Von Microsharing zu V2G

Wohin entwickelt sich das Verkehrsverhalten der Reisenden, welche Mobilitätstrends sind absehbar?

Illustration: Mark Magnaye
Illustration: Mark Magnaye
Sarah Kröger Redaktion

Es ist ein positives Szenario, das Stefan Carsten, Experte beim Zukunftsinstitut und Autor des Mobility-Reports, für den ländlichen Raum beschreibt: „Wo heute noch Autos parken, stehen zukünftig Fahrräder, Roller oder einfach eine Bank zum Ausruhen. Tankstellen werden verschwinden und Mobility Hubs, Schnellladesäulen oder Kulturprojekte in diese Orte einziehen. Der ländliche Raum profitiert vor allem von autonomer Mobilität.“ Der Verkehrsexperte hat im Mobility-Report 2024 die aktuellen Trends ausgemacht. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungen.

1. Microsharing
Der Bus fährt nicht? Schnell ein E-Bike ausleihen. Das Taxi kommt nicht? Dann eben aufs Leihfahrrad schwingen. Wer spontan Kleinstfahrzeuge wie E-Roller oder E-Bikes ausleiht, nutzt den Trend des Microsharings, der vor allem im urbanen Raum immer beliebter wird. Schon heute gibt es in Städten wie Paris oder Berlin rund 50.000 dieser Sharing-Fahrzeuge. Trotzdem haben die kleinen Flitzer einen schlechten Ruf: Sie nehmen viel Platz auf den Bürgersteigen ein, werden sogar in Flüsse geworfen und sorgen für zusätzliche Unfälle. Deswegen entwickeln die Hersteller ihre Modelle ständig weiter: In bestimmten Zonen wird die Geschwindigkeit automatisch reduziert, zudem kommen Kameras und KI zum Einsatz, um Unfälle zu vermeiden. Und auch die Städte werden aktiv: Madrid und Stockholm zum Beispiel reglementieren die Anzahl der Sharing-Anbieter, in München darf nur noch in ausgewiesenen Parkzonen geparkt werden.

2. Mobility Hubs
Statt Scootern und E-Bikes, die auf dem Gehweg rumliegen und den Weg versperren, finden Reisende schon jetzt an manchen Standorten alle Sharing-Angebote an einem Ort in Bahnhofsnähe. In Stuttgart-Vaihingen oder Berlin-Südkreuz zum Beispiel stehen Mieträder, E-Roller und E-Mopeds nun ordentlich gereiht am sogenannten Mobility Hub. Auch Car-Sharing-Fahrzeuge gibt es teilweise vor Ort. In Berlin existieren mittlerweile schon 100 dieser Knotenpunkte, die ein möglichst nahtloses Mobilitätsangebot ermöglichen. Doch das Konzept des Mobility Hubs lässt sich noch weiterdenken: Die neuen Zentren für Mobilität werden im Idealfall zukünftig auch zu attraktiven Orten, an denen man sich gerne aufhält: Neben Sharing-Angeboten und der nötigen Infrastruktur wie Ladestationen oder Fahrradreparatur könnten sich hier beispielsweise Cafés, Einzelhandel oder Co-Working-Flächen ansiedeln. Und Grünflächen könnten die Hubs zu einem beliebten öffentlichen Treffpunkt machen.

Illustration: Mark Magnaye
Illustration: Mark Magnaye

3. Flexibles Pendeln mit dem Mobilitätsbudget
Arbeitnehmende suchen immer häufiger nach Alternativen zum Firmenwagen. Ein vielversprechender Ansatz ist das Mobilitätsbudget. Damit stellt ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden einen Betrag zur Verfügung, den sie frei für die Gestaltung ihres Arbeitswegs nutzen können. Innerhalb eines festgelegten Angebots wählen sie dann flexibel ihre Verkehrsmittel aus. Einer Studie von Free Now zufolge würden 55 % der befragten Angestellten aus Deutschland auf einen Firmenwagen verzichten und stattdessen ein Mobilitätsbudget nutzen. SAP zum Beispiel – der Konzern mit der größten Dienstwagenflotte in Deutschland – hat im April 2023 ein Mobilitätsbudget eingeführt. Die Mitarbeitenden können nicht nur unter anderem zwischen E-Scooter, Zug oder Mietwagen wählen, sondern auch Fahrradreparaturen werden bezahlt. Kompliziert ist der Vorgang aber noch, laut Spiegel Online: Die Mitarbeitenden gehen in Vorleistung und müssen ihre Kosten dann einreichen. Das ist sicherlich noch ausbaufähig.

4. Robo-Taxis
Autonome Fahrzeuge werden in der Zukunft ganz selbstverständlich zum Straßenbild mit dazugehören, sagt das Zukunftsinstitut. Das würde unser Verständnis von Individual- und öffentlichem Verkehr wandeln: vom Fahrer zum Passagier. Doch noch ist ihre Zeit nicht gekommen, technische Unzulänglichkeiten, fehlende Zertifizierungen und Logistikprobleme stellen sich ihnen in den Weg. Das wäre aber normal, sagen Expertinnen und Experten, am Anfang jeder neuen Technologie stünden viele Unsicherheiten. In den USA und China sind RoboCabs schon auf den Straßen unterwegs. Noch führt das manchmal zu interessanten Schlagzeilen, wie in San Francisco, wo mehrere Fahrzeuge eine ganze Straße blockierten. In den kommenden Jahren werden autonome Fahrzeuge auch auf Deutschlands Straßen zu sehen sein. Anfang 2023 hat die erste RoboCab-Fahrzeugflotte vom Unternehmen Mobileye die TÜV-Zulassung erhalten. Mittlerweile können sich über zwei Drittel der Deutschen vorstellen, in ein selbstfahrendes Taxi zu steigen. Falls sich die Robo-Taxis in Deutschland etablieren, würde das allerdings den Taximarkt hart treffen – und ohne gezielte Verkehrspolitik könnten die Cabs auch für mehr Stau sorgen. Gleichzeitig könnte diese neue Technologie sicherer, energieeffizienter und kostengünstiger sein und auch den ländlichen Raum besser anschließen.

5. V2G-Mobility
Mit der Vehicle-to-Grid-Methode können E-Fahrzeuge Strom zurück ins Netz speisen und als temporärer Batteriespeicher genutzt werden. So können Auslastungsspitzen lokaler Stromnetze ausgeglichen werden. Denn Solar- und Windkraft können nicht unbegrenzt genutzt werden, weil die Energie kaum zwischengespeichert werden kann. Hier kann die V2G-Technologie helfen, die das E-Auto als vorrübergehenden Zwischenspeicher verwendet. Zu Zeiten erhöhten Energiebedarfs wird die Energie dann wieder zurück ans Stromnetz gegeben. Autobesitzer werden so zu Prosumenten, sie produzieren und konsumieren Strom und können mit der Stromeinspeisung sogar Geld verdienen. Da Autos im Schnitt bis zu 23 Stunden am Tag parken, eignen sie sich als verlässlicher Baustein für die Energieinfrastruktur. So tragen sie auch zur Eindämmung der Klimakrise bei: je mehr speicherbare grüne Energie, umso besser. Massentauglich ist die Technologie in Deutschland allerdings noch nicht, obwohl erste Pilotprojekte bereits abgeschlossen sind. Es hapert noch an der Netzentgeltstruktur und an verfügbaren intelligenten Stromzählern.

Weiterführende Informationen:
www.zukunftsinstitut.de
 

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