Elektrisch fahren – nur auf der Kirmes?

Bis 2030 sollen auf deutschen Straßen rund 15 Millionen Elektroautos rollen. Allerdings sind viele skeptisch. Denn damit das funktioniert, muss noch einiges an Infrastruktur geschaffen werden. Wir erklären, was nötig ist, was im Verborgenen bereits geschieht und welche Chancen sich daraus ergeben.

Illustration: Mal Made
Illustration: Mal Made
Kai Kolwitz Redaktion

Auf einmal ist alles anders. Am 15. November entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es nicht rechtens ist, 60 Milliarden Euro aus ungenutzten Corona-Krediten in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung umzuleiten. Bitter ist das deshalb für die Politik, weil der Milliardenbetrag unter anderem dazu genutzt werden sollte, eine ganze Reihe Infrastrukturprojekte mitzufinanzieren, die die Wende hin zu noch mehr Strom aus regenerativen Energien beschleunigen sollten. Wichtig deshalb, weil auf dem Weg zu einem klimaneutraleren Land in Zukunft einiges elektrisch funktionieren soll, was heute noch mit fossilen Treibstoffen erledigt wird. Elektrisch betriebene Wärmepumpen sollen Öl- und Gasheizungen ersetzen. Und Benzin- und Dieselmotoren in den Autos sollen elektrischen Antrieben weichen – und die machen ökologisch natürlich mehr Sinn, je höher der Anteil an grünem Strom ist, mit dem sie betrieben werden. 

In jedem Fall: Der Strombedarf wird in den kommenden Jahren steigen. Bleibt da noch etwas übrig, um Elektroautos aufzuladen? Oder fahren wir elektrisch wirklich auch weiterhin „nur auf der Kirmes“, wie ein abschätziger Spruch besagt? Gemeint sind elektrische Autoscooter, wie es sie auf dem Jahrmarkt gibt, der mancherorts auch Kirmes genannt wird.


Wo soll die Energie herkommen?
 

Prognosen der Bundesregierung gehen davon aus, dass das Land im Jahr 2030 rund 715 Terawattstunden Strom benötigen wird. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 wurden in Deutschland 263 Terawattstunden verbraucht, für das Gesamtjahr 2023 ergäbe sich daraus ein Gesamtverbrauch zwischen 520 und 530 Terawattstunden. Fehlen bis 2030 also knapp 200 Terawattstunden – knapp 30 Prozent des prognostizierten Bedarfs. 

Hinzu kommt, dass nach dem Willen der Bundesregierung bis 2030 ein Anteil von 80 Prozent des Stroms regenerativ erzeugt werden soll – derzeit ist es etwa die Hälfte. Thomas Vahlenkamp, Energie-Experte beim Beratungsunternehmen McKinsey und einer der Autoren des McKinsey-Energiewende-Index, rechnet in einem Beitrag für das Fachportal energie.de vor, dass sich die Ausbaurate bei der Windenergie verdoppeln müsste, um die Ziele zu erreichen. Die bei der Solarenergie müsste sich vervierfachen. Außerdem müssten nach Vahlenkamps Berechnungen pro Jahr zwei bis drei neue Gaskraftwerke hinzukommen, die sich auch mit grünem Wasserstoff betreiben lassen, sobald dieser in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht.

Das ist auch der Politik bewusst. Mit einer Fülle von Gesetzen und weiteren Maßnahmen arbeitet sie daran, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen. So wurden zum Beispiel die Vergütungssätze für Solaranlagen auf Dächern erhöht, die Bundesländer haben verbindliche Ziele für die Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen erhalten. Außerdem wurden in vielen Bereichen der Erneuerbaren Genehmigungsverfahren und Regeln vereinfacht, Kompensationszahlungen wurden abgesenkt. Und es wurde festgeschrieben, dass solche Projekte im öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Damit haben sie bei Abwägungsentscheidungen Vorrang vor anderen Interessen. 

Illustration: Mal Made
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Wie kommt der Strom zum Auto?


Stromproduktion ist die eine Sache. Die andere ist, wie man die Elektrizität dahin bekommt, wo sie benötigt wird – etwa um ein Elektroauto zu laden. Auch hier sorgt die Energiewende dafür, dass Infrastruktur ausgebaut und neu strukturiert werden muss. 

Denn in der alten fossilen und atomaren Zeit wurde der Großteil des Stroms in Deutschland von einer überschaubaren Zahl großer Kraftwerk erzeugt, mit Leistungen im Gigawattbereich. Solche Kraftwerke ließen sich meist dort ansiedeln, wo die Energie auch verbraucht wurde, die Leitungen konnte man kurz halten und als Einbahnstraßen konzipieren. Der Strom floss immer nur vom Produzenten zum Verbraucher.

Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Zum einen gilt es jetzt nicht mehr, relativ wenige große Erzeuger anzubinden, sondern eine große Zahl im Land verteilter Standorte. Elektrizität fließt jetzt nicht mehr nur in eine Richtung. 

Außerdem wird Strom jetzt nicht mehr dort erzeugt, wo er benötigt wird, sondern da, wo die Rahmenbedingungen am besten sind. So werden Windparks vor allem im windreichen Norden errichtet. Große Höchstspannungsleitungen, die sogenannten „Strom-Autobahnen“, müssen den Strom von dort in den Süden bringen. Außerdem braucht es noch mehr Verbindungen zu den Nachbarländern, um Schwankungen bei Erzeugung und Nachfrage europaweit ausgleichen zu können. 

Im Bundeswirtschaftsministerium geht man davon aus, dass in den kommenden Jahren rund 13.000 Kilometer im Übertragungsnetz optimiert, verstärkt oder neu gebaut werden müssen. Davon sind rund 6.000 Kilometer in Planung oder im Genehmigungsverfahren, rund 1500 sind bereits genehmigt und vor dem oder im Bau. Auch hier wurden Gesetze und sonstige Bestimmungen so angepasst, dass sich die Leitungen schneller realisieren lassen. Und eine Verlegung unter der Erde statt als Überlandleitung soll vielerorts Proteste an den geplanten Terrassen vermeiden. 

Traditionelle Widerstände scheinen sich inzwischen tatsächlich aufzulösen: So forderte – und bekam sie zugesagt – Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger jüngst eine dritte Nord-Süd-Leitung in sein Bundesland, nachdem dieses den Ausbau jahrelang verzögert hatte. Doch das mangelnde Stromangebot im Freistaat wurde zunehmend zum Problem bei Industrieansiedlungen.

In jedem Fall gilt: Was per Strom-Autobahn durchs Land transportiert wird, muss lokal von den Versorgern verteilt werden, nicht zuletzt zu den Ladestationen der kommenden Elektro-Autos. Analog zum höheren Strombedarf in ganz Deutschland müssen deshalb auch in den Dörfern und Städten die Netze fit für die Zukunft gemacht werden. Eine Umfrage des NDR im Juli 2023 unter 20 lokalen Stromversorgern in Niedersachsen ergab, dass der Großteil von ihnen bereits mit entsprechenden Arbeiten begonnen hat. So wird Technik digitalisiert und Kabel durch solche mit größerem Querschnitt ersetzt. Oft geschieht das dann, wenn Leitungen sowieso altersbedingt ausgetauscht werden müssen. 


Wie und wo laden Millionen Elektroautos?


Auf eine Zahl von 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen hofft die Politik bis 2030. Und auch, wenn Experten eher von elf bis 13 Millionen oder sogar noch weniger ausgehen – diese immer noch enorme Menge an Fahrzeugen muss mit Strom versorgt werden. 

Gut dran ist, wer ein eigenes Haus hat. Denn dann empfiehlt es sich, eine Wallbox zu installieren und dort zu laden. Ob dazu am Hausanschluss nachgearbeitet werden muss oder nicht, hängt vom Einzelfall ab. Gängige Wallboxen haben eine Ladeleistung von 11 Kilowatt, nach DIN-Norm wird für eine normale Wohneinheit ein Gesamtbedarf von 14,5 Kilowatt angenommen, beziehungsweise von 34 Kilowatt, wenn das Warmwasser elektrisch erzeugt wird. Knapp kann die Sache also definitiv werden. 

Weniger einfach wird es, wenn die Ladestation in die Tiefgarage eines Mehrfamilienhauses oder beim Arbeitgeber montiert werden soll. Denn da dort die Anschlüsse in aller Regel nicht dafür ausgelegt sind, dass jeder Stellplatznutzer dort gleichzeitig sein E-Auto lädt, muss entweder die Anschlussleistung erhöht werden oder es muss ein Lademanagement installiert werden, dass das Laden der Autos so steuert, dass die Leitungen nicht überlastet werden – sprich, es laden entweder nicht alle gleichzeitig oder die Ladeleistung wird reduziert. 

In jedem Fall muss die Wallbox beim Stromnetzbetreiber angemeldet werden. Bei Ladeleistungen bis zwölf Kilowatt ist das aber Formsache. Der Betreiber kann die Installation nicht ablehnen. Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit: Anbieter behalten sich vor, die Anschlussleistung temporär herunterzuregeln, wenn sonst Engpässe bei der Stromversorgung der Gegend drohen. Ob es dazu kommt, wird die Zukunft zeigen.

Ladestationen im Eigenheim sollen übrigens im Jahr 2024 wieder vom Staat gefördert werden. Für das laufende Jahr ist das Budget zwar erschöpft, im nächsten sollen aber neue Mittel bereitstehen. Für eine Wallbox mit mindestens elf Kilowatt Leistung soll es dann 600 Euro geben – und 1200 Euro, wenn die Technik bidirektional ist, wenn das Auto also als Stromspeicher dienen und bei Bedarf wieder Strom ins Netz zurückspeisen kann. 


Die öffentlichen Ladepunkte
 

Wer aber darauf angewiesen ist, an öffentlichen Ladepunkten zu laden, der fremdelt heutzutage oft noch mit dem Gedanken, auf ein Elektroauto umzusteigen: Zu groß ist bei vielen die Sorge, im Fall eines Falles keine freie Ladesäule zu finden. 

Auch der Verband der Automobilindustrie sieht Ausbaubedarf beim Laden auf der Straße. Dort geht man von einem Bedarf von einer Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte bis 2030 aus. Derzeit sind es knapp 100.000, aber mit zügig steigender Tendenz. Allein in den ersten sechs Monaten 2023 wurden 17.000 Ladepunkte neu errichtet. Damit kommt jetzt einer von ihnen auf 21 E-Autos, statt vorher auf 23. 

In Berlin hat man sogar schon damit begonnen, Straßenlaternen zu Ladestationen umzurüsten. Auf 1000 Standorte in der Hauptstadt will es die Firma Ubitricity bis zum Jahresende bringen. Der Vorteil ist der einfache Aufbau der neuen Angebote, der Nachteil die niedrige Laderate von nur 3,7 Kilowatt Strom pro Stunde. Bei Ubitricity setzt man auf Kunden, die über Nacht laden – dann, wenn es auf die Minute nicht ankommt. 

Was bis zum Jahr 2030 ebenfalls noch besser werden sollte, sind die Bezahlmöglichkeiten an öffentlichen Ladepunkten. Eigentlich sollte schon seit Mitte 2023 jede Säule mit einem Lesegerät für Bank- oder Kreditkarte versehen sein, damit jeder überall ohne Anmeldung, Ladekarte oder App Strom tanken kann. Die Pflicht dazu wurde aber verschoben, jetzt soll es 2024 soweit sein. 

Auch die Preise pro Kilowattstunde könnten übersichtlicher gestaltet sein. Der ADAC fand Angebote mit und ohne Grundgebühr, mit Berechnung der Standzeit und ähnlichen Tricks, um den Vergleich zu erschweren und große Preisunterschiede zu verschleiern. Doch es ist davon auszugehen, dass mit mehr E-Autos und mehr Ladepunkten in Zukunft auch mehr Transparenz einkehren wird. Die Konkurrenz wird es hoffentlich regeln. 


Das E-Auto als Energiespeicher
 

Für den Ausbau der Infrastruktur für Elektroautos gilt in vielerlei Hinsicht: Mit intelligenter Steuerung des Stromflusses lässt sich einiges an Ressourcen einsparen. Denn nicht jeder Akku muss zu jedem Zeitpunkt zu 100 Prozent gefüllt sein – und nicht jedes E-Auto muss gleichzeitig laden. Würden alle Verbrenner gleichzeitig zur Tankstelle fahren, würden die Zapfsäulen auch bei weitem nicht für jeden reichen. 

Mit digitalem Lademanagement könnten zum Beispiel mit weniger Anschlussleistung mehr Autos mit Strom versorgt werden: Die Nacht oder acht Stunden Arbeitstag könnten voll ausgenutzt werden, damit zum Beispiel alle nacheinander an die Reihe kommen. 

Und noch mehr wäre möglich: Ab 2025 ist der Einbau von sogenannten „Smart Metern“ für Haushalte mit einem Stromverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden jährlich Pflicht. Und ebenfalls ab 2025 sollen solche Haushalte dynamische Stromtarife nutzen können, also Tarife, in denen der Strom billig ist, wenn dank Wind oder Sonne viel davon verfügbar ist und teurer, wenn Elektrizität knapp ist. Dann würde es sich lohnen, ein Elektroauto dann zu laden, wenn Strom günstig verfügbar ist. Auch für die Erzeuger und die Netzbetreiber wäre das gut – ist doch das Stromnetz ein technisches Wunderwerk, in dem immer genau gleich viel produziert und verbraucht werden muss. E-Autos könnten in diesem System zu Pufferspeichern werden.

Erst recht gilt das dann, wenn sich „Vehicle to Grid“ durchsetzen würde. Darunter versteht man eine Technologie, die es erlaubt, den Strom aus E-Autos bei Bedarf wieder ins Netz zurück zu speisen. Dadurch könnten deren Batterien Engpässe bei der Stromerzeugung abpuffern und teure anderweitige Speicher ersetzen. Einige aktuell kaufbare Modelle könnten so etwas sogar schon, nur die Technik auf der Anschlussseite fehlt noch. Auch in Sachen Lebensdauer halten Experten dieses „Akku-Jogging“ für unkritisch. Und auch hier gilt: E-Auto-Besitzer könnten durch finanzielle Vorteile motiviert werden. 


Ziele: ehrgeizig, aber nicht unerreichbar 
 

Werden im Jahr 2030 tatsächlich 15 Millionen E-Autos über die deutschen Straßen rollen? Und wird es möglich sein, sie mit Strom zu versorgen? Dafür muss bis dahin noch einiges an Infrastruktur geschaffen werden – und das bisherige Ausbautempo muss gesteigert werden.. Aber die technischen Konzepte dafür existieren, ebenso Pläne und Wegmarken. Die Elektromobilität ist dabei ein Teil einer ambitionierten Umgestaltung der deutschen Wirtschaft hin zu mehr Klimaneutralität als bisher. 

Was der Akzeptanz helfen wird, ist, dass kommende E-Autos immer mehr Reichweite und kürzere Ladezeiten zu sinkenden Preisen bieten werden. Der Preis für Benzin und Diesel wird dagegen steigen. Durch die steigende Steuer auf CO2-Emissionen sind allein bis 2027 rund 15 Cent Mehrpreis avisiert, kommende geopolitische Krisen noch nicht eingerechnet. 
Man kann gespannt sein, wie die Politik die Pläne wegen des Finanzlochs im Klimafonds anpassen wird. Aber es ist kaum vorstellbar, dass die Transformation nicht weitergeht. Vielleicht wird es irgendwann nur noch auf der Kirmes Gokarts mit Verbrennungsmotor geben.
 

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