Die Talsohle ist durchschritten

 Die Stimmung in den Unternehmen verbessert sich. Bis das neue Investitionspaket in der Wirtschaft ankommt, dauert es aber noch ein wenig.

Illustrationen: Cristina Franco Roda
Illustrationen: Cristina Franco Roda
Mirko Heinemann Redaktion

Nachtigall, ick hör dir trapsen“, so geht eine der Redewendungen, für die Berlin berühmt ist. Nicht nur, dass in den Stadtparks besagte Vögel seit Monaten eifrig flöten, auch Korrespondenten und Ökonomen zwitschern mögliche Aufschwungsignale in die Welt hinaus. Zwar sind die reellen Zahlen immer noch schlecht. Die führenden Forschungsinstitute prognostizieren in ihrer Gemeinschaftsdiagnose für 2025 ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,1 Prozent. Also Stagnation. Immerhin: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht von einem Mini-Wachstum der deutschen Wirtschaft von 0,4 Prozent aus. Unter den mehr als 50 untersuchten Nationen schneiden nur Norwegen und Österreich schlechter ab. Aber jetzt kommt die Nachtigall ins Spiel. 

Erstens zwitschert sie: Die deutsche Wirtschaft ist laut Statistischem Bundesamt im ersten Quartal um 0,4 Prozent gewachsen. Unerwartet. Zweitens: Die Stimmung unter den Unternehmen in Deutschland hat sich verbessert. Der ifo Geschäftsklimaindex stieg im Mai auf 87,5 Punkte, nach 86,9 Punkten im April. Und drittens bewerten die Börsen die deutsche Wirtschaft ausgesprochen optimistisch. Der Deutsche Aktienindex (Dax) ist seit Anfang des Jahres um 20 Prozent gestiegen. Damit sagt das Gefühl der Anleger offenbar etwas anderes als die Berechnungen der Wirtschaftsforscher. Ob es damit zu tun hat, dass die USA als Investitionsstandort zunehmend zum unsicheren Kandidaten werden und Anleger ihr Geld in heimischen Gefilden in Sicherheit glauben?

Abgeschreckt von der Unberechenbarkeit Donald Trumps und durch Zweifel an der langfristigen Solidität des US-Dollars als globaler Leitwährung wirke Europa plötzlich wie ein „Ort der Verlässlichkeit“, schreibt das Manager-Magazin. Hoffnungen hat auch die neue Bundesregierung genährt, die noch vor der Amtsübernahme beschlossen hat, die Verschuldungsgrenzen zugunsten der Verteidigungsfähigkeit zu lockern. Wenig überraschend, dass der Rüstungskonzern Rheinmetall der größte Gewinner unter den Dax-Konzernen im laufenden Jahr gewesen ist. Wohlwollend betrachtet, ließe sich die Gesamtentwicklung so deuten: Die Börsen zeigen an, dass ein Strukturwandel im Gange ist. Die alte Industrie verschwindet, eine neue entsteht. 

Jedenfalls scheint der tiefste Punkt im Tal der Tränen für die deutsche Wirtschaft durchschritten. Die Beratungsfirma Sentix sieht Deutschland gar wieder in der Rolle einer Konjunkturlokomotive. „Euroland profitiert von einer Erholung in Deutschland“, erklärte Sentix Mitte Juni zu ihrer monatlichen Umfrage unter rund 1.055 Investoren. Der Konjunkturindex für die Euro-Zone stieg demnach im Juni um 8,3 Punkte auf plus 0,2 Zähler und damit auf den höchsten Stand seit einem Jahr. Die Anleger bewerteten Lage und Aussichten jeweils deutlich besser. „In den letzten Jahren wirkte die Stagnation der deutschen Wirtschaft immer wieder wie ein Bremsklotz für die europäische Konjunktur“, sagte Sentix-Geschäftsführer Patrick Hussy. Nun profitierten die Sentix-Daten in der Euro-Zone von der Aufholbewegung, die von Deutschland ausgehe. Das Barometer für Deutschland kletterte auf den höchsten Stand seit März 2022, als der Angriff Russlands auf die Ukraine für einen Einbruch sorgte. 

Weitere hoffnungsvolle Signale: Zum Beispiel ist die Zahl der Unternehmensneugründungen zuletzt deutlich gestiegen, stärker als die Zahl der Firmenaufgaben. Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW erwartet für 2025 einen Anstieg der Firmengründungen in Deutschland. Die Zahl der Existenzgründungen ist 2024 bereits leicht gestiegen und lag bei 585.000, was einem Plus von 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die KfW geht davon aus, dass dieser Trend weiter anhalten wird, da mehr Menschen eine Selbstständigkeit planen. Zum einen veranlasse die abkühlende Arbeitsmarktsituation mehr Menschen dazu, sich für eine Firmengründung zu entscheiden. Die KfW verzeichnet aber auch eine wachsende Lust auf Selbstständigkeit an sich: Insbesondere bei jungen Leuten bis 29 Jahren gibt es eine verstärkte Präferenz für die Selbstständigkeit gegenüber einer Anstellung, was die KfW-Gründungsmonitore belegen. 

2026 erwartet die OECD ein höheres Wachstum als zuvor. Statt um 1,1 Prozent dürfte die deutsche Wirtschaft um 1,2 Prozent wachsen. Als Gründe nennen sie ein Ende der innenpolitischen Unsicherheit sowie einen anziehenden Konsum. Aber auch die erwartete Investitionsoffensive der Regierung gibt Aufwind – sie war in der vergangenen OECD-Prognose noch nicht voll berücksichtigt. Deutschland leidet seit Jahren unter einer geringen Binnennachfrage. Das soll sich laut OECD ändern. 

Von der neuen Bundesregierung und der Verfassungsänderung, um schuldenfinanziert die Investitionen in Verteidigung, Klimaschutz und Infrastruktur anzukurbeln, erwarten die Forschenden positive Impulse, jedoch erst „nach und nach“, wie Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), erklärte. „Der Politikschwenk trifft auf eine Wirtschaft, die in einer Krise steckt, welche durch Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsschwäche gekennzeichnet ist.“ 

Die Arbeitslosenquote nimmt weiter langsam zu, und der Beschäftigungsaufbau ist zuletzt zum Erliegen gekommen. Die privaten Haushalte stellen sich auf die wirtschaftliche Krise ein, indem sie mit Ausgaben vorsichtiger sind: Ihre Sparquote war im 4. Quartal 2024 deutlich höher als im langjährigen Durchschnitt. Laut IWH soll das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit von 2,7 Prozent im Jahr 2025 wohl auf 3,2 Prozent im Jahr 2026 steigen und damit die Maastricht-Regel reißen, wenn auch nur leicht. Bis 2027 soll das Defizit laut Bundesbank-Berechnungen auf gut 4 Prozent steigen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel erklärte Mitte Juni anlässlich der neuen Deutschland-Prognose seines Hauses, die Unsicherheit über die künftige US-Politik dämpften das deutsche Wirtschaftswachstum. „Das trifft die deutsche Industrie zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich nach langer Schwächephase zu stabilisieren beginnt.“

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Wirtschaft
Juni 2025
Illustration: Daria Domnikova
Redaktion

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