Grüne Logistik

Nachhaltigkeit steht bei vielen Unternehmen inzwischen ganz oben auf der Agenda. Dabei liegt der Fokus oft nur auf der Senkung eigener Emissionen. Doch auch Lieferketten müssen in Zukunft anders konzipiert werden. 2023 tritt das im letzten Jahr verabschiedete Lieferkettengesetz in Kraft. Es verpflichtet Firmen, dafür zu sorgen, dass ihre Zulieferer und Lieferanten Menschenrechte und bestimmte Umweltschutzrichtlinien berücksichtigen.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Axel Novak Redaktion

Ob Energiekrise, Klimawandel oder unterbrochene Lieferketten: Kaum eine Branche ist derzeit so gebeutelt wie die Logistik. Der bislang eher diskret agierende Wirtschaftsbereich entscheidet heute darüber, ob Unternehmen in Deutschland mit ihren Produkten überleben können. Besser dran sind Unternehmen, die nachhaltiger handeln.

Sicher, das Thema ist schon lange auf dem Tisch. Nachhaltigkeit steht bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Doch konkrete Umsetzungsmaßnahmen haben bisher oft gefehlt. Ende vergangenen Jahres hatte eine Green-Logistics-Studie gezeigt, dass zwar viele Unternehmer Nachhaltigkeit für sehr wichtig halten, aber dabei eher an die eigenen Emissionen denken, statt an ihre Lieferketten. Das hat sich heute geändert. Längst reicht es nicht mehr, sich mit grünen Attributen zu schmücken und eine flotte Broschüre zu texten. Die Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen schlägt bei den Unternehmen mit voller Wucht ein. Ökologisch durch eine ganzheitliche Betrachtung des unternehmerischen Handelns. Sozial mit hohen Standards in der Produktion und Beschaffung. Und ökonomisch durch steigende Effizienz und höhere Qualität.

Die Gründe dafür sind einfach: Da sind zum einen die Klimaziele, die in der aktuellen Energiekrise kurzfristig aus dem Blick geraten, langfristig aber unabdingbar an Bedeutung gewinnen. Das umweltpolitisch verschlafene vergangene Jahrzehnt hat dazu geführt, dass Ziele wie die Klimaneutralität bis 2050 oder eine Verringerung der CO2-Emissionen um 55 Prozent bis 2030, wenn überhaupt, nur mit größter Anstrengung erreichbar sind. Zweitens der Nachwuchsmangel: Wer künftig Fachkräfte für sein Unternehmen einstellen oder halten will, muss einiges tun.

Gerade in der Logistik, denn bis 2050 wird weltweit eine Verdreifachung der Transportleistung erwartet. Und drittens der ökonomische Erfolg: Operative Exzellenz und Kosteneffizienz in der Fertigung sind gefragt. Hinzu kommt, dass angesichts der explodierenden Energiekosten Ineffizienz und Verschwendung nicht mehr bezahlbar sind.

Drang zu mehr Nachhaltigkeit


Wie der Drang zu mehr Nachhaltigkeit konkret die Unternehmenswelt verändert, schilderte Barbara Frenkel, Beschaffungsvorstand bei Porsche, auf dem Logistikongress Ende Oktober in Berlin. „Wir sind Zeugen eines massiven Wandels in der Autoindustrie“, sagte Frenkel. „In den kommenden Jahren werden wir so tiefgreifende Veränderungen erleben wie in den vergangenen 50 Jahren nicht.“ Der Automobilhersteller plane, all seine Lieferketten auf mehr Nachhaltigkeit umzustellen. Mehr als 7.000 Partner – vom großen Systemlieferant zum kleinen Spediteur und Dienstleister – würden daran beteiligt. Zwar geben die Ausschreibungen von Porsche schon seit drei Jahren Nachhaltigkeitskriterien vor – ein sogenanntes Sustainability-Rating entscheidet über die Vergabe von Aufträgen. Nun müssen die Zulieferer und Dienstleister auch erneuerbare Energiequellen nutzen. Und schließlich ist Porsche verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in den Lieferketten korrekte Arbeitsbedingungen herrschen. „Logistik ist für Porsche ein Erfolgsfaktor. Unser Ziel ist es, Probleme früh zu erkennen und zu beseitigen“, so Frenkel. Mithilfe einer massiven Digitalisierung will Porsche seine zahlreichen Lieferanten im Blick behalten.

So wie Porsche wollen viele Unternehmen durch digitale Verknüpfung von Informationen die Logistik besser und nachhaltiger steuern. Dabei stehen Industrie und Handel vor einem großen Problem. Denn viele Zulieferer können die Nachhaltigkeit ihrer Leistungen und Produkte nicht belegen. Nicht nur, weil es an digitalen Tools mangelt, um die Daten über die passende Schnittstelle ans große Ganze des Kunden zu überspielen. Sondern weil ihm diese Informationen einfach fehlen. Denn die Auftraggeber der Transportdienstleistungen hatten bislang kaum ein Interesse an den CO2-Daten der operativ tätigen Unternehmen.

Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen gar nicht wissen, welche Emissionen sie in welcher Höhe bewirken. Mehr als die Hälfte der Spediteure führen keinerlei Berechnungen durch, um den CO2-Ausstoß ausweisen zu können. Das aber ist notwendig, um künftig Aufträge etwa der Autohersteller zu erhalten, welche die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten als Wettbewerbsfaktor begreifen. Das bietet den Unternehmen wiederum Chancen: Denn weil der CO2-Ausstoß im Straßengüterverkehr weiter wächst und die Transportleistung zunimmt, sind jene Unternehmen im Vorteil, die ihre CO2-Daten nachweislich erheben und weitergeben können.

Per Gesetz zur nachhaltigen Lieferkette


Nachhaltigkeit in ihrer sozialen und ökologischen Dimension ist nun per Gesetz in Deutschland vorgeschrieben. Das 2021 verabschiedete sogenannte Lieferkettengesetz (LkSG) tritt Anfang 2023 in Kraft und verpflichtet Unternehmen, ihre Zulieferer und Lieferanten daraufhin zu kontrollieren, dass sie Menschenrechte und bestimmte Umweltschutzrichtlinien berücksichtigen. Für die Logistik hat das naturgemäß große Auswirkungen. Denn nun müssen die Planer nicht mehr allein die Sicherheit und Resilienz ihrer Supply Chains im Blick behalten, sondern auch überprüfen, ob ihr eigener Erfolg möglicherweise darauf beruht, dass die Dienst- und Subdienstleister unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Dabei ist die Regelung in Deutschland nur ein Vorgeschmack auf die EU-Richtlinie, die in absehbarer Zeit verabschiedet werden soll – und voraussichtlich noch strikter ausfällt, wie Fachleute schätzen.

Konkret bedeutet das, dass Unternehmen wie die Autohersteller die Herkunft vieler Rohstoffe im Blick nehmen müssen: „Das ist bei den Zulieferern aus dem Rohstoffbereich, bei Kautschuk beispielsweise, nicht so einfach“, so Porsche-Beschafferin Frenkel im Oktober. Auch Handelsunternehmen stehen vor einem enormen Aufwand: Bei EDEKA zum Beispiel sind es 3.600 selbstständige Kaufleute mit ihren 5.700 Edeka-Vollsortiment-Geschäften, die mit 280.000 unmittelbaren Dienstleistungs- und Warenlieferanten zu tun haben. „Das ist eine große Anstrengung“, sagte Dr. Jochen Baier, Senior Legal Counsel beim EDEKA-Verband bei einem Treffen im Oktober. Allerdings müsse Edeka als Kunde nicht alle Subdienstleister kontrollieren, sondern könne auf die Sorgfaltspflicht des Vertragspartners verweisen.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante

Nachwuchs für die Branche


Obwohl der personelle und administrative Aufwand für die Regelung hoch ist, erhoffen sich viele nicht nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und mehr Umweltschutz weltweit, sondern auch eine höhere Attraktivität von Jobs in einer Branche, die von Fachkräftemangel geplagt wird. Sicher, in den vergangenen Monaten und Jahren hat sich einiges getan: Lokomotivführer, Trucker und AirCargo-Disponenten waren während der Coronapandemie systemrelevant. Ohne sie wären Medizinprodukte, Impfstoffe, Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs nicht zu den Menschen gekommen. Das strahlte auf das bescheidene Image der Berufsgruppe ab. Und dennoch gibt es zu wenig Nachwuchs in der Boombranche. Am deutlichsten wird der Mangel bei den Fahrern sichtbar: Im Jahr 2022 fehlten 56.000 Berufskraftfahrer in Deutschland.

Die Gründe sind einfach: unattraktive Arbeitszeiten, geringe Gehälter und ein schlechtes Image. Und dann kommt der demografische Wandel ins Spiel: Die Generation Z drängt auf den Arbeitsmarkt, mit neuen Forderungen an ihre Arbeitgeber. Heute geht es um Unternehmensziele, Nachhaltig- und Sinnhaftigkeit. Die Generation Z „tickt anders“, sagt Sabrina Krauss, Professorin für Psychologie an der SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen. Die Logistikbranche dagegen wirke spröde, rückschrittlich und wenig innovativ. Krauss wirft den Unternehmen vor, viele Trends im Hinblick auf Mitarbeiterbindung und Attraktivität verschlafen zu haben.

Chancen der Automatisierung


Große Logistikunternehmen rufen daher zum Kulturwandel auf. Zu mehr Miteinander und mehr Fairness, um das Image der Branche und der Jobs zu verbessern. Auch mehr Automatisierung und technische Unterstützung könnte dazu beitragen, Arbeiten attraktiver zu machen. Beispielsweise mit Exoskeletten, um die körperliche Belastung mit ihren gesundheitlichen Folgeschäden zu verringern. Schon heute nutzen viele Angestellte solche Roboterelemente, um etwa Warensendungen zusammenzustellen.

Oder durch die Automatisierung: In nicht so ferner Zukunft werden Lastwagen autonom und automatisch über Straßen und Betriebsgelände fahren. Dann braucht niemand mehr Fahrer auf der langen Strecke. Anders sieht es aus, wenn die Fahrzeuge ankommen. Künftig sitzen die Fahrer im bequemen Steuersessel und kontrollieren per Fernsteuerung mehrere Laster, die manuell an die Ladedocks geführt werden müssen, erläutert Bene Fried, Senior Business Developer vom Münchener Start-up Fernride. Konkret bedeutet das: statt harter Arbeit auf der Straße und später am Ladedock, endlich ein Job mit pünktlichem Dienstschluss.

So verändern sich die Berufe in der Branche rasant. Vom Trucker zum Teleoperation-Pilot. Vom Kistenschubser zum robotergestützten Supermann. Vom Disponenten zum Multitalent. Vom einfachen Spediteur zum ganzheitlichen Dienstleister mit echtem Purpose. Wenn das kein nachhaltiger Wandel ist.

 

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