Austin, Texas, im Frühjahr 2015: Die internationale Start-up-Szene trifft sich auf der Digitalkonferenz South by Southwest, um über die besten und innovativsten Ideen abzustimmen. Der Wettbewerb ist hart und der Gründerpreis äußerst begehrt. Am Ende trägt ein kleines Unternehmen aus dem fernen Deutschland den Preis in der Kategorie „Digital Health and Life Science“ nach Hause.
Was für eine Auszeichnung für das Hamburger Start-up Sonormed! Seine Tinnitus-App „Tinnitracks“ ist in der Lage, Musik frequenzbasiert zu filtern, so dass das störende Fiepen im Ohr ausgeglichen wird. So lässt sich Tinnitus mit der eigenen Musik therapieren. Das Konzept findet die Techniker Krankenkasse so überzeugend, dass sie ihren Patienten die Tinnitracks-Kosten für ein Jahr seit Mitte September erstattet; es ist die erste App auf Rezept.
Sind die Deutschen also bereit für den digitalen Doc? Die Wirtschaft steht schon in den Startlöchern: Aktuellen Schätzungen zufolge wird der Markt für digitale Gesundheitsangebote bereits 2017 weltweit bei rund 23 Milliarden US-Dollar liegen. Gleichzeitig prognostiziert die GSMA, eine Industrievereinigung von Telekommunikationsanbietern, den europäischen Gesundheitssystemen im selben Jahr ein Einsparpotenzial von knapp 100 Milliarden Euro – E-Health-Lösungen sei Dank.
Investoren sind gefragt
Bei solchen Prognosen können die Venture-Kapitalisten, die Inkubatoren, Acceleratoren und Business Angels nicht fern sein, möchte man meinen. Für die USA mag das stimmen. Hier hat der Branchendienst CB Insights ermittelt, dass allein im Jahr 2014 rund 3,5 Milliarden US-Dollar in vielversprechende Ideen und Konzepte der digitalen Gesundheitsbranche geflossen sind – etwa doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
In Deutschland ist man hingegen nicht so spendabel – oder aber risikoaverser, wie der Fall des Berliner Start-ups Laracompanion zeigt. Über Deutschlands erste Crowdfunding-Plattform für Projekte der digitalen Gesundheitsbranche, aescuvest, sollten rund 200.000 Euro eingesammelt werden. Nach Ablauf der Acht-Wochen-Frist war aber gerade mal die Hälfte geschafft. Dazu aescuvest-Gründer Patrick Pfeffer: „Wir haben schnell gemerkt, dass das ganzheitliche Konzept von Laracompanion potenziellen Investoren schwer zu vermitteln war – vor allem den überwiegend männlichen Investoren.“ Denn: Laracompanion will via App und einem Biosensor-Messgerät Frauen dabei unterstützen, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Die dürfen aber auch weiterhin hoffen, denn das Start-up hatte bereits vor dem Start der aescuvest-Kampagne 100.000 Euro Wagniskapital eingesammelt. Es geht für Lara-companion also weiter – nur eben langsamer.
Optimismus ist angezeigt
Pfeffer lässt sich von der Zurückhaltung der Investoren bei Laracompanion nicht abschrecken. Er glaubt an das Potenzial vieler digitaler Gesundheits-Start-ups ebenso wie an die Investitionsbereitschaft hierzulande: „Die nächsten Projekte, die wir über unsere Crowdfunding-Plattform finanzieren wollen, kommen aus der Medizintechnik, sind also Produkte zum Anfassen, was dem überwiegend männlichen Investorenkreis wiederum näher kommt.“
Dieser Optimismus ist nicht völlig unbegründet, denn Erfolgsgeschichten locken dann auch tatsächlich Investoren an: Das Wiener Start-up MySugr, das mit seinen Diabetes Management Apps inzwischen schon mehr als eine halbe Million Nutzer hat, durfte sich gerade über 4,2 Millionen an frischem Kapital vom Roche Venture Fund und iSeed Ventures freuen. Für Guido Hegener, Partner beim Digital Health-Investor XLHealth, zu dessen Portfoliounternehmen auch MySugr zählt, ein gutes Signal für die Szene: „Die Kapitalspritze für MySugr werten wir als sehr positiven Indikator für die zunehmende Vernetzung von Start-ups und etablierten Unternehmen. Nun gilt es, ein nachhaltiges Ökosystem für das Segment in Deutschland und Europa aufzubauen, woran wir mit Hochdruck arbeiten.“
E-Health-Gesetz soll kommen
Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe arbeitet daran mit Hochdruck. Er will mit seinem Entwurf zum E-Health-Gesetz nun endlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die digitale Gesundheitszukunft Deutschlands schaffen. Zentrales Thema dort ist die elektronische Gesundheitskarte als digitaler Speicher für Patientendaten. Die Idee ist gut, ist es doch vor allem der mangelnde Austausch zwischen den einzelnen Akteuren, der im Gesundheitssystem für hohe Kosten sorgt. Doch Fakt ist, dass die technischen Voraussetzungen für einen solch digitalen Datenspeicher schon lange existieren. Es sind vielmehr die Barrieren in den Köpfen und die diffusen Ängste, die hier als Bremsklotz wirken. Das sieht auch Investor Hegener ähnlich: „Eine der großen Herausforderungen der Branche liegt aktuell darin, den Datenaustausch im Gesundheitssystem zu verbessern. Eine elektronische Patientenakte könnte hier einen zentralen Bestandteil darstellen, wurde jedoch vom Gesetzgeber leider bis heute nicht ermöglicht.“ Gröhes Gesetzesvorlage sieht er zudem kritisch: „Das E-Health-Gesetz bleibt sehr stark hinter den Erwartungen der Branche zurück.“
Trotzdem wollen sich immer mehr Unternehmen ihren Teil des digitalen Gesundheitskuchens sichern. So hat der Technikhersteller Philips gerade auf der diesjährigen Internationalen Funkausstellung in Berlin eine ganze Reihe personalisierter Gesundheitsprogramme vorgestellt. Denn wie eine aktuelle Studie des Zukunftsinstituts im Auftrag von Philips zeigt, legen schon heute 47 Prozent der Deutschen großen Wert auf technische Innovationen zur selbstständigen Kontrolle von Gesundheit und Fitness. Bei den Lösungen von Philips stehen das Messen, Beobachten und Mitverfolgen im Mittelpunkt. So will man mehr Menschen für die neuen Möglichkeiten begeistern. Doch auch dort weiß man, wie sensibel gesundheitsspezifische Daten sind. „Alle unsere Gesundheitsprogramme erfüllen sämtliche Datenschutz- und Sicherheitsstandards. Die Nutzer haben zudem zu jeder Zeit die volle Hoheit über ihre persönlichen Daten“, betont Bernd Laudahn, Geschäftsführer der Philips GmbH.
Es ist wohl der Patient, der sich erst noch an ein seine neue Mündigkeit gewöhnen muss. Er wird künftig beim Thema Gesundheit viel mehr in der Verantwortung stehen. Aber wenn die digitale Dynamik im Gesundheitswesen auch hierzulande weiter zunimmt, wird vielleicht auch der digitale Doc analog im Ansehen steigen – bei Patienten und Investoren.