Wann ist KI sinnvoll – und wann nicht?

Der Hype um die Potenziale der Künstlichen Intelligenz hat enorme Ausmaße angenommen. Kann KI wirklich halten, was sie verspricht? Und wie lassen sich Anwendungen in bestehende Strukturen implementieren? Eine kritische Betrachtung.

Illustration: Marga Castaño
Illustration: Marga Castaño
Mirko Heinemann Redaktion

Hallo ChatGPT. Kannst du mir sagen, warum so viele Menschen dir gegenüber skeptisch sind?“ Die KI weiß natürlich die Antwort: „Viele Menschen befürchten, dass KI und Automatisierung ihre Jobs ersetzen könnten.“ Weiter: „KI-Systeme benötigen große Mengen an Daten, um zu lernen und sich zu verbessern. Dies führt zu Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Sicherheit persönlicher Informationen.“ Und noch weiter: „Menschen verstehen nicht immer, wie KI zu bestimmten Ergebnissen kommt.“ Und so fort. ChatGPT zählt die Problematik der diskriminierenden Ergebnisse auf, der möglichen Verbreitung von Fehlinformationen, der mangelnden Kontrolle und Sicherheit. Existenzielle Bedrohungen durch superintelligente KI, auf die Philosophen und Wissenschaftler wie Nick Bostrom und Stephen Hawking hingewiesen haben, bilden den Abschluss. Und, final: „Manche Menschen sind unsicher, ob KI die bestehenden Probleme wirklich löst oder ob sie nur neue Probleme schafft.“

Das ist in der Tat eine gute Frage. Doch die Skepsis vieler Menschen reicht noch tiefer. Bis in die tiefste Gefühlsebene. Und da kommt keine KI hin. Das ist es, was Forschende kürzlich in einer Studie ermittelt haben. Taucht der Begriff „KI“ im Zusammenhang mit einem Produkt auf, schreckt er inzwischen Kundinnen und Kunden eher ab, als sie vom Kauf zu überzeugen, hat Renata Thiebaut, Professorin für E-Commerce an der Gisma University of Applied Sciences, herausgefunden. Die Expertin geht davon aus, dass Konsumenten eine menschliche Interaktion mit einem Produkt gegenüber der KI bevorzugen. „Meiner Erfahrung nach liegt das Problem darin, dass Verbraucher nicht nur Produkte kaufen, sondern in eine emotionale Verbindung und die Erlebnisse investieren, die bestimmte Produkte und Marken ihnen bieten“, so Thiebaut. „Ich erkenne eine starke Resonanz zwischen Konsumenten und Themen wie Nachhaltigkeit, Fair Trade und Inklusivität.“ Diese führten eher zu einer Kaufentscheidung als „KI“. 
 

»KI im Zusammenhang mit einem Produkt schreckt Kundinnen und Kunden eher ab, als sie vom Kauf zu überzeugen.«


Obwohl KI fast schon zu einem Buzzword geworden ist und neue Technologien die Produktleistung zweifelsfrei verbessern können, bleibt ein starkes Stigma in Bezug auf die Verbindung zwischen Maschinen und Menschen bestehen. Menschen bevorzugen nach wie vor menschliche Interaktionen und menschliche Empfehlungen. Heißt das nun etwa: „Human is the next big thing“, wie die Philosophin Rebekka Reinhard etwas ironisch postuliert hat?
 

KI IST ERST AM ANFANG


Mitnichten bedeutet es, dass der Hype um die KI an irgendwelche Grenzen stößt. Im Gegenteil: Die Debatte, wo und wie KI sinnvoll eingesetzt werden sollte und wo eben nicht, ist gerade erst entbrannt. Das Phänomen KI ist noch ganz am Anfang. Aber für den Umgang mit der KI in der Werbung oder im Marketing ist die Thiebaut-Studie ein wichtiger Hinweis. Vor allem wenn es um menschliche Kommunikation geht, sind Menschen gegenüber Maschinen skeptisch. Kein Wunder: Wer möchte denn hören oder lesen, dass ein spannender Text oder ein interessanter Podcast von einer KI produziert worden ist? (Keine Bange: Hier ist alles selbst von mir getippt, und ich bin ein Mensch, so weit ich weiß). Und was wären die Konsequenzen? Würden Sie diesen Text noch mit dem gleichen Interesse lesen? Würden Sie nicht vielmehr denken: „Was weiß eine Maschine von menschlichen Gefühlen, von Leid, von Freud’ oder von der Liebe? Was will sie mir, einem denkenden und fühlenden Wesen, erzählen?“ 
 

Ganz anders sieht es zum Beispiel in der Medizin aus. Zwar möchten Menschen von einem menschlichen Arzt begutachtet werden und von ihm eine Diagnose erhalten. Geht es aber um die Zweitmeinung oder um die Frage, was genau eine Diagnose bedeutet oder welche Nebenwirkungen eine verordnete Arznei haben könnte, wollen sich viele Menschen künftig an eine KI wenden. Laut einer repräsentativen Umfrage des Hightech-Verband Bitkom haben das sechs Prozent schon getan, zum Beispiel über bereits verfügbare Symptomchecker-Apps oder auch Chatbots wie ChatGPT. Weitere 51 Prozent können sich künftig vorstellen, eine KI um eine Zweitmeinung zu bitten. Und 71 Prozent finden, Ärztinnen und Ärzte sollten, wann immer möglich, Unterstützung von einer KI erhalten. Fast die Hälfte meint, eine KI werde in bestimmten Fällen bessere Diagnosen stellen als ein Mensch.

 

»Fast die Hälfte aller Menschen meint, in bestimmten Fällen könnte die KI eine bessere Diagnose stellen als ein Arzt.«

KI IST EINE INDUSTRIELLE REVOLUTION


Der Arztberuf wird damit nicht abgeschafft. Aber er wird sich verändern. Wie sich in Zukunft viele Berufe durch KI verändern werden. Und, mehr noch: Künstliche Intelligenz wird das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Zukunft maßgeblich verändern. Generative KI, Sprachmodelle und selbstlernende Systeme sind eine neue – nach verbreiteter Lesart die fünfte – industrielle Revolution. Sie werden Routineaufgaben in Unternehmen übernehmen, Fertigung, Logistik und Lagerhaltung organisieren, Produkte und Prozesse in allen Branchen prüfen und verbessern. Ob in der Produktion, Dienstleistungs- oder Energiebranche, Mobilität, Agrar- oder Bauwirtschaft – die neuen digitalen Tools sind in der Lage, den Unternehmen einen enormen Schub an Effizienz und Qualität zu verleihen. 

Aber wann macht KI Unternehmen besser und effizienter? Und wann sollte man seine Finger von ihr lassen? Die vom Bund geförderten „Mittelstand-Digital Zentren“ geben Hilfestellung. Sie haben auch zahlreiche Anwendungsbeispiele in petto, die belegen, dass das Thema KI bereits im Mittelstand angekommen ist. Was die „KI-Readiness“ der Unternehmen angeht, die technischen und strukturellen Voraussetzungen zur Implementierung von KI-Anwendungen, bestehe aber noch ein hoher Nachholbedarf, erklärte Christian Märkel, der das dort angesiedelte KI-Trainer-Programm koordiniert, dieser Zeitung. „Betriebe, die sich als KI-ready präsentieren, sind interessanter für junge Fachkräfte, also Digital Natives, die selbst darauf brennen, die Potenziale von KI auszuloten. Das kann dann zu einem Innovationsschub im Unternehmen führen, der sich direkt auf die Produktivität auswirkt.“ 

Die Anwendungsbeispiele sind bestechend: KI schreibt Meetings mit, sie transkribiert und übersetzt. Der Verwaltung hilft sie, indem sie wiederkehrende Routinen übernimmt, bei Mails, Anschreiben oder auch im Office-Management. KI kann Entwürfe liefern, bei denen der Mensch den Feinschliff macht. KI-Anwendungen können dem Arbeitskräftemangel etwas entgegensetzen, indem sie repetitive Aufgaben automatisieren oder Qualitätskontrollen optimieren. Oder bei der Qualifizierung von Mitarbeitenden helfen, etwa im Handwerk, wo zum Beispiel über eine KI-gestützte Augmented Reality-Brille die Reparatur eines komplizierten Bauteils dargestellt wird.

Illustration: Marga Castaño
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LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG REDUZIEREN MIT KI


In produzierenden Unternehmen reichen die Anwendungsmöglichkeiten von KI von der Prozess- und Logistikdatenanalyse über Qualitätssicherung und Maschinensteuerung bis hin zu völlig neuen digitalen, datenbasierten Geschäftsmodellen. Ein Beispiel hierfür liefert das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV. Im Rahmen eines Projekts zeigt es, wie mit Hilfe von KI die Quote der im Produktionsprozess vernichteten Lebensmittel gesenkt werden kann. 60 Prozent aller Lebensmittel, das sind 11 Millionen Tonnen, werden bereits während des Herstellungsprozesses in der Wertschöpfungskette vernichtet. Ursachen sind strenge Anforderungen an die Produktsicherheit, eine geringe Planbarkeit in der Landwirtschaft, produktspezifische Randbedingungen in der Lebensmittelverarbeitung, starke Nachfrageschwankungen und der Trend zu individualisierten Produkten. Die Wertschöpfungsentwicklung der Foodchain habe eine temporäre Sättigung erreicht, „die nur durch disruptive Ansätze, wie die Verwendung von Künstlicher Intelligenz, überwindbar ist“, so das Fraunhofer IGCV.


Aufgrund der strengen gesetzlichen Regelungen werden in der Lebensmittelindustrie überdurchschnittlich viele Daten generiert. Diese bilden eine perfekte Grundlage für den Einsatz von KI. Diese wird trainiert, um Überproduktion und Ausschuss zu minimieren. KI kann die Nachfrage der Konsumenten genauer prognostizieren und die Produktionsinfrastruktur dazu befähigen, kurzfristig auf schwankende Nachfrage oder Rohstoffqualität zu reagieren. Angestrebt wird im Rahmen des Projekts eine Reduzierung der Lebensmittelverluste um bis zu 90 Prozent. 

Auch im Mittelstand setzen immer mehr Unternehmen auf KI: Ein Fensterhersteller setzt KI-gestützte Bilderkennung bei der Qualitätskontrolle ein. Die Fenster werden gescannt und auf Sprünge und Fehler untersucht. Die Fehlerdaten werden dann ins System zurückgespielt und zur Optimierung der Produktion eingesetzt. Ein mittelständischer Automobilzulieferer im Rheinland erhöht mittels KI die Planungsgenauigkeit in der Produktion. Um Leerlauf- und Wartezeiten in der Produktion zu reduzieren, wurde ein KI-Modell trainiert, um bei komplexen Aufträgen die Prognose der Durchlaufzeiten zu optimieren. Mit jedem Produktionsauftrag lernt das KI-Modell dazu und wird genauer.
 

DEFIZITE BEI DER WEITERBILDUNG, HOHER ENERGIEVERBRAUCH


Doch viele Fragen bleiben: Was bedeutet KI für die Unternehmensstrukturen? Für die Belegschaft? Deren erforderliche Fähigkeiten? Um die Ergebnisse von KI zu maximieren, erkennen Führungskräfte sukzessive, dass sie ihre Belegschaft umgestalten müssen. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Arthur Little sehen 59 Prozent der CEOs bereits eine starke oder sehr starke Notwendigkeit, ihre Mitarbeiter neu zu qualifizieren, gegenüber nur 13 Prozent im Jahr 2023. Dies verdeutlicht die Geschwindigkeit und die Auswirkungen des Aufstiegs der KI. 

Ein weiteres großes Problem ist der Energieverbrauch der Generativen AI. Gegenüber einer Suchmaschine wie Google verbraucht eine Anfrage bei ChatGPT etwa ein Zehnfaches an Strom.

Aber auch das Training eines einzigen KI-Modells mit aufwendigen Vorhersageberechnungen ist ein energieintensiver Prozess. Laut Expertenschätzungen soll der Stromverbrauch von digitalen Anwendungen von jetzt etwa acht Prozent auf 30 Prozent weltweit steigen. Sie warnen schon vor Energieengpässen. So erklärte der Wirtschaftshistoriker Daniel Yergin im Gespräch mit dem Handelsblatt, das Wachstum Künstlicher Intelligenz werde die Energiesysteme weltweit auf die Probe stellen: „KI ist eine hungrige Raupe.“ 

Die Hoffnung liegt auf der Entwicklung neuartiger Speicherchips, die weniger Energie verbrauchen, etwa im Rahmen von künstlichen neuronalen Netzen. Im Gegenzug könnte KI aber auch die Energieeffizienz in anderen Bereichen erhöhen. Beispiele sind die „kraftstoffeffiziente Routenplanung“ bei Google Maps oder die Vorhersage von Flussüberschwemmungen. Der Energiekonzern Vattenfall spricht davon, dass KI-Technologie den Energieverbrauch in Gebäuden senken könne. So geschehen in Schweden, wo die Einsparung an zwei Gebäuden 20 bis 30 Prozent betrug. Des weiteren könne der Stromverbrauch von Mobilfunknetzen halbiert werden, so Vattenfall. Ein entscheidender Vorteil der KI sei ihre Fähigkeit sich anzupassen: Energie würde dann immer genau dorthin geleitet, wo sie gerade gebraucht wird. AI ACT DER EUROPÄISCHEN UNION


Die EU-Mitgliedstaaten haben im Mai dieses Jahres das weltweit erste Gesetz zur Regulierung von KI verabschiedet. Das Gesetzt regelt die Voraussetzungen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Hier der AI Act in Stichworten.

• Künstliche Intelligenz beschreibt die Fähigkeit von Maschinen, basierend auf Algorithmen Aufgaben autonom auszuführen und dabei die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstandes nachzuahmen.
• Der AI Act schreibt vor, dass KI-Anwendungen nicht missbraucht werden dürfen. Ebenso muss der Schutz der Grundrechte gewährleistet sein. Gleichzeitig brauchen Wissenschaft und Wirtschaft Freiraum für Innovationen. Der AI Act verfolgt hier einen sogenannten risikobasierten Ansatz. Das heißt, je höher das Risiko bei der Anwendung eingeschätzt wird, desto strenger sind auch die Vorgaben.
• Ein inakzeptables Risiko stellen KI-Systeme dar, die eingesetzt werden können, um das Verhalten von Personen gezielt zu beeinflussen und sie so zu manipulieren. Für sie gilt ein Verbot, genauso wie für KI-basiertes „Social Scoring“, also die Vergabe von Punkten nach erwünschtem Verhalten.
• Es gilt Transparenzpflicht. Künstlich erzeugte oder bearbeitete Inhalte müssen eindeutig als solche gekennzeichnet werden.
• Hochriskante KI-Systeme – zum Beispiel in den Bereichen kritische Infrastruktur, Beschäftigung sowie Gesundheits- oder Bankenwesen – müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen, um für den EU-Markt zugelassen zu werden. Für Anwendungen mit einem geringen Risiko gelten lediglich eingegrenzte Transparenz- und Informationspflichten.

(Quelle: Bundesregierung)

 

MITTELSTAND-DIGITAL-ZENTREN


Die KI-Trainer der Mittelstand-Digital-Zentren klären mit Workshops, Unternehmensbesuchen, Vorträgen, Roadshows und vielen anderen Angeboten über das Thema Künstliche Intelligenz auf. Sie wollen damit Unternehmen befähigen, Chancen und Herausforderungen der neuen Technik zu erkennen. Sie setzen mit ihnen zusammen konkrete Anwendungen um. Besonders relevant für den deutschen Mittelstand sind dabei die Anwendungen Intelligente Assistenzsysteme, Industrielle Analyse (Smart Data-Analysen) und intelligente Produkte und Services (KI as a Service).

www.mittelstand-digital.de

 

BUCHTIPP

Oliver Schwartz, Michael Gebert: „KI ist Chefsache! Mit Mut zur Innovation auf den Weg in die Zukunft.“ Wiley-VCH 2024, 29.99 Euro


Unternehmer stehen vor wichtigen Entscheidungen, denn KI wird die Grundlage für das Business der Zukunft und ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Die KI-Experten Oliver Schwartz und Michael Gebert haben den Unternehmerblick auf die digitale Transformation und liefern Strategien und Impulse für den Weg in die Zukunft - mit Mut zur Innovation. Sie vermitteln relevantes Grundlagenwissen, erweitern mit vielen Praxisbeispielen den Blick auf den Business-Einsatz von Künstlicher Intelligenz und blicken in die Zukunft der Geschäfts- und Arbeitswelt. Das Buch richtet sich an Unternehmer, Selbständige und Führungskräfte, die Künstliche Intelligenz verstehen und Chancen und Risiken sicher bewerten lernen wollen.

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