Ungenutzte Ressource

Nur 12 Prozent der Rohstoffe, die in der Industrie verarbeitet werden, werden recycelt. Das muss sich ändern.
Illustration: Daniel Balzer
Illustration: Daniel Balzer
Axel Novak Redaktion

In der DDR sammelten Schüler alte Zeitungen. Die SERO – das VEB Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung – zahlte gut für Altpapier. Im Westen waren es oft Pfadfinder oder Ehrenamtliche, die Papier für die Wiederverwertung sammelten. So bekam die Papierindustrie wichtige Ressourcen, und die Sammler:innen verdienten gutes Geld dazu.


Auch heute hält die Sammelleidenschaft an. Die Altpapiercontainer sind oft voll, weil die Menschen es sehr ernst nehmen mit der Entsorgung. Denn sie wissen: Aus dem Altpapier wird neues Papier, für Verpackungen, Kartons oder Zeitungen. 2019 wurden rechnerisch in Deutschland 227 Kilogramm Pappe, Papier und Karton pro Kopf verbraucht. 177 Kilogramm wurden anschließend an private und kommunale Entsorger zurückgeben – eine Altpapierrücklaufquote von 78 Prozent hat das Umweltbundesamt ausgerechnet.


Kein Produktkreislauf ist uns vertrauter als der des Papiers. Vor mehr als 250 Jahren stellte der Jurist Justus Claproth sein Verfahren des Recyclingpapiers vor.  Seitdem wird in Deutschland Papier gesammelt, gereinigt und neu verwendet. Eine perfekte Kreislaufwirtschaft.
 

Die längst mögliche Nutzung von Produkt und Rohstoff

 

Und die ist heute gefragter denn je. Eine Kreislaufwirtschaft zielt auf die längstmögliche Nutzung von Produkten und Rohstoffen. Abfälle entstehen nicht mehr, weil bestehende Produkte neu verwendet oder repariert werden. Ist das wie beim Papier nicht möglich, werden sie wieder in ihre Rohstoffe zerlegt und diese wiederverwertet. Eine solche Wirtschaft in Kreisläufen schont Ressourcen, weil alte Rohstoffe für neue Güter verwendet werden können. Treibhausgasemissionen sinken, weil es weniger energie- und arbeitsintensiv ist, Güter aus wiederverwendeten Materialien herzustellen als aus Rohstoffen.


Eine in Kreisläufen produzierende Industrie wäre bei weitem weniger energie- und ressourcenaufwändig als die heutige. In der Eisen-, Stahl- und Aluminiumherstellung, der Papier- und Zellstoffindustrie sowie bei vielen Kunststoffen in der Chemieindustrie gibt es schon Ansätze für solche Kreisläufe, vor allem durch ein konsequentes Recycling. „Bei Anwendung aller Hebel in diesen Sektoren würden die CO2-Emissionen um 500 Millionen Tonnen sinken“, schreiben die Unternehmensberater von Boston Consulting im Bericht „Grüne Technologien für grünes Geschäft“.


Und die Unternehmensberater von Accenture haben ausgerechnet, dass eine Kreislaufwirtschaft 4,5 Billionen US-Dollar zusätzliche Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2030 global generieren könnte. Umgekehrt gilt: Ohne kluge Kreislaufwirtschaft fehlen weltweit im Jahr 2030 mehr als sieben Milliarden Tonnen natürliche Rohstoffe. Doch trotz der enormen Potenziale, die in einer Kreislaufwirtschaft stecken, wird der Gedanke in der Industrie bislang erst in Ansätzen umgesetzt.


In einer Umfrage des Zertifizierers DNV und des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) geben mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen an, dass sie bereit sind, in den nächsten Jahren zumindest ein Kreislaufmodell einzuführen – vor allem um Ressourcen zu gewinnen und die Produktlebensdauer zu verlängern. Jedes zehnte Unternehmen sagt, dass die Kreislaufwirtschaft für die Geschäftsstrategie zentral ist. Aber nur jedes zwanzigste hat dafür einen ausgereiften Ansatz. Aktuell werden im Schnitt gerade einmal 12 Prozent der Rohstoffe recycelt, die in der Industrie verarbeitet werden.

Wende am Bau und Digitalisierung

 

Warum das so schwierig ist, zeigt zum Beispiel die Baubranche. In kaum einer Branche ist der Energie- und Rohstoffkonsum so hoch wie in der Bauindustrie: Bis zu 40 Prozent der CO2-Emissionen und nahezu ein Drittel aller Abfälle in der europäischen Union entstehen durch das Baugewerbe.


Die Baubranche nun mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit zu verknüpfen, das ist eine Idee, die so alt ist wie das Häuser bauen, aber in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden ist. Nun fordern Fachleute eine veritable Bauwende: Vom Entwurf bis zum Bau, der Nutzung und dem eventuellen Rückbau und Recycling gebe es in jeder Phase von Bauprojekten eine Möglichkeit, um effizienter und nachhaltiger zu bauen. Einfachere Genehmigungsprozesse und Regelungen, digitale Verfahren in der Branche und mehr Anreize für Qualität und Langlebigkeit sollen zirkuläres Bauen schneller einführen – und damit die Branche nachhaltiger machen.


„Bis zum Jahr 2025 werden die ersten Kreislaufgebäude in Betrieb sein und als Leuchtturmprojekte für einen Anstieg der langfristigen nachhaltigen Bautätigkeit sorgen“, sagt Marloes Fischer vom globalen Material-Kataster-Start up Madaster mit viel Zuversicht. „Es sollte der Wunsch eines jeden angesehenen Investors oder einer jeden Stadt sein, über ein eigenes Kreislaufbausystem zu verfügen. Anstelle von Gebäuden, die für eine Lebensdauer von 80 bis 100 Jahren gebaut werden, werden zunehmend modulare und demontierbare Konstruktionen zum Einsatz kommen, um sich schneller und flexibler an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen.“

Zirkuläre Wertschöpfungsnetzwerke sind noch effizienter

 

Die Wirksamkeit der Kreislaufwirtschaft entfaltet sich dann, wenn sich Unternehmen zu zirkulären Wertschöpfungsnetzwerken zusammenschließen, um Ressourcen gemeinsam zu nutzen, Materialkreisläufe zu schließen und die Wertschöpfung transparent zu steuern. Neue Geschäftsmodelle entlang dieser Wertschöpfungskette könnten sogar bis 2025 einen zusätzlichen Umsatz auf dem globalen Markt von mehr als 600 Mrd. Euro generieren, bei einer jährlichen Wachstumsrate von 12 Prozent, sagt Kai-Stefan Schober, Senior Partner bei Roland Berger.


Voraussetzung dafür ist allerdings – wie so oft – eine weitgehende Digitalisierung der Industrie und der beteiligten Unternehmen. Denn erst die Vernetzung von Material, Anlagen und IIoT-Plattformen sorgt für die nötige Transparenz der Produktionsprozesse, um sie nachhaltiger zu gestalten. Da allerdings wird es schon etwas schwieriger in Deutschland: Die Digitalisierung als echter Schlüssel zur Modernisierung, zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit wird viel zu langsam umgesetzt.

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