Es ist eine einfache wie anschauliche Rechnung, die das Institut der deutschen Wirtschaft, IW, aufmacht: Wenn Arbeitnehmer hierzulande mithilfe von Künstlicher Intelligenz, KI, zwei Arbeitsstunden pro Woche sparen würden, könnten damit 3,9 der 4,2 Milliarden bis 2023 altersbedingt wegfallenden Arbeitsstunden kompensiert werden. Zack, Fachkräftemangel gelöst.
Allerdings müsste sich – soll diese Rechnung aufgehen – nicht nur der Anteil der Unternehmen in Deutschland deutlich erhöhen, die KI-Anwendungen einsetzen. Sie müssten vor allem so effizient integriert werden, dass der Kollege Mensch tatsächlich zwei Stunden pro Woche weniger arbeiten muss. Nun zeigt eine im Rahmen der IW-Consult-Studie durchgeführte Befragung, dass vor allem die deutsche Industrie schon besonders gerne KI einsetzt, nämlich bereits jedes dritte Unternehmen und damit fast doppelt so viele wie im bundesdeutschen Durchschnitt. Zudem würde ein Blick auf die Umsatzzahlen zeigen, dass sich der Einsatz von KI für die Industrieunternehmen auch wirtschaftlich lohnt: 88 Prozent der Industrieunternehmen, die KI einsetzten, erzielten im vergangenen Jahr eine positive Nettoumsatzrendite, verbuchten also einen Gewinn. Bei den Industrieunternehmen, die keine KI nutzten, traf das nur auf 69 Prozent zu.
KI ist nicht gleich KI
Dass KI in der Industrie bereits so vielfältig genutzt wird, liegt vor allem daran, dass die Automatisierung und hier vor allem die Datenanalyse und -verarbeitung schon sehr weit fortgeschritten sind. So werden beispielsweise Lieferketten und Bestellprozesse optimiert, mit intelligenten Assistenz-, Sprach- oder Bilderkennungssystem gearbeitet. Soll die KI auch in der Produktion alle Möglichkeiten entfalten, geht es jetzt vor allem darum, Maschinen zu vernetzen, Daten sinnvoll(er) aufzubereiten und die KI entsprechend zu trainieren. Großes Potenzial liegt vor allem im Erkennen von Fehlern und in der Qualitätssicherung, wo Aufmerksamkeit und Kapazitäten der Menschen deutlich schneller an Grenzen stoßen.
Zudem nimmt der Bereich der sogenannten generativen KI gerade an Fahrt auf, der durch Lösungen wie ChatGPT aktuell in aller Munde ist. Generativ steht in dem Fall für Inhalte und Daten, die von der KI selbst erzeugt werden können und die den Inhalten und Daten ähneln, mit denen sie trainiert wurde. Generative KI könnte etwa in der Robotik zu einem echten Game Changer werden – und damit auch für die Industrie, wo verschiedenste Robotik-Komponenten von Kameras über Greifarme zum Einsatz kommen. Dann nämlich, wenn deren Programmierung für jedermann möglich wird.
Ein solches, auf generativer KI basierendes System hat das deutsche Start-up fruitcore robotics im Sommer auf der Messe Automatica vorgestellt. Deren Betriebssystem horstOS ist eine Art KI-Co-Pilot, der mit Anwendern kommunizieren, aber auch ganze Programme nach Anweisung selbst schreiben kann. So könnte das Betriebssystem bei der Programmierung neuer Aufgaben unterstützen und die Roboterkomponenten auch verwalten.
Zusammenarbeit KI und Mensch
Dass die Programmierung der Roboter mittels natürlicher Sprache wortwörtlich kinderleicht ist, hat fruitcore gerade im Rahmen der MINT-Initiative „Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland“ gemeinsam mit der Hochschule Furtwangen bewiesen. 24 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 14 Jahren durften an dem Workshop teilnehmen und einen Roboterarm mit Hilfe von horstOS programmieren. „Als technisch orientierte Hochschule ist es uns ein Anliegen, Kinder frühzeitig mit MINT- und Ingenieurthemen in Berührung zu bringen – und das in der praktischen Anwendung. Denn sie könnten die Ingenieurinnen und Ingenieure von morgen sein“, betont Siegfried Schmalzried vom Hochschulcampus Tuttlingen der Hochschule Furtwangen.
Und dass genau dieses frühe Heranführen an Technik, Digitalisierung und vor allem KI wichtig ist, zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). Demnach bewerten 60 Prozent der Befragten den Mangel an KI-Fachkräften als Herausforderung, um Potenziale auszuschöpfen. 52 Prozent gaben an, dass die Angst der Beschäftigten gegenüber KI ein Hindernis bei der Einführung solcher Systeme darstellt. Und tatsächlich: Den Einsatz von KI schätzen 33 Prozent der Befragten als bedenklich und sieben Prozent als sehr bedenklich ein. Demgegenüber empfinden 25 Prozent den Einsatz von KI generell unbedenklich und weitere acht Prozent vollkommen unbedenklich. Weitere Analysen zeigen, dass die Bedenken seitens der Beschäftigten ohne Führungsverantwortung wesentlich höher sind als bei Führungskräften. So bewerten 49 Prozent der Beschäftigten den Einsatz von KI als bedenklich beziehungsweise sehr bedenklich, während lediglich 21 Prozent dies als (vollkommen) unbedenklich ansehen.
Von der Konkurrenz zum Co-Worker
Industrieunternehmen stehen also nicht nur vor der Herausforderung, jene Arbeitskraft durch KI zu ersetzen, die sie altersbedingt verlieren, sondern vor allem die bestehende Belegschaft auf das KI-Zeitalter vorzubereiten, bis der junge, durch hoffentlich noch mehr MINT-Initiativen begeisterte Nachwuchs nachrückt. Das heißt in erster Linie, den Wandel aktiv zu begleiten, wie auch die ifaa-Studie unterstreicht. Dort wird betont, dass es nicht reicht, sich nur auf die technischen Aspekte zu fokussieren, sondern auch „arbeitsgestalterische Fragestellungen – wie Prozesse, Organisationsstrukturen und die Kommunikation in den Unternehmen – und die Bedarfe der Beschäftigten“ zu adressieren.
Und auch die Bedenken sollten ernst genommen werden. Peter Liggesmeyer, seines Zeichens Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) und Informatikprofessor an der RPTU, schreibt in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung beispielsweise über ein Phänomen, das seit langer Zeit zu beobachten sei: der allgemeinen Euphorie rund um interessante Technologien wie KI oder Quantencomputing. Dabei werde schnell dazu tendiert, die Fähigkeiten dieser Systeme zu überhöhen und sie als regelrechte Heilsbringer für allerhand Probleme darzustellen. Vielleicht sollte der gute Rat deshalb lauten, trotz aller Künstlichen Intelligenz die menschliche nicht zu unterschätzen.