Neue Märkte

Immer mehr Unternehmen streben auf fremde Märkte. Warum eigentlich? Welche Strategie ist dabei die beste und wie lassen sich Risiken minimieren? Und wie international ist eigentlich der deutsche Mittelstand?
Internationalisierung
Illustration: Marianna Weber, Judith Reetz
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael-Jörg Oesterle, Experte für Internationales und Strategisches Management.

 

Herr Oesterle, Internationalisierung scheint als Begriff erst einmal relativ selbsterklärend. Erklären Sie uns trotzdem bitte kurz, was er im ökonomischen Sinne genau bedeutet.

 

Sehr gerne. Wobei ich mich als Betriebswirt auf die Unter-nehmensperspektive beschränken möchte – ein Volkswirt müsste eher die gesamt- bzw. weltwirtschaftliche Perspektive einnehmen. Aus Sicht eines Unternehmens geht es ganz allgemein gesprochen um die Aufnahme und Erweiterung grenzüberschreitender Aktivitäten. Das kann den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen auf internationalen Märkten bedeuten oder aber auch weitere Funktionen umfassen: Die Internationalisierung von Beschaffung, Produktion, Forschung und Entwicklung oder von Verwaltungstätigkeiten.

 

Welche Ziele verfolgen Unternehmen durch Internationalisierung?

 

Man unterscheidet im Wesentlichen – und nicht völlig trennscharf – zwischen markt- und absatzorientierten, kosten-orientierten, ressourcenorientierten und strategischen Zielen. Im ersten Fall geht es vor allem um den Verkauf von Produkten oder Dienst-leistungen auf ausländischen Märkten. Kostenorientiert bedeutet, dass kostengünstigere Wertschöpfungsbedingungen – beispielsweise durch die Verlagerung arbeitsintensiver Produktion in Niedriglohnländer – erschlossen werden sollen. Ressourcen-orientierte Ziele stellen demgegenüber primär auf den Erwerb und die Nutzung von im Ausland verfügbaren speziellem Know-how oder die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen ab. Bei strategischen Zielen geht es um die ganzheitliche Analyse des bisherigen und zukünftigen Auslandsengagements sowie die Ableitung entsprechender Maßnahmen im internationalen Wettbewerb. Im Vordergrund steht also nicht die jeweilige, auf einzelne Ländermärkte bezogene Aktivität, sondern deren Gesamtschau im Sinne einer integrativen Handhabung.  

 

Was heißt das konkret?

 

Dazu zählt beispielsweise die Nutzung von Größen- und Verbundvorteilen oder auch die bewusste Streuung von Ländermarktrisiken. Wenn nämlich ein Unternehmen auf mehreren, zumindest nicht streng korrelierten Märkten präsent ist, kann es Konjunkturrisiken auf einzelnen dieser Märkte besser verkraften. Wir haben das ja in der Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt: Trotz der Konjunkturschwäche der USA und Europas konnte man sich auf einen robusten chinesischen  Markt verlassen.

 

Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie sich auf ausländischen Märkten engagieren?

 

Am Anfang sollte immer eine genaue Analyse dessen stehen, warum und in welcher Form man im Ausland tätig werden will. Wenn sich bei einer derartigen Analyse herausstellen sollte, dass man nur deshalb ins Ausland gehen möchte, weil es die heimische Konkurrenz auch getan hat, daraus aber keine wirtschaftlichen Vorteile erwachsen, wäre das die denkbar schlechteste Motivation. Es müssen handfeste Gründe vorliegen, die das Wagnis der Internationalisierung als gangbaren Weg erscheinen lassen. Etwa eine zurückgehende Nachfrage nach den Produkten auf dem Heimatmarkt.

 

Haben Sie ein Beispiel für uns?

 

Nehmen Sie den PKW-Markt in Deutschland. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Sättigung der Haushalte ist ein Wachstum eigentlich nicht mehr zu erwarten. Die deutschen Autobauer haben deshalb früh eine energische Internationalisierung eingeleitet, die dazu geführt hat, dass mittlerweile jedes heimische Unternehmen der Branche ca. 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erwirtschaftet. 

 

Angenommen, man hat die Ziele definiert: Welche Schritte sind dann notwendig?

 

Man muss sich überlegen, in welcher Form die Internationalisierung erfolgen soll. Geht man rein exportgestützt vor? Dafür muss man zum einen die Kapazitäten haben und darf zum anderen Risiken, zum Beispiel in Bezug auf Wechselkurse oder tarifäre sowie nicht-tarifäre Handelshemmnisse nicht scheuen. Oder man entscheidet sich für eine Direkt­investition, also das Gründen oder Erwerben eines Unternehmens im Ausland. Das ist weitaus anspruchsvoller als Export, die betreffenden Unternehmen tauchen dann mit einer Tochtergesellschaft regelrecht in den fremden Markt ein, ohne die Rahmenbedingungen vielleicht ausreichend zu kennen. Eine Zwischenlösung wäre es, Kooperationen einzugehen. Aber auch hier gilt es, Chancen und Risiken abzuwägen.

 

Wie schätzen Sie den momentanen Internationalisierungsgrad des deutschen Mittelstands ein?

 

Diese Frage kann man nur sehr schwer pauschal beantworten. Das liegt zum einen am Begriff Mittelstand. Wenn wir dazu sämtliche eigentümergeführten Unternehmen zählen, wie das in Deutschland üblich ist, sprechen wir ja auch von Unternehmen mit mehreren Milliarden Euro Umsatz. Zum anderen kommt es sehr stark darauf an, von welcher Branche man spricht. Was man sagen kann: Im verarbeitenden Gewerbe sind deutsche Mittelständler schon stark international tätig. 

 

Zum Beispiel?

 

Bekannte deutsche Mittelständler wie Stihl oder Trumpf sind schon sehr früh in internationalen Märkten aktiv geworden. Das hat zunächst ganz einfach mit der Begrenztheit des deutschen Marktes zu tun. Nehmen Sie Stihl als Beispiel. Da der Bedarf nach einem typischen Stihl-Produkt, der Kettensäge, in Deutschland eher beschränkt ist, war man gezwungen, sehr frühzeitig Ländermärkte anzugehen, in denen es eine ausgiebige Waldwirtschaft gibt und insofern Bedarf besteht. Daraus ergeben sich dann oft auch Sachzwänge, die zu einer weiteren Interna­tionalisierung führen. 

 

Was meinen Sie?

 

Um bei Stihl zu bleiben: Ende 2008 wurde die japanische Firma Zama übernommen, einer der weltweit größten Hersteller von Vergasern für handgetragene Motorgeräte und ein langjähriger Lieferant von Stihl. Um Zama nicht einem Konkurrenten zu überlassen und von diesem abhängig zu werden, war die Übernahme aus Gründen der Versorgungssicherheit ein fast notwendiger Schritt.

 

Stihl hat auch schon Teile seiner Produktion ausgelagert. In diesem Zusammenhang wird häufig die Frage aufgeworfen, ob man denn in Zukunft überhaupt noch von „Made in Germany” und nicht besser von „Managed in Germany“ sprechen sollte.

 

Das ist mir viel zu pauschal und hängt wieder sehr stark davon ab, über welche Produkte und Branchen wir sprechen. Gerade wenn es sich um Qualitätsprodukte handelt, werden diese von den Käufern nach wie vor stark mit ihrem Herkunfts- im Sinne von Produktionsland assoziiert. Abgesehen davon ist ein „Managed in Germany“ gar nicht so leicht umzusetzen. Sie können den Produzenten im Ausland noch so strikt anweisen, ein Restrisiko bleibt immer, dass die Qualität am Ende doch nicht stimmt. Eine Erfahrung, die zum Beispiel die Firma Steiff machen musste, als man einen Teil der Produktion nach China auslagerte. 

 

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Internationalisierung von Geschäftsbeziehungen entwickeln?

 

Das wird davon abhängen, ob sich die gerade durchaus angespannte weltpolitische Lage, mit einem zunehmend instabilen mittleren Osten und einer eher aggressiven Stimmung zwischen den Großmächten wieder beruhigt. Im schlechtesten Fall erleben wir eine Zäsur, im besten Fall ein Florieren des Welthandels. 

 

Was heißt das für den europäischen Markt?

 

Da sollten wir uns keine Illusionen machen. Langfristig wird sich Wachstumsdynamik weiter vor allem in den pazifischen Raum verlagern. Als Markt wird Europa  auch in einem Best-Case-Szenario nicht so gut abschneiden. Das hat zum Beispiel mit der Vielfalt nationaler Interessen zu tun. Aber auch die mangelnde demografische Dynamik spielt eine Rolle. 

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