Deutschland hat ein dringendes Modernisierungsdefizit in seiner Verwaltung. Die vielen Berichte über ineffiziente, papierbasierte Bürokratieprozesse sind allseits bekannt. Zudem steht die deutsche Verwaltung vor einem enormen Personalmangel, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht. Fünf Millionen Beschäftigte gibt es derzeit im öffentlichen Dienst, doch reichen diese nicht aus, um die Aufgaben des Gemeinwohls auch in Zukunft zu erfüllen. Bis 2030 soll hier eine Lücke von mehr als einer Million Fachkräften entstehen, so eine kürzlich veröffentlichte Studie von einer der großen Unternehmensberatungen.
Auf der Digitalisierung und neuen Technologien wie KI ruhen daher große Hoffnungen. Doch echte Digitalisierung bedeutet nicht nur „weniger Papier“, sondern erfordert einen grundlegenden Wandel. Um die öffentliche Verwaltung wirklich zu verbessern, müssen wir Prozesse digital denken, die Bürokratie vereinfachen und eine zukunftsfähige Infrastruktur schaffen. Ein digitaler Staat kann Bürokratie abbauen und effizienter arbeiten – wenn wir bereit sind, das bisherige System grundlegend zu überdenken.
DIGITALISIERUNG REICHT NICHT AUS
Wer denkt, dass Digitalisierung allein ausreicht, um Deutschlands Verwaltung effizienter zu machen, irrt. Ohne die Entbürokratisierung, das Abwerfen alter, unnötiger Vorschriften und komplexer, häufig undurchschaubarer Prozesse, läuft auch eine digitale Verwaltung Gefahr, ineffizient zu sein. Digitale Prozesse dürfen nicht bloß die analogen Schritte ersetzen, sondern sie müssen optimiert werden. Ziel muss ein schnelles, kostengünstiges und bürgerfreundliches System sein, das eine unnötige Bürokratie vermeidet und stattdessen auf Klarheit und Effizienz setzt.
Wie die Innovationsagenda 2030 des Bundesverbands Deutsche Startups vorschlägt, braucht Deutschland „eine digitale Verwaltung ohne analoge Umwege“ und eine Kultur, die den Mut hat, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Es geht darum, Prozesse neu zu denken, neu zu ordnen und vor allem auf Effizienz und Bürgerfreundlichkeit zu setzen.
Eine funktionierende digitale Verwaltung ist der erste Schritt – erst dann kann Künstliche Intelligenz (KI) sinnvoll eingesetzt werden. KI ist kein Wundermittel für bürokratische Prozesse – sie benötigt gut strukturierte, vollständige und zugängliche Daten. Nur wenn die Verwaltung umfassend digitalisiert ist, kann KI uns helfen, Daten auszuwerten, Prozesse zu automatisieren und Entscheidungen zu unterstützen.
Um dies zu erreichen, sind strukturierte Daten und einheitliche Schnittstellen notwendig – denn nur so kann KI ihre Potenziale zur Entlastung und Effizienzsteigerung voll ausschöpfen. Die derzeitige Struktur der deutschen Verwaltung ist oft föderal zersplittert und bremst dadurch den Zugang zu Daten, die KI zur Analyse und Entscheidungsfindung benötigt.
EIN KULTURWANDEL IST ERFORDERLICH
Der Weg zur digitalen, schlanken Verwaltung geht weit über Technik hinaus – es braucht einen tiefgreifenden Kulturwandel in der gesamten Verwaltungsstruktur. Bürokratische Prozesse dürfen nicht länger als unveränderlich gelten, sondern müssen kontinuierlich überprüft und optimiert werden. Bürokratieabbau und der digitale Umbau der Verwaltung verlangen nach einer neuen Denkweise: weg vom passiven Verwaltungssystem, hin zum proaktiven Service für Bürger und Unternehmen.
Länder wie Estland zeigen, wie das gehen kann. Durch eine digitale Bürger-ID erledigen die Menschen fast alle Behördengänge online, ohne den Schreibtisch zu verlassen. Auch in Dänemark und Großbritannien hat sich die Verwaltung stark digitalisiert und KI zur Prozessunterstützung eingebaut. Diese Länder sind Vorbilder, die verdeutlichen, dass Bürokratieabbau durch digitale Transformation realisierbar ist.
DEUTSCHLAND BRAUCHT MEHR RECHENZENTREN
Um Digitalisierung und KI langfristig zu ermöglichen, benötigt Deutschland dringend eigene, moderne Rechenzentren. Die Rechenleistung und Datenspeicher, die KI-Systeme erfordern, sind enorm. Wenn wir jedoch auf Rechenzentren aus dem Ausland angewiesen sind, riskieren wir Abhängigkeiten, die unser Land in seiner Entscheidungsfreiheit und Datensicherheit einschränken könnten. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass die notwendige Infrastruktur für Datenverarbeitung und -speicherung von Anfang an vorhanden ist.
Wie das Positionspapier der CDU/CSU „Neustaat“ betont, ist der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur essentiell für einen modernen Staat. Ohne Rechenzentren und eine moderne, digitale Infrastruktur bleibt die Verwaltung ineffizient und abhängig von externen Diensten.
DER STAAT ALS PIONIER FÜR DIGITALISIERUNG
Ein digitalisierter Staat kann nur funktionieren, wenn wir als Gesellschaft und Unternehmen diesen Wandel einfordern und unterstützen. Gerade die deutsche Start-up-Szene bietet heute schon zahlreiche innovative Lösungen, die der Verwaltung helfen könnten, Prozesse digital zu denken und schlanker zu gestalten. Doch damit diese Technologien wirklich genutzt werden, müssen wir den Staat in die Rolle des aktiven Nutzers bringen.
Es geht darum, dass Bund und Länder nicht nur Fördermittel verteilen, sondern selbst zu Vorreitern der Digitalisierung werden – als Kunden für innovative Unternehmen. In den USA und China unterstützen die Staaten ihre Unternehmen durch konsequente Investitionen und die Nutzung lokaler KI-Technologien. Deutschland muss nachziehen und bereit sein, seine Verwaltungsprozesse mit den besten Tools und Technologien auszustatten. Nur so wird der Staat nicht zum Hemmschuh, sondern zum Motor für Fortschritt.
DIE ZEIT IST REIF FÜR DEN DIGITALEN STAAT
Die Idee eines digitalen und effizienten Staates ist längst überfällig. Wenn wir die Verwaltung nicht als „unveränderlich“ betrachten, sondern als einen Bereich, der sich kontinuierlich weiterentwickeln und verbessern kann, dann werden wir nicht nur die Bürokratie abbauen, sondern auch Zeit und Kosten sparen. Eine umfassende Digitalisierung und Entbürokratisierung gehen Hand in Hand und führen letztlich zu einer schlanken Verwaltung, die den Bürgern dient und Unternehmen unterstützt.
Dies ist kein technisches Problem, sondern eine Frage des Willens. Wir müssen die Digitalisierung als Chance zur Effizienzsteigerung und zur Modernisierung unserer Verwaltung begreifen. Dies zu fordern, ist unser Auftrag – als Wähler, als Unternehmer, als Teil der Zivilgesellschaft.
FABIAN WESTERHEIDE ist KI-Experte, Netzwerker und Initiator der Konferenz „Rise of AI“.