Liquidität fließt nicht überall

In punkto Eigenkapital und Liquidität entwickelt sich Deutschland zum Zweistromland: Der eine Strom schickt üppig Kapital über diverse Vehikel in Richtung Mittelstand, während der zweite Strom zu vertrocknen droht.
Illustrationen: Jasmin Mietaschk
Illustrationen: Jasmin Mietaschk
Julia Thiem Redaktion

Die Klier Hair Group ist pleite. Das zuständige Amtsgericht in Wolfsburg hat am 1. Dezember das Insolvenzverfahren eröffnet. Damit ist das familiengeführte Unternehmen mit seinen rund 9.200 Mitarbeitern – übrigens Europas größtes Filialunternehmen in der Friseurbranche – eines der jüngsten Opfer der Corona-Pandemie. Bereits im Frühjahr während des ers-ten Lockdowns hatte das Unternehmen Überbrückungshilfen des Staates in Anspruch nehmen müssen. Damals mussten Friseurbetriebe zeitweise komplett schließen. Die Einnahmeeinbußen konnten so jedoch offensichtlich nicht kompensiert werden. Und auch das Schutzschirmverfahren, das erst im September beantragt wurde, um den angeschlagenen Mittelständler zu sanieren, konnte die Insolvenz offenbar nicht verhindern. Wie es um die Jobs des Filialunternehmens steht, ist noch unklar. Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Michael und Robert Klier zeigten sich jedoch zuversichtlich für einen Neustart.

 

Das Beispiel Klier verdeutlicht, wie es vielen Unternehmen mitten in der Corona-Pandemie geht – insbesondere jenen Branchen, die von den Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung von Covid-19 besonders hart getroffen werden. Die eigenen Liquiditätspolster und auch die finanziellen Hilfen des Staates können ein florierendes Geschäft eben nicht vollends ersetzen. Am Ende bleibt dann nur die Insolvenz, von der Experten für den Spätherbst ja bereits eine ganze Welle vorausgesagt haben, jetzt, wo die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausgelaufen ist. Einziger Trost: Auf den ersten Blick scheint sie zumindest im Fall von Klier unverschuldet und hat weder etwas mit einer schlechten Geschäftsführung noch mit einem unzureichend lukrativen Geschäftsmodell zu tun.

 

Dass die Klier Hair Group im Vorfeld der Insolvenz überhaupt Staatshilfen in Anspruch genommen hat, ist unter familiengeführten Unternehmen übrigens eher eine Ausnahme. Das belegt nun eine repräsentative Befragung der Stiftung Familienunternehmen, die vom Münchner Ifo-Institut für den Jahresmonitor der Stiftung erhoben wurden. Befragt wurden von Mai bis Juni über 2.000 Unternehmen, im Oktober dann noch einmal mehr als 1.000. Laut Studie haben demnach nur knapp 19 Prozent der Unternehmen Soforthilfen in Anspruch genommen. Wesentlich häufiger wurde auf Kurzarbeit (mehr als die Hälfte der Befragten) und Steuerstundungen zurückgegriffen (36 Prozent). Für Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, ist das nicht weiter verwunderlich: „Die meisten Unternehmen brauchen keine staatliche Alimente, alle aber gute und solide Rahmenbedingungen, um Eigenkapital und Liquidität zu sichern und aufzubauen.“ Aus seiner Sicht wäre eine deutliche Ausweitung der steuerlichen Verlustrückträge jetzt das beste Mittel, um die Resilienz von Unternehmen in der gegenwärtigen Krise zu steigern. Damit würde sichergestellt, dass auch nur Unternehmen mit einem soliden Geschäftsmodell Hilfen erhalten. Streuverluste und Wettbewerbsverzerrungen würden vermieden.

 

Für eine Stärkung der Eigenkapitalinstrumente spricht sich auch der Bankenverband aus. Zwar seien die privaten Banken nach wie vor eine starke Stütze für die deutsche Wirtschaft und hätten eine entscheidende Rolle dabei gespielt, Unternehmen mit Liquiditätsengpässen durch die Vergabe von Krediten zu helfen. Langfristig stoße das Instrument des Kredits jedoch an seine Grenzen, heißt es in einem aktuellen Bericht zur Lage der Unternehmensfinanzierung. „Vor allem für Unternehmen, deren Umsatzausfälle kaum oder gar nicht nachgeholt werden können, wird die Zahlungsfähigkeit zu einer Herausforderung“, sagt Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands. Deshalb sollten auch die Möglichkeiten von Finanzierungen über Kapitalmärkte genutzt werden. So könnten weitergehende staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Form von Mezzanine-Kapital, die eine Mischform von Eigenkapital- und Fremdkapitalfinanzierung darstellen, Abhilfe schaffen.

 

Eine weitere Finanzierungsalternative, die sich in der aktuellen Situation wachsender Beliebtheit erfreut, ist das Factoring. Nach Zahlen des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand (BFM) stieg das Volumen der Forderungen, die Mittelständler abgaben, im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent. Neben den klassischen Factoring-Unternehmen erobern übrigens auch immer mehr FinTechs den Markt für offene B2B-Rechnungen. Diese neuen, digitalen Marktplätze versprechen Unternehmen schnellen Zugang zu Liquidität und gleichzeitig einen hohen Grad an Transparenz und Flexibilität.

 

Der Weg an den Kapitalmarkt ist für den Mittelstand hingegen deutlich schwieriger und oftmals auch nicht erwünscht. Zum einen sind die regulatorischen Hürden beispielsweise für einen Börsengang extrem hoch. Zum anderen haben viele familiengeführte Unternehmen kein Interesse daran, ihren Einfluss auf die Geschäftsausrichtung derart zu verwässern. Sowohl Private Equity als auch Private Debt könnten hier eine Alternative sein. Gemeint ist das Engagement von Investoren, die entweder als Eigen- oder Fremdkapitalgeber für einen Mittelständler fungieren. Gerade für die Fremdkapitalseite interessieren sich mittlerweile auch immer mehr große Vermögensverwalter – teils aus Ermangelung renditeträchtiger Alternativen am Anleihemarkt. So analysierte das Handelsblatt jüngst, dass der Asset-Management-Riese Blackrock mittlerweile europaweit vier Milliarden US-Dollar für seine Kreditfonds eingesammelt hat, um sie anstelle von Banken in Form von Fremdkapital für die Unternehmensfinanzierung bereitzustellen. 3,5 Milliarden davon seien bereits investiert, 1,3 Milliarden hätte alleine der deutsche Mittelstand für Übernahme- und Wachstumsfinanzierungen erhalten.

 

Diese Zahlen und das ausländische Interesse zeigen, dass es für all jene Unternehmen, deren Branchen durch die Corona-Krise weniger stark eingeschränkt wurden, durchaus Finanzierungsalternativen gibt. Denn das Kapital ist da und findet mangels risikoarmer Alternativen auch seinen Weg in den deutschen Mittelstand. In Branchen, in denen die Geschäftsmodelle derzeit jedoch dem Virus zum Opfer fallen, werden trotz Staatshilfen und Liquiditätsalternativen in nächster Zeit wohl weitere Insolvenzen verkündet werden müssen. Wobei für die Zeit nach Corona ja auch dort eventuell noch Hoffnung besteht.

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