Wie man Weltmarktführer wird: Aventics, ein niedersächsisches Pneumatik-Unternehmen, hat bereits frühzeitig auf IT-gesteuerte Ventiltechnik gesetzt. Ventilsteuerungen der ehemaligen Bosch Rexroth-Tochter verfügen über eine modulare Elektronik mit sicherem Datenzugang, sie sind netzwerkfähig und fügen sich somit problemlos in das Internet der Dinge ein. Es ist ein Paradebeispiel für eine Technologie, für die vor fünf Jahren auf der Hannover Messe ein treffender Begriff geprägt wurde: Industrie 4.0.
Um Ideen rund um diese oder ähnliche neue Technologien zu bündeln, gründeten die Branchenverbände Bitkom, VDM und ZVEI die Plattform Industrie 4.0. Ihr Ziel: die Industrie in Deutschland an die technologischen Erfordernisse der Zukunft anzupassen.
Dass Deutschland – und ganz Europa – mehr Schwung bei der Transformation von der Industrie 3.0 zu Industrie 4.0 braucht, zeigt eine Studie von Roland Berger Strategy („Think Act Industry 4.0“). Danach verlor Europas Industrie in den letzten zehn Jahren zehn Prozent des weltweiten Handelsvolumens, während sich im gleichen Zeitraum der Anteil der Schwellenländer von 20 auf 40 Prozent verdoppelte. Ein Abbau der Industriearbeitsplätze war die Folge. Lag dieser in Großbritannien mit 29 Prozent sehr hoch, so betrug der Schwund in Deutschland immerhin noch mehr als acht Prozent.
Mit 75 Prozent machen Industrieprodukte in Europa noch den höchsten Anteil der Exporte aus. Die Digitalisierung der Industrieproduktion ist ein Schlüssel, weiteres Wachstum zu generieren. Nach Einschätzung von Roland Berger sind hierfür in den nächsten 15 Jahren jährlich rund 90 Milliarden Euro von Politik und Unternehmen aufzubringen, damit eine Transformation auch klappt. Wichtig sind dabei systemübergreifende Plattformen, die Produktionsprozesse vereinfachen und optimieren. Laut des Marktforschungsinstitutes IDC sagen rund 80 Prozent der befragten Unternehmen im Industriesektor aus, dass die Verknüpfung mit Informationstechnologien für Ihr Geschäftsmodell in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnt und 78 Prozent, dass dies sogar der wichtigste Innovationstreiber für das Unternehmen sei.
Intelligente Fabriken für die Zukunft
Treiber dieser industriellen Revolution ist die stärkere Vernetzung der Maschinen untereinander. Die Grundidee von Industrie 4.0: Maschinen sollen via Internet oder Betriebssoftware Informationen untereinander austauschen, die Arbeit besser koordinieren, effizienter und flexibler machen und so weniger Ressourcen verbrauchen. Dieser zentrale Baustein wird als Connected Devices bezeichnet, die Vernetzung von Geräten untereinander – vom Smartphone bis zum Industrieroboter. So schätzt IDC, dass es im Jahr 2020 in Deutschland rund 28 Milliarden solcher Verbindungen geben wird. Der Effekt: Die Kosten sinken, die Produktivität erhöht sich.
Die Mitarbeiter werden sich mehr mit der Kontrolle der Abläufe beschäftigen, Prozesse überwachen und nur bei Störungen der Systeme eingreifen. Die Idealvorstellung: Maschinen erkennen, wann sie Hilfe benötigen, beispielsweise neue Ersatzteile, Wartung oder Reparatur. Sie binden andere Maschinen ein, um den Produktionsprozess zu verbessern, hierzu werden zum Beispiel RFID-Chipsätze eingesetzt. RFID, Radio-Frequency Identification, ist ein Sender-Empfänger-System, das per Funk kommuniziert. So ist denkbar, dass die Maschine selbst ein Softwareupdate identifiziert und herunterlädt, ein Ersatzteil bestellt oder die Wartung veranlasst. Im weiteren Schritt sollen dann auch Produkte mit den Maschinen, die sie produzieren, kommunizieren können. Vieles ist dabei aber noch Zukunftsmusik.
Betriebe zögern noch
Die deutsche Akademie der Technikwissenschaften ac atech schätzt, dass in dieser Entwicklung ein Produktionspotenzial von 30 Prozent bei industriellen Anwendungen schlummert. In diese Marktlücke könnten verstärkt deutsche ITK-Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten, um die Entwicklungen intelligenter Fabriken zu beschleunigen und so die Verknüpfung mit der industriellen Produktion herzustellen. Voraussetzung ist allerdings, dass IT-Unternehmen und Industrie gemeinsam diese Potenziale entdecken. Dies wäre eine Win-Win Situation für die deutsche Wirtschaft. Doch wie die Studie des IDC auch zeigt, zögern viele Unternehmen noch. Nur rund 21 Prozent haben sich bislang für Industrie 4.0 als Innovationstreiber entscheiden können.
Damit überhaupt Maschinen und Dinge miteinander kommunizieren können, braucht es eine einheitliche Sprache. In Deutschland wurde OPC UA entwickelt, Open Plattform Communication Unified Architecture, also die Kommunikation zwischen verschiedenen Einheiten mittels Protokollen und Schnittstellen. Eine einheitliche Sprache ist wichtig, da zwar Daten ausgelesen, aber eben auch unter Maschinen verstanden werden müssen. OPC gilt derzeit als das wichtigste industrielle Kommunikationsprotokoll von Maschine zu Maschine.
Microsoft ist auch dabei
Einfachste Beispiele sind Feuermelder, die bei Brand gleichzeitig die Sprinkleranlage auslösen und Feuerwehr/Polizei alarmieren. Um Entwicklungen zu beschleunigen und Kosten zu sparen, gibt es inzwischen auch Anzeichen, dass sich Konkurrenten in einem Industriesegment zusammenschließen, um eine OPC UA für ihre Branche zu initiieren. Dass ein IT-Gigant aus den USA dabei mitmischen wird, ist wahrscheinlich, hier will Microsoft seine Erfahrungen im Consumer-Bereich einbringen.
Heute schon können über Windows 10 verschiedene Plattformen verwaltet werden, um kleineren Mittelständlern Zugang zur Industrie 4.0 zu ermöglichen. Dieses Modell wurde auf die Cloud-Plattform Azure übertragen, sodass über diesen Weg mit allen Sprachen wie Linux, Java, Oracle oder C# gearbeitet werden kann und so auch Lösungen für kleinere und mittelständische Unternehmen bereitgestellt werden können. Deutschland jedenfalls wäre aufgrund seiner industruellem Infrastruktur ein idealer Vorreiter der intelligenten Fabriken am Weltmarkt. Eine Chance, die es zu nutzen gilt.