»Am wichtigsten ist es, das Auge zu schulen«

Eigentlich war die Niederländerin Marta Gnyp eine erfolgreiche Wirtschaftsspezialistin, die für einen Schweizer Großkonzern mit Rohstoffen handelte. Doch gleichzeitig gab es da auch immer die Liebe zur Kunst.
Interview: Anneli Botz Redaktion

Heute ist die Galerie GNYP in Berlin mit gleich zwei Standorten vertreten und Marta Gnyp hat sich international als erfolgreiche Art Advisorin etabliert. Ein Gespräch mit einer Kunstmarktspezialistin, die nie den Blick für ihre Passion verloren hat.

 

 

Frau Gnyp, Sie waren erfolgreiche Wirtschaftsexpertin. Dennoch entschieden Sie sich für einen Wechsel in die Kunstwelt. Wie kam es dazu?
Ich habe früh begonnen, Kunst zu sammeln, und war beruflich viel unterwegs. Irgendwann wollte ich mehr wissen und fing ein Zweitstudium in Kunstgeschichte an. Danach hatte ich mein Herz gänzlich an die Kunst verloren. Und plötzlich war da die Entscheidung, die Kunstwelt als zweiten Karriereweg zu beschreiten.

 

2015 erschien Ihr Buch „The Shift“, in dem es um eine Analyse des Kunstmarktes geht. Insbesondere die Rolle des Sammlers spielt darin eine entscheidende Rolle.
Dadurch, dass ich früh begonnen habe, selber Kunst zu erwerben, war mir die Position des Sammlers automatisch nahe. Aber die Welt des Handels und Sammelns von Kunst ist eine sehr eigene, mit bestimmten Codes. Was ist ein guter, was ein schlechter Sammler? Welche Moralität steckt hinter dem Kunstmarkt? Wie entwickeln sich Preise? 

 

In Europa ist es ja vielfach geradezu verpönt, über den Zusammenhang von Geld und Kunst zu sprechen.
Ja, so ist es. Geld muss unwichtig sein, es darf nur um kulturelle Werte, um die reine Leidenschaft an der Kunst gehen. Das ist auch der Konsens in Gesprächen oder Interviews mit Sammlern: man spricht nicht über Geld. Aber das ist nicht zeitgemäß! Sogar sehr viele Sammler haben großes Interesse an Kunst als Investment.

 

Vor einigen Jahren war das das Thema des Art Flippings mit junger Kunst ein großes Thema. Junge Künstler wurden in kürzester Zeit zu enormen Preisen auf Auktionen verkauft, der Marktwert künstlich in die Höhe getrieben. Profitiert haben vor allem Sammler und Zwischenhändler. Ist so ein Sammler, der kauft um zu verkaufen, für Sie ein „schlechter Sammler“?
Ich bin da immer etwas vorsichtig mit der Einschätzung. Denn auch „gute“ Sammler, die große Sammlungen haben und Künstler lange halten, verkaufen. Vielfach sind äußere Umstände ein Faktor. Und man kann es natürlich auch nicht verbieten, denn jeder hat die Möglichkeit, bei einer Galerie zu kaufen und auf einer Auktion gewinnbringend weiterzuverkaufen. Erst kürzlich gab es den Fall der 29-jährigen Künstlerin Jordan Casteel, deren Malerei 2015 um die 5.000 Dollar kostete und die jetzt bei Christie’s für 300.000 Pfund unter den Hammer ging. So lange es Auktionshäuser gibt, die diese Möglichkeiten bieten, wird das auch wahrgenommen werden. Manchmal ist das schlecht für den Künstler, und manchmal ist das gut.

 

Was raten Sie jungen Sammlern, die in den Markt einsteigen wollen?
Am wichtigsten ist es, das Auge zu schulen und sich so viele Ausstellungen anzuschauen, wie möglich. In Galerien geht das am leichtesten, die sind umsonst und man kann alles fragen. Nach und nach arbeitet man so heraus, was einem gefällt.

 

Nach welchen Regeln haben Sie Ihre eigene Sammlung aufgebaut?
Ich will einfach sehr gute Kunst sammeln, die beste, die es gibt, und die ich mir natürlich auch leisten kann. Für Basquiat bin ich leider zu spät, und so versuche ich, die neuen Basquiats zu finden. Der Kunstmäzen François Pinault begann zeitgenössische Kunst zu kaufen, nachdem er acht Millionen Dollar für ein Bild von Mondrian gezahlt hatte. Er verstand, dass es zu teuer sein würde, eine Topsammlung aufzubauen, wenn er sich auf alte Kunst fokussieren würde. Bei zeitgenössischer Kunst ist der Spekulationsrahmen zwar groß, denn man weiß nicht, wie die Karriere des Künstlers verlaufen wird. Aber zugleich ist alles möglich. Und gerade der finanzielle Spielraum, der bei zeitgenössischer Kunst entstehen kann, die Option nach oben, ist etwas, das Kunst derzeit für viele so attraktiv macht.

 

Haben Sie das Gefühl, dass Frauen in der Kunstwelt unterrepräsentiert sind?
Frauen wurden in der Kunstgeschichte zweifelsohne sehr schlecht behandelt, eigentlich tauchen sie erst im 20. Jahrhundert auf. Davor gab es Künstlerinnen nur als Ausnahme. Aber  selbst im 20. Jahrhundert war es für Frauen nicht einfach. Lee Krasner, die Ehefrau Jackson Pollocks, war beispielsweise in den 1940er-Jahren eine herausragende Künstlerin, die zu ihrer Zeit nie ernst genommen wurde. Ich denke, das ändert sich jetzt.

 

Allgemein sind Frauen im Galerieprogramm allerdings unterrepräsentiert.
Das stimmt. Und paradoxerweise sind sechzig Prozent aller Galeristen wiederum Frauen. Es wird wohl einfach eine Zeit lang dauern, bis sich der Markt hier angleicht. Auf der anderen Seite kenne ich keinen Sammler, der mir gegenüber jemals eine Präferenz für männliche Kunst geäußert hätte. Da spielen Geschlecht, Alter und Herkunft keine Rolle. Nur die Qualität ist wichtig.

 

Die Tate legt ja in diesem Jahr einen verstärkten Fokus auf Frauen und auch generell gibt es viele Ausstellungen, die mit Absicht verstärkt weibliche Positionen zeigen. Geht es hierbei wirklich nur um Qualität oder spielt hier nicht auch Moralität eine Rolle?
Das ist generell eine Bewegung am Markt, über die ich auch in meinem neuen Buch geschrieben habe. Ich bezeichne es als moralischen Populismus; bestimmte Ausstellungen entstehen aufgrund von politischen und gesellschaftlichen Bewegungen. Auch wenn es paradox ist, ohne Donald Trump hätte es im vergangenen Jahr nicht denselben Hype um afroamerikanische Kunst gegeben. Da sieht man wieder, dass Kunst, Politik und Gesellschaft sehr eng miteinander verwoben sind. Und das macht dann auch wieder das Sammeln von zeitgenössischer Kunst so spannend: man kann die Zukunft einfach nicht vorhersehen.

 

Marta Gnyp ist eine niederländische Kunsthistorikerin, Kunstberaterin, Galeristin und Autorin. Mit ihrem Buch „The Shift – Art and the Rise to Power of Contemporary Collectors“ legte sie 2015 die erste wissenschaftliche Studie zu zeitgenössischem Kunstsammeln vor. Marta Gnyp lebt und arbeitet in Berlin.