Reduzieren & mindern

Der Weg zur klimaneutralen Industrie ist weit. Es lohnt sich, möglichst früh die ersten Schritte zu machen.
Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Mirko Heinemann Redaktion

Die Papierherstellung ist eine der energieintensivsten Branchen in Deutschland. Um seine Klimabilanz zu verbessern, möchte der Papierhersteller Kabel Premium Pulp & Paper im nordrhein-westfälischen Hagen künftig seine Prozesswärme aus so genannter Tiefer Geothermie gewinnen. Dazu untersucht das Unternehmen derzeit zusammen mit zwei Fraunhofer-Einrichtungen die Geologie unter dem Firmensitz. Spezialbohrer graben sich in Tiefen von bis zu 4.000 Metern, wo thermalwasserführende Schichten mit Temperaturen von bis zu 160 Grad Celsius vermutet werden. Mit speziellen Wärmepumpen könnte die Temperatur noch weiter gesteigert werden und die so gewonnene Wärme zur Trocknung der Papierfasern dienen.

Kabel Premium Pulp & Paper gehört mit seinen Erdwärmeplänen zwar zu den Pionieren unter den Industrieunternehmen, wird es aber wohl nicht lange bleiben. Bis 2050 soll die gesamte Wirtschaft in der EU klimaneutral sein. Das bedeutet, dass in den Unternehmen bereits jetzt entscheidende Weichen umgestellt werden müssen. Denn der Weg zur Klimaneutralität in den Unternehmen ist weit. Vor allem die Industrie muss umdenken. Derzeit ist sie für knapp 200 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß im Jahr verantwortlich, etwa 23 Prozent der Treibhausgase in Deutschland. 70 Prozent des industriellen Energiebedarfs werden von den energieintensiven Industriezweigen verursacht, zum Beispiel Stahl, Zement oder Grundstoffchemie.  
 

Unverzichtbare Industrie

 

Ein Drittel der CO2-Emissionen wird bei der Herstellung von Produkten freigesetzt, vor allem in der Metall- und Chemieindustrie. Neben Kohlenstoffdioxid werden aber auch Methan, Lachgas und fluorierte Gase freigesetzt, zum Beispiel in chemischen Industrieprozessen. All diese Treibhausgasemissionen zusammen gelangen in die Atmosphäre, tragen zur Erwärmung des Klimas bei und schädigen die Umwelt. Zugleich sind die energieintensiven Industrien unverzichtbar. Sie liefern Grund- und Werkstoffe für die Automobil-, Luft- und Raumfahrt-, Elektro-, Druck- und Verpackungsindustrie ebenso wie für den Maschinenbau, die Bauwirtschaft und alle anderen Branchen.

Welche Möglichkeiten haben sie, um ihre Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren? Grundsätzlich läuft es auf die Elektrifizierung der gegenwärtigen, meist mit fossilen Energieträgern betriebenen Produktionsprozesse hinaus. Diese führt allerdings in vielen Fällen zum Einsatz „nicht vertrauter“ Technologien und oftmals zu einer grundlegenden Umstrukturierung des Standortes, so das Umweltbundesamt 2020 in einer Studie. Demnach werde die Dekarbonisierung von bestehenden Produktionsprozessen in vielen Fällen mit einer „nahezu vollständigen Disruption“ der eingesetzten Verfahren und Aggregate verbunden sein.

Für die Studie, die das Umweltbundesamt gemeinsam mit dem Fraunhofer ISI erstellt hat, wurden in energieintensiven Industrien, Stahl-, Glas-, Zement-, Papier- und Chemieindustrie mögliche zukünftige Produktionsprozesse definiert und untersucht, wie sie zu einer möglichst vollständigen Dekarbonisierung der Industriebranchen führen könnten. Für eine vergleichende Analyse wurden sowohl die gegenwärtig in Deutschland eingesetzten Produktionsprozesse als auch die definierten zukünftigen Prozesse betrachtet.

Die Ergebnisse waren teils ernüchternd. So zeigte sich etwa bei der Zementherstellung, dass die energiebedingten Treibhausgasemissionen zwar relativ gut eliminiert werden können. Dennoch fielen trotz aller Anstrengungen in den Zukunftssimulationen immer auch relevante Mengen prozessbedingter Treibhausgasemissionen an. Etwas besser sah es bei der Glasherstellung aus, auch hier konnten jedoch nicht alle Treibhausgasemissionen eliminiert werden. Was tun mit solchen CO2-Überschüssen? Reicht es aus, sie per so genannter CCS-Technologien (Carbon Dioxide Capture and Storage) abzuscheiden und zu speichern und sie nach dem Prinzip der Carbon Dioxide Capture and Utilization anschließend als Rohstoff in anderen Prozessen zu nutzen und zu binden?

Zudem muss die Energieeffizienz in Maschinen, Anlagen sowie Produktionsverfahren und -abläufen steigen. Die Bundesregierung fördert mit einem „Nationalen Dekarbonisierungsprogramm“ die Entwicklung von klimafreundlichen Produktionsprozessen in der emissionsintensiven Industrie. Dazu gehört auch die Wasserstoffstrategie, die laut Bundesregierung Deutschland zum weltweit führenden Ausrüster für moderne Wasserstofftechnologien machen soll. Anwendungen sollen etwa in der Stahl- und in der Chemieindustrie, im Wärmebereich, aber auch im Verkehrsbereich stattfinden. Im Fokus der Förderung steht grundsätzlich „grüner“, also mit Hilfe erneuerbaren Stroms erzeugter Wasserstoff.
 

Sofortmaßnahmen ergreifen

 

Jedes Unternehmen kann jedoch jetzt bereits Veränderungen vornehmen, die eine unmittelbare CO2-mindernde Wirkung haben können. Das gilt insbesondere für die Teile der Wertschöpfungskette, die es direkt beeinflussen kann. Zunächst sollten Unternehmen hierfür ihren Carbon Footprint ermitteln und in diesem Prozess die größten Emissionstreiber identifizieren. Dabei können sie inzwischen auf die Unterstützung externer, spezialisierter Firmen zurückgreifen. Etwa das Berliner Start-up Planetly. Es hat eine Plattform für die Messung von CO2-Emissionen entwickelt und bereits namhafte Unternehmen wie BMW und Hello Fresh als Kunden gewonnen. Die Software des Unternehmens berechnet den CO2-Fußabdruck des Unternehmens und empfiehlt Maßnahmen, wie man ihn reduzieren kann. Verbleibende Emissionen können über zertifizierte Klimaschutzprojekte kompensiert werden.

Das Unternehmen gibt auch Tipps, welche CO2-Treiber schnell angegangen werden können. Dazu zählt etwa der Gebäudesektor, der in Deutschland etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen verursacht. Unternehmen mit eigenen Immobilien können gegensteuern, indem sie zum Beispiel den Wärmeenergieverbrauch reduzieren. Maßnahmen wie die energetische Sanierung mit Dämmung der Fassaden sparen signifikante Mengen an Energie ein und sparen auf lange Sicht Geld. Viele dieser Investitionsmaßnahmen sind zudem im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung durch Zuschüsse der KfW förderfähig. Auch Energieeffizienzmaßnahmen sparen CO2, etwa durch Umstieg auf Smarte Beleuchtung oder Smarte Heizlösungen. Laut Bundeswirtschaftsministerium können hier bis zu 25 Prozent der Kosten und Emissionen eingespart werden. Wer eigene Rechenzentren betreibt oder eine Cloud nutzt, kann durch Effizienzmaßnahmen oder den Umstieg auf einen klimaneutralen Cloud-Anbieter ebenfalls CO2 einsparen. Um den elektrischen Energiebedarf CO2-neutral zu decken, lohnt sich der Wechsel zu einem Anbieter von erneuerbarem Strom. Wer ein eigenes Gebäude besitzt, kann seinen Eigenstrombedarf zumindest zum Teil durch eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach decken. Und nicht zuletzt spart der Umstieg auf eine vegetarische Kantine enorme Mengen an Treibhausgasen ein.

 

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