Herausfordernder Handel

Die weltpolitische Lage ist herausfordernd für die Exportnation Deutschland. Noch ist unklar, inwieweit die neue protektionistische Rhetorik vieler Länder die Handelsbeziehungen des Exportweltmeisters verändern wird.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Hinzu kommt die zunehmende Kritik an den Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands. Ein Gespräch mit Prof. Gabriel Felbermayr, Handelsexperte beim ifo-Institut für Wirtschaftsforschung.

 

Herr Felbermayr, die deutsche Wirtschaft definiert sich sehr stark über den Export. Die aktuellen Rahmenbedingungen hierfür sind nicht gerade ideal, oder?
Es stimmt, dass wir eine zunehmende Unsicherheit spüren, wie sich der Welthandel entwickeln wird. Wird die USA unter Trump tatsächlich protektionistischer agieren? Welche Konsequenzen hat der Brexit? Welchen außenpolitischen Kurs schlägt China langfristig ein? Wie entwickelt sich die Türkei? All das ist unklar und diese Unsicherheiten spielen natürlich auch für den deutschen Außenhandel eine Rolle. Das bestätigen etwa aktuelle Daten der Bundesbank über die Auslandsdirektinvestitionen deutscher Unternehmen: Präsenz auf ausländischen Absatzmärkten erfordert häufig Investitionen, und diese werden jetzt eher zurückgehalten.
 

Wobei wir es im Augenblick ja noch weniger mit einer konkreten Gefahr als mit politischer Rhetorik zu tun haben.
Das stimmt. Selbst in den USA ist ja noch nichts von protektionistischen Tendenzen zu spüren, trotz aller Ankündigungen vonseiten des aktuellen Präsidenten. Hinzu kommt, dass solche Phänomene nur dann zu einer wirklichen Bedrohung für die deutsche Volkswirtschaft werden würden, wenn sie über viele Ländergrenzen hinweg miteinander korrelierten – wenn es gewissermaßen zu einem Dominoeffekt käme. Beschränkt sie sich auf ein einzelnes Land, wie beispielsweise die USA, sind die negativen Effekte noch einigermaßen verkraftbar.
 

Aber ist der US-Markt nicht einer der wichtigsten für deutsche Unternehmen?
In der Gesamtstatistik der Güterexporte macht er ungefähr zehn Prozent aus, das ist natürlich viel. Andererseits bedeutet das aber ja auch, dass 90 Prozent der Güter in anderen Märkten abgesetzt werden. Die deutsche Volkswirtschaft und viele deutsche Unternehmen haben in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Entwicklung der erfolgreichen Diversifizierung ihres Exportmarktportfolios durchlaufen. Dies hat dazu geführt, dass wir heute im Durchschnitt deutlich weniger abhängig von einzelnen Märkten sind als früher. Ich würde also sagen: Die USA sind wichtig für den deutschen Markt, aber nicht existenziell wichtig. Das gleiche gilt übrigens für den Brexit. Auch dieser ist für Deutschland absolut beherrschbar, was die volkswirtschaftlichen Langzeiteffekte angeht.
 

Vorausgesetzt, die möglichen negativen Effekte auf den EU-Binnenmarkt bleiben einigermaßen kalkulierbar, oder? Immerhin entfallen auf ihn die Hälfte aller deutschen Exporte.
Das ist zwar richtig, allerdings nur, wenn man nicht in Wertschöpfungseinheiten rechnet. In vielen Produkten, die wir ins europäische Ausland liefern, steckt inzwischen ein hoher Anteil von Vorleistungen aus Drittstaaten, mitunter sogar von außerhalb der EU. Ein deutsches Auto enthält beispielsweise einen Kabelbaum aus der Ukraine oder ein Gummibauteil aus Indonesien. Deutschland ist also, selbst was den EU-Binnenmarkt angeht, stärker diversifiziert, als es den Anschein hat.
 

So stabil der deutsche Außenhandel auch dasteht, inzwischen wird er von vielen Ländern kritisiert. Eine wichtige Rolle spielen dabei die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse. Diese, so die Kritik, gehen zulasten anderer Länder. Stimmt das?
Im Kern geht es dieser Kritik, die ja auch neulich noch einmal sehr prominent durch den Economist formuliert wurde, um die Adressierung eines Marktversagens: Deutschland hätte eine zu hohe Export- und eine zu niedrige Investitionsquote und dagegen müsse man vorgehen. Es stimmt zwar, dass deutsche Konsumenten vergleichsweise risikoavers und sparfreudig sind und deutsche Firmen deshalb vergleichsweise viele Produkte exportieren, statt den Heimatmarkt zu bedienen. Die Frage ist nur, ob es sich hier tatsächlich um eine Art Marktversagen handelt, das mit wirtschaftspolitischen Mitteln zu bekämpfen wäre. Es mag ja stimmen, dass der deutsche Markt von der sogenannten German Angst geprägt ist, wie der Economist schreibt. Aber ich sehe nicht, wie sich daraus ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf ergeben sollte.
 

Es heißt, Deutschland handele egoistisch.
Wer handelt denn egoistisch? Ist das etwas, das in der Wirtschaftspolitik angelegt ist? Fördern wir mit irgendwelchen Instrumenten diesen Leistungsbilanzüberschuss und verhindern wir den Import von ausländischen Gütern? Und wenn es denn so wäre, mit welchen politischen Instrumenten sollten wir denn gegensteuern können? Es ist ja alles durch WTO und EU-Recht geregelt. Deutschland hat schon rein rechtlich gar nicht die Möglichkeit, egoistisch zu sein. Das, was wir früher als „Beggar Thy Neighbor Policies“ bezeichnet haben – Politiken, die zur Verarmung des Nachbarn führen – ist heute in dieser Form nicht mehr möglich. Eigentlich geht es hier mehr um Psychologie als um Wirtschaftspolitik.
 

Also sollte man die Kritik ignorieren?
Nein, das wäre auch keine Lösung. Wenn es jetzt aus irgendwelchen Gründen die Überzeugung gibt, die deutschen Exportüberschüsse seien ein Problem, dann sollte man das durchaus ernst nehmen. Denn es besteht die Gefahr, dass diese Überzeugung zu politischen Maßnahmen führt, die den freien Zugang zu Märkten einengt, auf den Deutschland nun einmal sehr stark angewiesen ist. Selbst wenn also die Kritik an den Leistungsbilanzüberschüssen aus wirtschaftlichen Gründen überhaupt keinen Sinn hat, ist es dennoch notwendig, ihn zu adressieren.
 

Wie könnte man das bewerkstelligen?
Möglich wären beispielsweise steuerpolitische Maßnahmen. Es ist ja durchaus Geld im Budget des Bundesfinanzministeriums vorhanden, das den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben werden könnte. Möglich wäre dies zum Beispiel über eine Reform der Mehrwertsteuer. Darüber würden wir auch die Importnachfrage stimulieren, da ausländische Produkte für den deutschen Markt billiger werden würden.

Und man sollte inländische Investitionen stärken, oder?
Wir haben sicher Investitionsbedarf, vor allem aufgrund neuer Technologien. Aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass hier kein Zusammenhang zu den Leistungsbilanzüberschüssen besteht – auch wenn dies immer wieder behauptet wird. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind ein Phänomen der letzten 15 Jahre. In diesem Zeitraum sind die Investitionen hierzulande aber quasi stabil geblieben. Dieses Argument geht also ins Leere.
 

Wie sehen Sie die Zukunft der deutschen Außenpolitik in Bezug auf Europa?
Deutschland spielt schon jetzt eine wichtige Vermittlerrolle zwischen verschiedendsten handelspolitischen Akteuren und trägt zur Einheit Europas bei. Die EU insgesamt muss sich fragen, ob man es in Zukunft mit einem Bündnis der verschiedenen Geschwindigkeiten zu tun haben will, das sich insgesamt auf ein gemeinsames Ziel zubewegt – die immer tiefere politische Union. Oder ob man besser ein stärker vereintes Kerneuropa anstrebt, mit einer Peripherie, zu der man ein „Living Agreement“ ausbildet.
 

Wie beurteilen Sie die Marktchancen deutscher Unternehmen in Afrika, die ja auf dem letzten G20-Gipfel in Hamburg eine prominente Rolle spielten.
Ich finde es gut, dass das Thema Afrika sehr hoch auf der Prioritätenliste der Politik steht. Denn es ist ja keine Frage, dass ein Teil der Zukunft Europas auf diesem Kontinent mit entschieden wird. Und ich finde den Ansatz richtig, die Entwicklungshilfe breiter zu definieren, nicht immer nur zu messen an staatlichen Zuwendungen, sondern auch am Engagement deutscher Firmen – und dieses Engagement zu fördern. Das ist auch deshalb wichtig, weil Deutschland gerade nicht die besten Voraussetzungen hat, erfolgreich in Afrika zu investieren. Wir beobachten etwa, dass einzelne Länder aus bilateralen Investitionsschutzprogrammen austreten, wie zuletzt Südafrika. In einer Studie für das Entwicklungsministerium von 2015 konnten wir zeigen, dass die deutsche Wirtschaft erheblich Marktanteile verloren hat. Es ist deshalb positiv, dass die deutsche Politik erkannt hat, dass es in unserem ureigensten Interesse liegt, die Bedingungen für deutsche Direktinvestitionen in afrikanischen Ländern zu verbessern.


 Prof. Gabriel Felbermayr
ist Direktor des ifo Zentrums für Außenwirtschaft am ifo Institut – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung der Universität München

Wirtschaft
Dezember 2023
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