Der Winter naht – der Ausspruch aus der Fantasy-Serie Game of Thrones, der für große Sorge steht und Unheil ankündigt, scheint die reale Welt des deutschen Mittelstands erreicht zu haben. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, die kleinen und mittleren Unternehmen, sorgen sich zunehmend vor einem schwierigen Winter. Konkret sind es die steigenden Energiekosten, die anhaltend hohe Inflation sowie eine immer dünner werdende Personaldecke, die durch krankheitsbedingte Ausfälle oder Quarantäne zusätzlich geschwächt wird.
Laut einer aktuellen YouGov-Studie im Auftrag des Plattformbetreibers Visable schätzt jedes dritte Unternehmen das Risiko einer Betriebseinschränkung im bevorstehenden Winter als „hoch“ oder „eher hoch“ ein. Eines von zwanzig Unternehmen hält das eigene Risiko einer Insolvenz für hoch, jedes zehnte immerhin noch für „eher hoch“.
Auch der Einbruch der Nachfrage (27 Prozent), steigende Preise bei Rohstoffen und Vorprodukten (26 Prozent) sowie Lieferkettenprobleme (24 Prozent) werden häufig in der Studie als besorgniserregende Problemfelder genannt. „Wir sehen eine starke Verkettung verschiedener Krisenfelder: Die Energieproblematik, verschärft durch die Folgen des Ukraine-Kriegs, die Inflation, nach wie vor ein Stocken der globalisierten Lieferketten sowie die Auswirkungen einer noch nicht überwundenen Corona-Krise führen zu einer sehr schwierigen kurzfristigen wirtschaftlichen Perspektive. Es ist gut, dass die Regierung, wenn auch spät, unterstützend eingreift – aber die deutschen Unternehmen erwarten noch mehr Unterstützung. Bis jetzt wummst es noch nicht“, kommentiert Peter F. Schmid, CEO von Visable, die Ergebnisse mit Seitenhieb in Richtung Hilfspakete der Bundesregierung, von Kanzler Scholz als „Doppel-Wumms“ angepriesen. Auf diesen Wumms warten wohl auch die befragten KMU noch. Denn lediglich acht Prozent bewerten die Maßnahmen der Regierung als „gut und ausgewogen“.
Deutschland als Standort ist verletzlich
Dass diese Sicht auf die Dinge zwar pessimistisch, aber weitläufig zu sein scheint, unterstreicht eine aktuelle Preis- und Risiko-Analyse der Stiftung Familienunternehmen, angefertigt vom ZEW Mannheim. Demnach wird Deutschland allein beim Strom zu einer Hochpreisinsel. Wegen dieser Preisnachteile und hoher Importrisiken bei Energie verschlechtere sich die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, heißt es weiter, weshalb der Standort gerade für energieintensive Branchen zunehmend unattraktiver werde. Auch deshalb fallen die Worte von Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, deutlich aus: „Die Analyse der Energieimportrisiken führt zu einem sehr differenzierten Bild, bei dem sich ebenfalls eine ungünstige Bewertung des deutschen Standorts ergibt. Deutschland und Italien weisen im G7-Vergleich eine besondere Verwundbarkeit für eine weitere Eskalation der Energiekrise auf.“
Und die Konsequenzen sind bereits zu spüren, wie eine Blitzumfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie, BDI, zeigt: Fast jedes zehnte Unternehmen in Deutschland hat seine Produktion derzeit entweder schon gedrosselt oder sogar unterbrochen. Außerdem zwinge die Preisentwicklung rund 40 Prozent der Unternehmen, Investitionen in die ökologische und digitale Transformation zurückzustellen.
Liquidität scheint kein Problem
Was dabei bemerkenswert ist: Die große Zurückhaltung bei Investitionen und die pessimistische Einschätzung der Gesamtlage scheinen fast ausschließlich auf die unsichere wirtschaftliche Lage zurückzuführen zu sein. Anders ausgedrückt: Der Mittelstand scheint aus den Liquiditätsengpässen zu Beginn der Corona-Pandemie gelernt zu haben. Denn an Finanzmitteln mangelt es nicht. Das zumindest legt das KfW-Mittelstandspanel 2022 nahe. Demnach sei der Anteil der Mittelständler, die einen Rückgang ihrer liquiden Mittel melden, um sieben Prozentpunkte auf 17 Prozent zurückgegangen – der niedrigste Wert seit Ausbruch der Pandemie.
„Es ist davon auszugehen, dass die Breite der KMU weiterhin über ein komfortables Liquiditätspolster verfügt“, heißt es von der KfW. Erklären ließe sich die hohe Liquidität auch mit den positiven Geschäftsentwicklungen im vergangenen Jahr. Laut KfW-Mittelstandspanel 2022 kletterten die Gesamtumsätze über 242 Milliarden Euro, ein Umsatzwachstum von sechs Prozent und damit schon wieder sehr nahe am Vorkrisenniveau.
Allerdings rechnen die Unternehmen auch damit, dass sie dieses Liquiditätspolster brauchen. So zeigt die YouGov Studie, dass fast drei Viertel der Unternehmen davon ausgehen, dass sie ihr Ergebnis von 2021 bestenfalls halten, nicht aber steigern können. Ähnlich ist derzeit die Prognose für 2022. Für 2023 rechnen hingegen 46 Prozent der Unternehmen mit Gewinneinbußen, für 2024 derzeit auch schon 39 Prozent.
Zugang zu Kapital gegeben
Dass der Mittelstand bei Investitionen dermaßen auf der Bremse steht, ist auch vor dem Hintergrund des vergleichsweise guten Zugangs zu Krediten interessant. Denn gerade für Banken sind die KMU nach wie vor sehr attraktiv – und das aus einem einfachen Grund: Die Kreditbeträge sind im Mittelstand im Durchschnitt geringer, weshalb die Kreditrisiken in den Portfolios der Häuser mit einem hohen KMU-Exposure in der Regel breiter gestreut sind. Allerdings geht die angespannte Gesamtwirtschaftslage auch an den traditionellen Geschäftsbanken nicht spurlos vorbei. Sie werden nun auch wieder deutlich vorsichtiger bei der Kreditvergabe, weshalb es für den Mittelstand positiv ist, dass sich auch immer mehr digitale Wettbewerber wie Neobanken, Fintechs oder Private-Debt-Anbieter für seine Liquidität interessieren.
Wie spannend Unternehmensfinanzierungen für Anbieter tatsächlich sind, zeigt das deutsche Fintech Creditshelf, das in seiner Bilanz 2021 ein Plus von 30 Prozent bei Darlehensanfragen ausweist. Dafür, dass ein Großteil dieser zusätzlichen Anfragen in Zukunft auch bedient werden kann, sorgt ab sofort die Refinanzierungszusage der US-Bank Goldman Sachs von bis zu 100 Millionen Euro, die Creditshelf erst Anfang November dieses Jahres verkünden konnte. Dieses Interesse unterstreicht einerseits die Attraktivität der Mittelstandsfinanzierung in Deutschland, andererseits die Bedeutung von Fintechs und Plattformen für den Zugang zu Kapital für KMU. Und auch die Akzeptanz bei digitalen Kreditlösungen sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – vor allem im Mittelstand, wie Prof. Dr. Dirk Schiereck von der TU Darmstadt unterstreicht. Er betreut seit 2016 die Studie Finanzierungsmonitor im Auftrag von Creditshelf und sagt zu den Ergebnissen 2022: „82 Prozent der Umfrageteilnehmer haben sich in den vergangenen Jahren bereits mit Alternativen beschäftigt. Neben Leasing, Finetrading und Factoring haben sich dabei auch digitale Finanzierungsplattformen als sinnvolle Erweiterung im Finanzierungsmix etabliert.“