Freie Fahrt für grünen Strom

Der Stromnetzbetreiber TenneT will auch im eigenen Haus die Dekarbonisierung vorantreiben – wie das geht, erklärt CFO Dr. Arina Freitag.

Dr. Arina Freitag ist seit 2022 Chief Financial Officer des Übertragungsnetzbetreibers TenneT.
Dr. Arina Freitag ist seit 2022 Chief Financial Officer des Übertragungsnetzbetreibers TenneT.
TENNET Beitrag

Frau Freitag, Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein, die Niederlande bis 2050, ebenso die Europäische Union insgesamt. Inwiefern glauben Sie, dass TenneT durch Dekarbonisierung im eigenen Unternehmen etwas dazu beitragen kann?

Das Höchstspannungsnetz ist einer der wichtigsten Träger der Energiewende, weil es den aus erneuerbaren Energien erzeugten Strom transportiert. Dazu muss es auf dem neuesten Stand sein und enorme Kapazitäten haben, was eine Modernisierung und einen Ausbau dringend nötig macht. Dafür ist TenneT als einer der größten europäischen Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich. Dadurch zahlen wir per se schon auf die Klimaziele ein. Gleichzeitig können wir angesichts der gewaltigen Netzausbauvorhaben erheblich zu einer Minderung der Treibhausgas-Emissionen beitragen, indem wir unseren eigenen CO2-Fußabdruck verkleinern und dafür Sorge tragen, dass auch die Emissionen in unseren Wertschöpfungsketten systematisch reduziert werden – das verstehen wir unter effizienter Dekarbonisierung. 
 

Welche konkreten Ziele hat TenneT sich für die Dekarbonisierung gesetzt?

Mir ist wichtig, zunächst zu erläutern, worauf sie basieren: Sie stehen in Einklang mit den Pfaden des Pariser Klimaabkommens, die zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels identifiziert wurden, die Science Based Targets Initiative (SBTi) hat sie verifiziert. Entsprechend dieser Standards unterscheiden wir zur Messung unseres CO2-Fußabdrucks zwischen verschiedenen Arten von Emissionen: Die so genannten Scope-1-Emissionen sind direkte Ausstöße, Scope-2-Emissionen indirekte, die beide aus der unmittelbaren Geschäftstätigkeit von TenneT resultieren. Scope-3-Emissionen umfassen sonstige indirekte Ausstöße, die typischerweise in der vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungskette anfallen. Unser Ziel ist eine Reduzierung der absoluten Scope-1- und Scope-2-Emissionen um 95 Prozent bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2019, die absoluten Treibhausgasemissionen in Scope-3 sollen im gleichen Bezugsrahmen um 30 Prozent sinken. 
 

Wie will TenneT das umsetzen?

Einen großen Teil unserer Emissionen in Scope-1 und Scope-2 machen der Einsatz von Schwefelhexafluorid, kurz SF6, Mobilität sowie die Verwendung von Gas als Energieträger für unsere Gebäude aus. Daher konzentrieren sich unsere Einsparmaßnahmen zum einen auf SF6-freie Alternativen in unseren Netzanlagen: Sie sollen in zwei Dritteln der bis 2030 neu installierten Anlagen verwendet werden. Zum anderen werden wir unsere Fahrzeugflotte komplett auf Elektromobilität umstellen und auf grünes Gas für die Beheizung von Gebäuden umsteigen. Bei den Scope-3-Emissionen spielt die Beschaffung eine zentrale Rolle, denn sie sorgt dafür, dass wir auf nachhaltige Waren und Dienstleistungen in unserer Lieferkette setzen.
 

Damit wird die Verantwortung für die Reduktion auf mehrere Schultern verteilt, richtig?

Es gibt Überschneidungen zwischen unserem Scope-3-Fußabdruck und jenem aus den Bereichen Scope-1, Scope-2 und Scope-3 unserer Lieferanten – damit teilen wir uns in der Tat die Verantwortung, und beide Seiten sind motiviert, die Emissionen entlang derselben Wertschöpfungskette zu verringern. 
 

Können Sie die Maßnahmen im Rahmen der Scope-3-Emissionen detaillierter schildern?

Wir quantifizieren die Umweltauswirkungen der beschafften Waren und Dienstleistungen mit besonderem Augenmerk auf diejenigen, die den größten Anteil an unseren Scope-3-Emissionen ausmachen. Schon heute berücksichtigen wir Nachhaltigkeitskriterien bei unseren Beschaffungsentscheidungen und schaffen bei unseren Zulieferern effektive Anreize für nachhaltiges Handeln.
 

Wie steht TenneT zum Thema Kreislaufwirtschaft?

Wir wissen, wie knapp die Materialien für die Energiewende sind, und wie groß die Umweltauswirkungen der Produktion von Primärmaterialien sowie der Abfallerzeugung – schließlich setzt TenneT eine Menge Rohmaterialien wie Stahl, Kupfer, Aluminium, Kunststoff oder Beton ein. Gerade deshalb sind wir überzeugt, dass der Übergang von der herkömmlichen linearen Materialnutzungskette hin zu einer Kreislaufwirtschaft nötig ist – und machbar. 
 

Wie stellen Sie sich das vor?

TenneT wird viel mehr Stoffe und Rohstoffe wiederverwerten und die Kreislaufwirtschaft gemeinsam mit seinen Partnern ausbauen. TenneT hat eine Mission: Wir wollen weniger abhängig von primär erzeugten Materialien werden, indem wir zirkuläres Design, zirkuläre Beschaffung und tatsächliche Wiederverwertung integrieren – und das alles, während wir gleichzeitig unser Netz ausbauen.
 

Das erfordert immense Investitionen. Welche Rolle kann dabei „Green Finance“ spielen?

Das Investmentportfolio bei TenneT beläuft sich nach aktuellen Prognosen für die kommenden zehn Jahre auf 160 Milliarden Euro – davon 60 Prozent in Deutschland und 40 Prozent in den Niederlanden. Green Finance spielt hierbei eine wichtige Rolle. TenneT hat 2015 mit der Ausgabe grüner Anleihen begonnen, mit denen wir Fremdkapital vom Markt beziehen und nachhaltige Projekte finanzieren können. Wir haben außerdem ein so genanntes „Green Financing Framework“ entwickelt, das die Nachhaltigkeit solcher Projekte überwacht. Wegen der strengen Bedingungen für Green Finance schafft das Konzept eine hohe Motivation. Kein Wunder, dass so viele Unternehmen darauf setzen. Ohnehin ist die grüne Energiewende eine Gemeinschaftsaufgabe: Sie kann nur gelingen, wenn die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit, Verfügbarkeit, Qualität und Nachhaltigkeit gewahrt bleibt – das gilt für uns wie für alle anderen Akteure.
 

Das Unternehmen

TenneT ist ein führender europäischer Netzbetreiber. Als erster grenzüberschreitender Übertragungsnetzbetreiber plant, baut und betreibt TenneT ein über 25.000 Kilometer langes Hoch- und Höchstspannungsnetz in den Niederlanden und großen Teilen Deutschlands. Mit einem Umsatz von 9,2 Milliarden Euro und einer Bilanzsumme von 45 Milliarden Euro ist TenneT einer der größten Investoren in nationale und internationale Stromnetze, an Land und auf See. Insgesamt beschäftigt TenneT mehr als 8.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

www.tennet.eu
 

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