WIR MACHEN ES ANDERS!

Ist die Forderung um mehr Diversität in Gesellschaft und Unternehmen Arbeit oder Aktivismus? Ayse Semiz-Ewald und Isabel Gabor repräsentieren gelebte Vielfalt im Engagement um Chancengleichheit und Inklusion und beweisen einmal mehr, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht mit „entweder oder“ gelöst werden müssen.

Illustration: Mahnoor Khan
Illustration: Mahnoor Khan
Ayse Semiz-Ewald / Isabel Gabor Redaktion

Die Vorstellung, dass man durch harte Arbeit alles erreichen kann, klingt motivierend. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, heißt es. Doch die Realität sieht oft anders aus. Die Umstände, in die wir hineingeboren werden, wie beispielsweise unser Geschlecht, ethnische Herkunft oder sozioökonomischer Hintergrund, prägen unsere Bildungs- und Berufschancen entscheidend. 

Ich bin überzeugt: Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Teilhabe sind nicht nur ethisch geboten, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Zahlreiche Studien belegen, dass vielfältige Teams erfolgreicher sind. Meine Motivation ist also zweigeteilt: Einerseits möchte ich durch Chancengerechtigkeit das Richtige tun – und andererseits Unternehmen dabei unterstützen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. 

Ich sehe mich dabei weniger als Aktivistin, sondern vielmehr als Managerin, die diese Überzeugung in die Praxis umsetzt. In meiner Rolle als Leiterin des Diversity Managements bei der Deutschen Telekom AG arbeite ich daran, Diversität jenseits polemischer Rhetorik besprechbar zu machen. Mein Ziel ist es, den kulturellen Wandel im Unternehmen konzernweit voranzutreiben. Nur so können wir sicherstellen, dass Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Teilhabe fest in den Unternehmensprozessen verankert sind.

In Deutschland haben Unternehmen in den letzten Jahren Fortschritte bei der Diversität erzielt, doch es bleibt noch viel zu tun. Lange Zeit lag der Fokus ausschließlich auf der Frauenquote. Dadurch geriet die Diskussion über eine inklusive Unternehmenskultur, von der alle profitieren, oft in den Hintergrund. Heute geht es um alle, wenn wir über Vielfalt sprechen. Nicht nur Minderheiten. 

Die Themen Diversität und Inklusion haben es inzwischen auf die Agenda der meisten großen Unternehmen geschafft, besonders durch den wachsenden Druck von Investor:innen und finanziellen Institutionen. Zudem haben gesetzliche Rahmenbedingungen diese Themen in Hauptversammlungen von DAX-Konzernen stärker in den Fokus gerückt. Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch darin, dass Diversität nicht nur als gesetzliche Compliance, sondern als echter Wettbewerbsvorteil erkannt wird. In fünf bis zehn Jahren wünsche ich mir einen signifikanten Fortschritt darin, wie Unternehmen Diversität und Inklusion leben. Mein Ziel ist, dass sie integraler Bestandteil jeder Unternehmensstrategie werden.

Aber noch habe ich mich nicht selbst „abgeschafft“. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit besteht darin, strategische Konzepte und konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die Diversität und Inklusion in unseren Unternehmensprozessen noch stärker verankern. Beispiele hierfür sind Schulungen für Mitarbeitende oder die Unterstützung unserer Mitarbeitenden-Netzwerke bei der Umsetzung von Maßnahmen. Bei meiner Arbeit setze ich auf den Austausch mit Führungskräften, Mitarbeitenden und externen Partnern, um ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen und Potenziale zu entwickeln, die Diversität in einem globalen Konzern mit sich bringen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft und als Unternehmen nur dann wirklich erfolgreich sein können, wenn wir die Vielfalt unserer Talente nicht nur anerkennen, sondern fördern.

 

ÜBER DIE AUTORIN

AYSE SEMIZ-EWALD, Leiterin des Diversity Managements bei der Deutsche Telekom AG, setzt sich für Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Teilhabe ein. 2023 gründete die erfahrene Personalerin und Karriere-Coach das Start-up JobMagnet Karrierecoaching, um Jobsuchende aus unterrepräsentierten Gruppen zu unterstützen.

Ayse Semiz-Ewald / Redaktion
Ayse Semiz-Ewald / Redaktion
Isabel Gabor / Redaktion
Isabel Gabor / Redaktion

Gibt es keinen Sexismus am Arbeitsplatz oder siehst du Sexismus einfach nicht? Dieser Frage musste ich mich bereits zu Anfang meiner Karriere stellen. Denn um ganz ehrlich zu sein, befand ich mich immer wieder in Situationen, in denen ich mich unfair behandelt und unwohl fühlte – mir fehlte jedoch die richtige Bezeichnung dafür. Warum erklärten mir Männer meine Arbeit und warum wurden Kollegen, die gerne ein Bierchen mit dem Chef tranken, so schnell befördert? Warum wurden Mütter benachteiligt und gehörten Kommentare über mein Aussehen wirklich in ein Arbeitsumfeld? Warum waren alle meine Chefs männlich? 

Erst nach einigen Jahren und immer mehr Aufklärung und Sensibilisierung fing ich an, dieses Machtgefälle zu ordnen und Strukturen dahinter erkennen zu können. Und mit dieser Sensibilität wuchs auch meine Wut. Denn klar, Alltagssexismus gibt es überall. Aber an einem Ort voller Hierarchien wiegt er nun mal anders. Wenn man als Angestellte einen Vorgesetzten mit seinen Unzulänglichkeiten konfrontieren möchte, ist das nicht selten eine Zwickmühle. Denn die Einsicht fehlt leider oft. 

Aus Liebe zu einem für alle fairen und inklusive Status quo wurde ich aktivistisch und setzte mich neben Alltagssexismus auch mit strukturellem Sexismus und Diversität auseinander. Mit Frauenquoten als Antwort auf die ewige Männerquote und Lösungen, um z. B. die Gender-Pay-Gap zu schließen. Unterstützt vom Wandel der Gesellschaft und einer immer höheren Sensibilität wurden diese Themen auch endlich gehört.

Die Öffentlichkeit erhöhte den Druck auf Unternehmen, die sehr unterschiedlich mit der Herausforderung um mehr Diversität umgingen. In meiner Rolle beobachte und verfolge ich echte Bemühungen, die Löhne der Mitarbeitenden anzupassen oder Arbeitszeitmodelle speziell für die Vereinbarkeit von Karriere und Elternschaft einzuführen. Andererseits sehen viele Führungskräfte Diversität und Gleichberechtigung immer noch als Buzzwords und Trends. Quoten wurden versprochen und nie eingehalten.

Auch heute noch sehen die meisten Entscheider:innen DEIB (Diversity, Equity, Inclusion und Belonging) als Arbeit an der Fassade. Dabei müssten diese Themen tief im Fundament eines jeden Unternehmens verankert und in den Unternehmenszielen implementiert werden. Und das nicht nur, weil es wichtig für Mitarbeitende ist – sondern genauso wichtig für gesamtwirtschaftlichen Erfolg. Leider ist aktuell ein Negativtrend zu erkennen: DEIB-Teams werden aufgelöst und Gelder gestrichen. Was bleibt, sind Herausforderungen und Probleme, die in eine ungewisse Zukunft verschoben werden. 

Das ist fatal. Denn ich wünsche mir, dass wir uns in den nächsten Jahren nicht mehr über Frauen in Führungspositionen freuen müssen – sondern mit Blick auf homogene Führungsetagen über viele weitere Diversitätsaspekte sprechen können. Wie das funktioniert? Entweder mit Weitsicht und dem Verständnis für DEIB als Business Case – oder dem Druck, der irgendwann jedes Unternehmen einholen wird.

 

ÜBER DIE AUTORIN

ISABEL GABOR ist Freelance Creative Director Diversity und Co-Founderin des Ad Girls Clubs. Als Speakerin steht sie regelmäßig auf Bühnen, um über Sexismus oder DEIB-Themen zu sprechen. Auf LinkedIn teilt sie als Top Voice ihre Meinung zu gesellschaftsrelevanten Themen.

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