Vor einigen Jahren, da war die Vorfreude groß. Wasserstoff sollte der Stoff sein, der die Transformation hin zu einer klimaneutralen Industrie wesentlich vorantreiben sollte. Produzieren kann man ihn mit Hilfe von Strom, der mit Hilfe von Wind oder Sonne erzeugt wird – nicht zuletzt aus den Überkapazitäten der deutschen Windkraftanlagen an stürmischen Tagen. Und einsetzen lässt er sich für eine Fülle von Dingen: Als Brennstoff und Energielieferant für Produktionsprozesse und Transport. Aber auch als Prozess-Chemikalie etwa bei der Kupferherstellung oder in der chemischen Industrie.
Noch zu Zeiten der Großen Koalition unter Angela Merkel entschied die deutsche Regierung deshalb, in die Vollen zu gehen. 2020 wurde die Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen – und damit Milliardeninvestitionen in eine Wasserstoff-Infrastruktur und hohe Subventionen für Industrieunternehmen, die Produktionsprozesse auf den neuen Stoff umstellten. Damit befand man sich durchaus im internationalen Mainstream: Entsprechende Initiativen gab und gibt es auch in vielen anderen Ländern.
AUFBRUCHSTIMMUNG
2023 schrieb die Ampelkoalition dann die Strategie fort und formulierte ihre Ziele teilweise noch ehrgeiziger. Dabei musste angesichts der Liste der Vorhaben allen klar sein, dass man eine Herkulesaufgabe vor sich hatte, mit einem äußerst ambitionierten Zeitplan. Der knapp 10.000 Kilometer lange Kern eines Transportnetzes sollte bis 2032 in Betrieb sein. Zehn Gigawatt Produktionsleistung für „grünen“ Wasserstoff aus Wind und Sonne in Deutschland bis 2030 installiert. Ein gewaltiger Technologiesprung und -wechsel innerhalb weniger Jahre. Doch der so langsam spürbare Klimawandel schien große Eile zu gebieten. Es herrschte Aufbruchstimmung. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2025 – und die Lage stellt sich um einiges diffuser dar. Denn zwar läuft an vielen Stellen die Umsetzung der Wasserstoffstrategie: Stahlhersteller bauen oder planen Anlagen, die in Zukunft mit Hilfe von Wasserstoff klimafreundlichen Stahl produzieren sollen. Der Bau des Transportnetzes soll in diesem Jahr beginnen. In Ostfriesland wurde Ende letzten Jahres ein unterirdischer Speicher erstmals mit Wasserstoff gefüllt, um Erfahrungen zu sammeln. Und Siemens hat sein traditionsreiches Berliner Werk für Gasturbinen auf die Produktion von Elektrolyseuren umgestellt, mit denen an Windkraftstandorten in Zukunft Strom in Wasserstoff umgewandelt werden soll.
Doch gleichzeitig wird etwas sichtbar, das man je nach Blickwinkel als Realitätsschock oder als die Mühen der Ebene betrachten kann. Das vielleicht wichtigste Thema: Die Produktion von Wasserstoff aus regenerativen Energien hinkt weltweit massiv hinter den ambitionierten Zeitplänen hinterher. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat ermittelt, dass zwar weltweit mehr als 60 Länder Strategien für einen Markthochlauf von grünem Wasserstoff entwickelt haben. Allerdings wurden 2023 weniger als zehn Prozent der Projekte zur Produktion auch tatsächlich realisiert. Das ist auch deshalb eine schlechte Nachricht, weil Deutschland allen Berechnungen nach den Stoff auf Dauer wird importieren müssen.
CCS ALS LÖSUNG?
Und der sauber erzeugte Wasserstoff, der verfügbar ist, ist deutlich teurer als vorab einkalkuliert: Industrievertreter sprechen von Preisen, die teils bei mehr als dem Doppelten von dem liegen, das erwartet worden war. Andererseits ist in den Technologiewechsel schon eine Menge Geld investiert worden. Vom Staat, aber auch von Industrieunternehmen, die die Weichen teilweise so gestellt haben, dass sie kaum noch zurück können.
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte zu Jahresbeginn die Debatte noch weiter angeheizt, als er öffentlich anzweifelte, dass die Umstellung der deutschen Stahlindustrie auf grünen Wasserstoff schnell funktionieren könne. Gleichzeitig brachte er eine Technologie ins Spiel, die die Politik bisher für Deutschland abgelehnt hatte: „Carbon Capture and Storage“, kurz CCS – die Abscheidung von CO2 während Produktionsprozessen und die unterirdische Speicherung des Gases.
Das Bundeswirtschaftsministerium stuft diese Speicherung als sicher ein. In Ländern wie Norwegen wird sie bereits angewendet. Was die deutsche Industrieproduktion und Energieversorgung angeht, sind im Wesentlichen zwei Varianten denkbar, wie CCS eingebunden werden könnte. Zum einen könnte sie beim Hochlauf einer Wasserstoff-Wirtschaft helfen. Denn in der Startphase könnte der Mangel an grünem Wasserstoff durch das Verfahren kompensiert werden. Man würde dann die Leitungen zunächst mit Wasserstoff füllen, der konventionell produziert wurde – aus Erdgas und damit nicht klimaneutral. Die Speicherung von CO2 würde in dieser Übergangsphase die Klimabilanz verbessern.
PROGNOSE: UNKLAR
Die zweite Variante wäre, stark vereinfacht: CCS könnte als Mittel dienen, um in vielen Bereichen alles so zu lassen, wie es ist. Man würde weiter auf fossile Roh- und Brennstoffe setzen und das bei deren Verarbeitung entstehende Kohlendioxid abscheiden und unterirdisch verpressen. Kritiker:innen des Verfahrens argwöhnen, dass beim Einsatz von CCS genau das passieren würde. Und nicht zuletzt: Auch für dieses Verfahren müsste erst eine Menge Infrastruktur für Transport und Speicherung geschaffen werden.
Für vieles andere halten Expert:innen den direkten Einsatz von grünem Strom für sinnvoller als die Umwandlung desselben in Wasserstoff: Bei Heizungsanlagen ist die Wärmepumpe effizienter als es eine Wasserstoffheizung wäre. Auch Elektro-PKW fahren mit besserem Wirkungsgrad als solche, die mit Wasserstoff oder mit aus diesem erzeugten E-Fuels betrieben werden.
Wie wird man in zehn oder 20 Jahren einmal auf das Projekt Wasserstoffwirtschaft zurückblicken? Im Moment lässt sich das schwer prognostizieren. Tatsache ist, dass die Argumente, die für den Stoff sprechen, immer noch zählen. Viel wird in der Zukunft von der Politik abhängen. Und von Weichenstellungen, die das Projekt entweder beschleunigen oder ausbremsen. Für nicht wenige Akteure dürfte ein Weg zurück jedenfalls sehr schwer und teuer werden, wenn er denn kommen sollte.