Grünes Gas

Die aktuelle Energiekrise macht die Umstellung auf eine Wasserstoffwirtschaft noch dringlicher. Um den Markthochlauf zu beschleunigen, setzt Deutschland auf internationale Kooperationen. Neue LNG-Terminals sollen zudem „H2-ready“ sein, sodass Erdgas künftig durch Wasserstoff ersetzt werden kann. Doch viele Fragen bleiben offen.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Verena Kern Redaktion

Noch im Januar plante das Bundeswirtschaftsministerium mit einer Ausweitung der grünen Wasserstoffproduktion in Deutschland auf rund 28 Terawattstunden bis 2030. Das entspricht einer Erzeugungskapazität von zehn Gigawatt – und einer Verzehnfachung gegenüber heute. Aus damaliger Sicht war das ein enorm ambitioniertes Ziel. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden. Doch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Rahmenbedingungen drastisch verändert.

Alles muss jetzt viel schneller gehen: russisches Erdgas ersetzen, Energieimporte diversifizieren, den Angebotsschock mit seiner Preisexplosion abmildern. Nicht zuletzt geht es um Deutschlands Klimaziele. Gerade erst hat der Expertenrat für Klimafragen in einem umfangreichen Gutachten nicht weniger als eine Verdopplung der Anstrengungen angemahnt, damit die CO2-Emissionen bis 2030 wie geplant sinken können. Sehr viel mehr Tempo ist also gefragt beim Aufbau eines neuen, klimafreundlichen Energiesystems. Dabei wird, soviel steht fest, Wasserstoff eine bedeutende Rolle spielen. 

Wie genau diese Rolle aussieht, ist allerdings noch unklar. Allein was die Frage nach dem Bedarf angeht, kommen Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat deshalb kürzlich in einer Meta-Studie 40 aktuelle Energiesystem- und Wasserstoffszenarien neu ausgewertet. Das Ergebnis: Die Nachfrage nach Wasserstoff wird weltweit deutlich ansteigen, jedoch nicht überall im gleichen Maße. Wie hoch der Nachfrageanstieg ausfällt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie ambitioniert die Klimaziele sind. Für die EU wird der Wasserstoffanteil am Endenergiebedarf im Jahr 2050 auf bis zu 14 Prozent prognostiziert, für China hingegen nur auf maximal vier Prozent.

Auch in den verschiedenen Anwendungsbereichen ist die Bandbreite groß. Im Verkehrssektor der EU könnte der Bedarf auf 28 Prozent klettern, im Industriesektor auf drei bis 16 Prozent. Im Gegensatz dazu spielt Wasserstoff bei der Gebäudeenergie die geringste Rolle, hier wird der globale Bedarf auf weniger als zwei Prozent geschätzt. „Wo andere Technologien technisch oder wirtschaftlich nicht umsetzbar sind, wird Wasserstoff eine relevante Rolle spielen“, sagt Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut. „Er wird aber nicht der dominierende Endenergieträger der Zukunft sein.“ Um klimapolitisch voranzukommen, so zeigt die Studie, gibt es wichtigere Hebel, nämlich Maßnahmen zum Energieeinsparen und die direkte Elektrifizierung auf Basis von erneuerbarem Strom zum Beispiel durch Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder in Wärmenetzen.

Das sehen auch Umweltverbände so. „Die Wasserstoff-Anwendung ist notwendig in Teilen der Industrie, im Flug- und Schiffsverkehr und bei der Langzeitstromspeicherung“, sagt Ricarda Dubbert, Energie- und Klimaexpertin der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Wichtig ist eine Priorisierung, wir müssen auf Erneuerbare umstellen, die Verbräuche runterkriegen, eine Verkehrswende schaffen und erst danach kommt der grüne Wasserstoff.“

Ähnlich plant der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck. „Die Strommenge wird steigen und damit muss auch die Menge an erneuerbarer Energie steigen“, sagt er. Bei der Solarenergie ist eine Verdopplung geplant, die Windenergie soll bis 2040 auf 70 Gigawatt anwachsen. „Dann bleibt ein Bereich, den man mit Molekülen füllen muss“, sagt Habeck. „Das ist zunächst Erdgas und dann schnell grüner Wasserstoff.“

Der Minister geht davon aus, dass Deutschland seinen Wasserstoffbedarf nicht allein decken kann. „Wir rechnen damit, dass wir 30 Prozent des Verbrauchs selbst produzieren können“, sagt Habeck. Der größte Teil, 70 Prozent, müsste also importiert werden. Dafür setzt die Bundesregierung auf internationale Kooperationen. Mit rund 20 Ländern gibt es bereits Energiepartnerschaften und Energiedialoge. Der Schwerpunkt lag bislang auf dem Ausbau der Erneuerbaren und Energieeffizienz. Nun kommt noch Wasserstoff hinzu – durch Partnerschaften mit Australien, Neuseeland, Kanada, Nord- und Westafrika.

„Der Dialog in den Wasserstoff-Partnerschaften ist gut“, urteilt die DUH-Expertin Dubbert. „Die große Frage ist aber, ob der Wasserstoff dann auch nachhaltig ist.“ Denn nur dann hilft der neue Energieträger dem Klima. „Wir brauchen Nachhaltigkeitskriterien“, sagt sie. „Ein solch enormer Markthochlauf muss sorgfältig reguliert werden.“ Darüber wird derzeit auf EU-Ebene verhandelt, der Ausgang ist noch offen.

Wie auch viele andere Fragen. Etwa nach der Menge des grünen Wasserstoffs, die bei den neuen Partnerschaften unterm Strich herauskommen wird. „Bei den Kooperationen mit Australien oder Namibia liegt die Kapazität im einstelligen Gigawatt-Bereich“, sagt Energieexperte Volker Quaschning. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Um den deutschen Wasserstoffbedarf zu decken, bräuchte man hingegen um die 500 Gigawatt. Auch der enorme Süßwasserbedarf von neun Litern für jedes Kilo Wasserstoff ist zu bedenken. Das größte Problem ist aber die Frage nach dem Transport. Wie bekommt man den Wasserstoff beispielsweise aus Marokko nach Europa? In der Diskussion sind deshalb Wasserstoffderivate wie Ammoniak, das leichter zu transportieren, aber auch giftig und korrosiv ist.

Große Hoffnungen liegen deshalb darauf, dass über die neuen LNG-Terminals, die derzeit beschleunigt gebaut werden, künftig auch Wasserstoff importiert werden kann. Das Zauberwort lautet „H2-ready“. Dass das so einfach klappt, ist aber alles andere als sicher. Das zeigt eine weitere aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts. Ohne „erhebliche Anpassungen“ ist der Wechsel der Energieträger demnach nicht machbar. Weil LNG, Wasserstoff und Ammoniak unterschiedliche physikalische Eigenschaften haben, müssten von vornherein ganz bestimmte Edelstähle verbaut werden. Selbst dann würden bei einer Umrüstung auf Wasserstoff 50 Prozent der Investitionskosten erneut anfallen, bei Ammoniak 30 Prozent – plus weitere Infrastruktur-Kosten. Und: Bei schwimmenden Terminals ist eine Umrüstung sogar ganz ausgeschlossen.

 

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