser, Futtermittel und Fläche benötigt. Der Anbau von Soja für die Fütterung führt oft zur Abholzung wertvoller Regenwälder. Gleichzeitig werden Tiere oft auf engstem Raum gehalten, ohne Zugang zu Auslauf oder sozialem Verhalten. Die Bedingungen sind meist auf Effizienz und Profit optimiert, nicht auf das Wohlbefinden der Tiere – und nicht auf Umweltverträglichkeit.
 

BELASTUNG AUF RÄDERN


Ein häufig unterschätzter Aspekt sind Tiertransporte. Innerhalb der EU werden jährlich über 1,6 Milliarden Tiere transportiert, teils über Hunderte oder gar Tau‑ sende Kilometer. Die Transporte erfolgen oft unter extrem belastenden Bedingungen: hohe Temperaturen, mangelnde Versorgung, Stress und Verletzungen sind keine Seltenheit. Auch für das Klima sind Tiertrans‑ porte problematisch: Der Kraftstoffverbrauch für die Transportfahrzeuge, der Energieaufwand für Reinigung, Kühlung und Logistik erzeugen zusätzliche Emissi‑ onen. Eine Regionalisierung der Verarbeitung – also „Schlachten, wo gehalten wird“ – könnte nicht nur Tierleid reduzieren, sondern auch den ökologischen Fußabdruck erheblich verkleinern.
 

ETHISCH FRAGWÜRDIG


Auch in der Wissenschaft spielen Tiere weiterhin eine Rolle. Laut dem Bundesinstitut für Risikobewer‑ tung wurden 2022 in Deutschland rund 2,5 Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Neben Mäusen und Ratten sind darunter auch Fische, Vögel, Kaninchen oder Affen. Tierversuche stehen seit langem in der Kritik – aus ethischen wie auch aus ökologischen Gründen. Die gute Nachricht: Es gibt Alternativen. 

Moderne Testverfahren mit menschlichen Zellkulturen, „Organoiden“, Biotechnologie oder Computersimu‑ lationen können viele Tierversuche ersetzen. Diese Methoden sind nicht nur tierfreundlicher, sondern oft auch präziser, kostengünstiger und ressourcen‑ schonender. Die EU verfolgt deshalb das sogenannte „3R‑Prinzip“: Replace (ersetzen), Reduce (verringern), Refine (verbessern). Dennoch fehlt es an rechtlicher Verbindlichkeit und finanzieller Förderung für den breiten Einsatz dieser Alternativen.
 

ECHTE NACHHALTIGKEIT


Tierwohl wird häufig als rein moralisches Thema betrachtet. Doch es ist ebenso ein zentraler Bestandteil ökologischer Nachhaltigkeit. Tiere, die artgerecht gehalten werden – mit Auslauf, Beschäftigung, Sozialkontakt und gesunder Ernährung – leben gesünder und benötigen weniger Medikamente, insbesondere Antibiotika. Dies reduziert nicht nur Resistenzprobleme, sondern entlastet auch Böden und Gewässer. Weidetiere tragen zur Pflege von Landschaften bei, fördern die Artenvielfalt und unterstützen den Erhalt traditioneller Kulturräume. Studien belegen, dass eine tierfreundliche Haltungsform durchaus ökologisch sinnvoll sein kann – insbesondere im Vergleich zu intensiver Mast unter hohem Ressourceneinsatz. Auch in anderen Bereichen, etwa der Kosmetik oder Mode, ist Tierwohl relevant: Produkte ohne tierische Inhaltsstoffe oder Tierversuche sind zunehmend gefragt – und häufig auch nachhaltiger in der Herstellung.

Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Illustration: Rosa Viktoria Ahlers

FÜR EINE GEMEINSAME ZUKUNFT


Veränderung braucht politischen Willen, unterneh‑ merisches Umdenken – und bewusste Konsumentschei‑ dungen. Verbraucherinnen und Verbraucher können durch ihr Einkaufsverhalten mitentscheiden, ob Tierwohl und Nachhaltigkeit gefördert oder vernachlässigt werden. Zertifikate wie das EU‑Bio‑Siegel, das Tierschutzlabel „Für mehr Tierschutz“ oder die tierversuchsfreien Siegel „Cruelty Free“ und „Leaping Bunny“ bieten Orientierung. Auch bei Kleidung und Schuhen lohnt sich der Blick auf Herkunft und Materialien.

Nachhaltigkeit bedeutet, unsere Lebensweise so zu gestalten, dass sie ökologisch tragfähig, sozial gerecht und ethisch vertretbar ist. Dazu gehört, Tiere nicht nur als Ressource zu sehen, sondern als Mitgeschöpfe, deren Lebensrecht ebenso wie ihre Lebensqualität zählt. Tier‑ wohl ist kein Nebenaspekt, sondern ein Schlüsselthema für die Zukunft unseres Planeten.
 

MISSSTÄNDE IN DER NUTZTIERHALTUNG


Ein Blick auf die Praxis zeigt, wie groß der Hand‑ lungsbedarf ist: In der Schweinehaltung etwa leben die meisten Tiere auf Spaltenböden mit kaum einem halben Quadratmeter Platz pro Tier. Das verhindert grundlegende Verhaltensweisen wie Wühlen, Ruhen oder Sozialkontakt. Eine tierfreundlichere Haltung mit Stroh, Auslauf und Tageslicht ist bislang nur in Teilen der Bio‑Landwirtschaft Standard. Dabei zeigen Modellprojekte, dass ein Umbau der Haltungsformen möglich und praxistauglich ist.

Auch in der industriellen Geflügelhaltung gibt es erhebliche Probleme. Mastgeflügel erreicht sein Schlachtgewicht von etwa 1,5 Kilogramm bereits nach 35 Tagen – auf schnelles Wachstum gezüchtet, oft mit Haltungsschäden. Tierschutzinitiativen wie die „Initiative Tierwohl“ bemühen sich um verbesserte Standards, doch der Anteil bleibt gering.
 

POLITISCHE INSTRUMENTE UND IHRE GRENZEN


Politisch gibt es zwar Fortschritte, wie das 2023 eingeführte Tierhaltungskennzeichen. Es informiert über die Haltungsform bei Schweinefleisch – ähnlich der Kennzeichnung von Eiern. Doch es gilt nur für frisches Schweinefleisch aus deutscher Herkunft, ist freiwillig und berücksichtigt weder Transport noch Schlachtung. Kritiker fordern daher eine EU‑weite, verpflichtende Kennzeichnung mit klaren Mindest‑ standards.
 

TOURISMUS, FREIZEIT UND TIERWOHL


Auch im Tourismus spielt Tierwohl eine Rolle. Reiten, Streichelzoos oder Wildparks sind beliebt, aber nicht immer tiergerecht. Besonders Elefantenritte, Delfinarien oder Fotos mit Wildtieren in Urlaubs‑ ländern stehen in der Kritik. Nachhaltiger Tourismus bedeutet auch, Tiere nicht zu Unterhaltungszwecken auszubeuten. Reisende können durch ihre Entschei‑ dungen verantwortungsvolle Anbieter unterstützen.
 

LEDER UND CO.


Ein weiteres Beispiel ist Leder. Oft als Neben‑ produkt der Fleischindustrie deklariert, verursacht die Lederproduktion hohe Umweltbelastungen. Die chemische Gerbung mit Chrom belastet Böden und Gewässer, insbesondere in Ländern mit geringen Umweltstandards. Pflanzlich gegerbtes Leder oder moderne Alternativen auf Basis von Pilzen, Ananas oder Apfeltrester bieten nachhaltige Optionen, die auch in der Mode‑ und Möbelbranche an Bedeutung gewinnen.
 

HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR KONSUMIERENDE


Diese Beispiele zeigen: Tier‑ wohl betrifft viele Lebensbe‑ reiche. Wer bewusst konsumiert, setzt Zeichen. Tierwohl‑La‑ bels wie „Für mehr Tierschutz“, das EU‑Bio‑Siegel oder „Leaping Bunny“ helfen bei der Auswahl. Auch kleine Schritte – etwa der Verzicht auf Echtpelz, das Meiden von Billigfleisch die Wahl tierversuchsfreier Kosmetik – tragen zu einer tierfreundlicheren Zukunft bei.

Es braucht strukturelle Reformen – aber auch per‑ sönliche Entscheidungskraft. Eine nachhaltige Welt entsteht, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam handeln.
 

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