Der Markt wird schneller

Deutschland beschleunigt die Energiewende und treibt dabei vor allem die Digitalisierung des Strommarktes voran. Die neue Regulatorik stellt viele Akteure vor Herausforderungen. Zugleich bietet sie auch eine Chance für mehr Innovation.

Illustration: Wyn Tiedmers
Illustration: Wyn Tiedmers
Axel Novak Redaktion

Wir stecken mitten in der Energiewende: Mehr Digitalisierung soll den Strommarkt transparenter und den Energieverbrauch effizienter machen. Dafür sind zum Jahreswechsel mit dem „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ (GNDEW) eine ganze Reihe von Änderungen in Kraft getreten. Die wichtigste: Bis 2032 sollen alle Haushalte in Deutschland digitale Stromzähler bekommen. Die Ära der gemütlich schnurrenden analogen Ferraris-Stromzähler neigt sich für alle Verbraucher:innen dem Ende zu. Die neuen Geräte zeigen den Stromkonsum digital-präzise zu bestimmten Zeiten an. Wer mehr als 6.000 kWh Strom verbraucht, eine steuerbare Wärmepumpe oder Wallbox betreibt oder mit einer Photovoltaikanlage ab sieben kW Strom erzeugt, muss außerdem einen Smart Meter erhalten, der über Smart Meter Gateways zwischen Verbraucher, Netzbetreiber und Stromerzeuger kommuniziert. 

Damit schließt die Bundesregierung endlich zu den europäischen Nachbarn auf. Schweden und Finnland haben ihre Messstellen bereits vor Jahrzehnten flächendeckend digitalisiert. In Frankreich sind seit 2015 mehr als 37,5 Millionen Smart Meter im Einsatz, Spanien, Estland und Dänemark folgten kürzlich.

Nun sollen auch die Verbraucher:innen in Deutschland von den Geräten profitieren, weil große Stromfresser zeitgesteuert betrieben werden können. In Großbritannien beispielsweise haben Smart Meter dazu geführt, dass die Verbraucher rund drei Prozent weniger Strom und mehr als zwei Prozent weniger Gas verbrauchen. 

Richtig sinnvoll werden Smart Meter, wenn die Verbraucher:innen dynamische Tarife nutzen. Deshalb – so die zweite wichtige Änderung im Beschleunigungsgesetz – müssen alle Stromversorger seit Jahresbeginn Tarife anbieten, mit denen die Verbraucher:innen ihren Verbrauch in Zeiten geringer Nachfrage und niedriger Preise verlagern können. Das lohnt sich, wenn zum Beispiel die Wärmepumpe oder das Elektroauto dann eingeschaltet werden, wenn der Strompreis niedrig ist. Die gezielte Steuerung von Kühlschränken, Geschirrspülern oder Waschmaschinen dürfte wegen der höheren Tarife aber eher unwahrscheinlich sein. 

Gleichzeitig können die Netzbetreiber Großverbraucher wie Wärmepumpen oder Wallboxen zeitweise abschalten, wenn zu viele Menschen und Unternehmen Strom beziehen wollen. Das entlastet das Netz und reduziert die Stromproduktion in Spitzenzeiten. So konnte in Frankreich im Winter 2022/23 durch geschickte Steuerung des Stromverbrauchs eine Energiemenge verschoben und letztlich eingespart werden, die der Leistung von zwei Atomkraftwerken entspricht.
 

EINE FRAGE DER IT


Hinzu kommt eine dritte Änderung: Verbraucher sollen künftig innerhalb von 24 Stunden den Stromanbieter wechseln können. Doch wer glaubt, dass es sich dabei um einen einfachen Wechsel vom Rechnungsportal des Anbieters 1 zum Portal des Anbieters 2 handelt, ist naiv: Viele Daten dafür sind noch gar nicht verfügbar, weil die digitalen Zähler fehlen. Zudem müssen auch die neuen Kommunikationsströme verschlüsselt werden, um Cyberangriffe zu verhindern. Das bedeutet, dass viele IT-Systeme unter Zeitdruck entwickelt werden müssen – was vor allem kleine und mittlere Energieversorger mangels Ressourcen und Personal vor Probleme stellt.

Das bedeutet nicht, dass die Unternehmen grundsätzlich gegen eine schnellere Digitalisierung der Energiewende sind. Viele Akteure sehen in der Beschleunigung einen echten Fortschritt. Die Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW sehen darin einen wichtigen Schritt zur Modernisierung des Energiesystems. Denn mehr Effizienz und mehr Steuerung im Energiemarkt sorgen für mehr Wirtschaftlichkeit – und damit für besser ausgelastete Netze. 

Auch Andreas Wulff, Vorstandsvorsitzender des Verbandes VSHEW, der rund 50 kommunale Stadtwerke und Versorgungsunternehmen in Schleswig-Holstein vertritt, sieht Vorteile, wenn Verbraucher schneller den Stromanbieter wechseln können. „Diese Regelung erlaubt es Kunden, schnell auf Preisänderungen zu reagieren und Kosten zu sparen, etwa durch den Wechsel zu günstigen Stadtwerketarifen", sagt er. Die dafür nötige IT wird nach Überzeugung des Verbandes allerdings frühestens im Oktober 2025 zur Verfügung stehen. Denn die IT-Abteilungen der Stadt- und Gemeindewerke setzen erst einmal die bestehenden Anforderungen um. Externe Dienstleister für neue Aufgaben stehen kaum zur Verfügung.

Vor allem für diejenigen Unternehmen wird es kompliziert, die konkret mit der Umsetzung der neuen Regelungen rund um den Rollout der neuen intelligenten Zähler beschäftigt sind. „Der Druck resultiert aus dem rechtlich-regulatorischen Rahmen von Bundesregierung und Bundesnetzagentur, dem Mangel an Ressourcen aufgrund demographischen Wandels und damit verbundenem Fachkräftemangel sowie gestiegenem Wettbewerb,“ erläutert Sören Patzack vom Energieberater BET Consulting auf der Social-Media-Plattform LinkedIn.
 

CHANCE FÜR INNOVATIONEN


Der Wettbewerb verändert den Markt. Denn die Endkund:innen erwarten künftig Rechnungen, die sich nur noch an der verbrauchten Energiemenge und ihrem Nutzungsverhalten orientieren. Sie wollen ihre Daten jederzeit einsehen und nachvollziehen können – auch von unterwegs. Doch dafür müssen Energieversorger, Netz- und Messstellenbetreiber ihre Prozesse umstellen. Sie müssen riesige Datenmengen aus vielen verschiedenen Quellen in Echtzeit verarbeiten und abrechnen. 

Das ist die Stunde für innovative Services. „Um diese riesigen Datenmengen zu verarbeiten, sind digitale Lösungen wie Automatisierung und die Nutzung von KI ein Muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Jonas Suijkerbuijk, CEO des FinTechs Billogram. Schon heute bieten neue Marktteilnehmer nicht nur PV-Anlagen, Batteriespeicher, Wallboxen oder Wärmepumpen an, sondern kombinieren diese mit dynamischen Stromtarifen und neuester Energiemanagementtechnologie. Mit den gesetzlichen Änderungen treten weitere Akteure auf den Plan, die den Markt noch schneller umkrempeln – zum Vorteil der Verbraucher:innen.
 

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