Nach der Krise

Konzepte für die Mobilität von morgen gibt es viele – von autonomen und vernetzen Fahrzeugen, smarter Infrastruktur, ressourcenschonenden Antrieben, Ridesharing-Konzepten bis hin zu virtuellen Meetings.
Illustration: Johannes Fuchs
Kai Kolwitz Redaktion

Wirklich umgesetzt wurde bislang wenig. Die Corona-Pandemie könnte ein Wendepunkt sein.

 

Zukunft der Mobilität – zugegeben, für die meisten dürfte das in Zeiten der Pandemie nicht das Thema sein, auf das sie viele Gedanken verwenden. Im Moment scheint es wichtiger zu fragen, wann wir überhaupt wieder so mobil werden können wie vor dem Corona-Ausbruch. Auf welche Weise auch immer.


Andererseits – es ist nicht kühn zu vermuten, dass die Krankheit und die mit ihr verbundenen Einschränkungen einen Einfluss auf die Arbeitswelt von morgen haben werden. Und damit auch auf sehr viele Wege, die wir in Zukunft zurücklegen werden.


Als allererstes ist die momentane Situation ein riesengroßer Modellversuch zu Themen wie Homeoffice, Telearbeit, dezentrale Organisation, Telefon- und Videokonferenzen. Erfahrungen werden gesammelt, Strukturen gesucht, Skeptiker werden sich notgedrungen an die neue Situation gewöhnen. Und damit ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Zukunft mehr Menschen zumindest manchmal von zu Hause aus arbeiten werden und dass manche Dienstreise und mancher Kundentermin durch eine zeit- und ressourcensparende Videoschalte ersetzt wird. Für diejenigen, die immer noch mobil sein müssen, wäre das eine gute Nachricht. Denn wer zuhause bleibt, produziert keine Staus.


Und noch etwas könnte passieren, vielleicht zumindest: Eventuelle Engpässe könnten bei den Handelnden die Erkenntnis reifen lassen, dass es sinnvoll wäre, auch die Lücken zu füllen, die es immer noch in der breitbandigen Internetstruktur gibt – und da vor allem in der mobilen. Stabile und leistungsfähige Datenverbindungen nämlich sind essenziell für viele Visionen, die es zur Mobilität von morgen gibt. Zuallererst die vom autonomen Fahren.


Denn wirklich sicher kann das erst werden, wenn selbststeuernde Fahrzeuge nicht quasi blind unterwegs sind und auf alles, was auf der Straße passiert, mit den Sensoren ihrer Bordelektronik und den Algorithmen ihrer Steuerung reagieren müssten. In einer idealen Zukunft würden ständig Informationen von außen die Computer unterstützen, so wie heute schon bei den verkehrsabhängigen Navigationssystemen. Nur besser und mit breiterer Datenbasis.


Car-2-Car- beziehungsweise Car-2-X-Kommunikation nennen sich solche Konzepte: Fahrzeuge kommunizieren miteinander und auch mit der Infrastruktur, mit Ampeln, Straßenschildern, Baustellenabsperrungen. Muss ein Wagen wegen einer Gefahrenstelle scharf bremsen, meldet er das allen Fahrzeugen weiter hinten, deren Autopiloten damit auf die Situation vorbereitet sind. Eine Ampel teilt elektronisch mit, wann sie auf Grün schalten wird, ein Straßenschild, was auf ihm steht. Und an unübersichtlichen Kreuzungen würden sich Fahrzeuge beieinander anmelden und elektronisch klären, wer Vorfahrt hat.


Damit würde die fehlerträchtige optische Sensorik überflüssig, die heute dazu dient, Verkehrsschilder zu erfassen, die wiederum einst für das menschliche und nicht für das Maschinenauge optimiert wurden. Beim Anfahren und Bremsen würden Platz und Zeit gespart, weil jeder Autopilot wüsste, wann die Bahn frei ist und was das Vorderfahrzeug im Sinn hat. Und natürlich ließe sich auf diese Weise eine große Zahl von Unfällen vermeiden.


Irgendwann einmal könnte der Verkehr dadurch zu einem riesigen Schwarm werden, der so dirigiert wird, dass alle am schnellsten ans Ziel kommen: Der eine auf die linke Spur, der nächste auf die rechte, der eine auf diesem Weg durch die Stadt, der andere auf dem anderen – so würden Ressourcen optimal genutzt, auf dem gleichen Verkehrsraum ließen sich deutlich mehr Fahrzeuge unterbringen. Außerdem ließe sich so Treibstoff sparen, da jedes Fahrzeug kommende Situationen im Voraus einkalkulieren könnte – und entsprechend maßvoll beschleunigen und bremsen.


Europa- wie auch deutschlandweit werden solche Szenarien schon seit Jahren auf Testfeldern im öffentlichen Verkehr erprobt. Zuletzt scheint das Thema allerdings etwas an Schwung verloren zu haben, ebenso wie das autonome Fahren. Nicht zuletzt deshalb, weil die Hersteller im Moment sehr viel Geld in die Umstellung ihrer Modellpalette auf neue Antriebsformen investieren.


Und in der Tat: Mit welcher Art Motor Autos in zehn, zwanzig, dreißig Jahren fahren werden, ist eine der spannendsten Fragen in Sachen Mobilität der Zukunft. Und für die Autobauer eine existenzielle: VW zum Beispiel treibt mit hohem Aufwand die Elektrifizierung seiner Modellpalette voran – auch, wenn Fragen von Lademöglichkeiten und Reichweite noch nicht abschließend geklärt sind. Toyota dagegen setzt auf Diversifizierung: „So werden preisgünstige Autos um die 10.000 Euro weiterhin einen Verbrennungsmotor haben“, sagte Alain Uyttenhoven, Präsident von Toyota Deutschland, in diesen Tagen der Nachrichten-Website Zeit Online im Interview. Außerdem werde man die CO²-Grenzwerte der Europäischen Union mithilfe von Hybridfahrzeugen einhalten können, parallel eine batterieelektrische Linie aufbauen – und außerdem den Brennstoffzellen-Antrieb weiter forcieren, der elektrische Energie für den Antrieb von Fahrzeugen aus Wasserstoff gewinnt.


Die Sache verspricht spannend zu werden. Denn auch, wenn man aus europäischem Blickwinkel den Eindruck haben kann, dass alles auf eine rein batterie-elektrische Zukunft hinausläuft – die asiatischen Staaten Südkorea und Japan fördern Brennstoffzellenfahrzeuge mit Staatsmitteln. Nicht ganz zufällig sind Hyundai und Toyota die beiden Hersteller, die heute schon den Wasserstoffantrieb in kleiner Serie produzieren. Beide haben vor, die Fertigung auszubauen und die Fahrzeuge sukzessive günstiger zu machen.


Mit ähnlicher Hartnäckigkeit hatte sich Toyota schon ab den 1990er-Jahren zum führenden Hersteller in Sachen Hybridantrieb aufgeschwungen. Und das Konzept Wasserstoff hat durchaus Charme: Der Treibstoff lässt sich in wenigen Minuten per Zapfpistole tanken wie heute Benzin, er lässt momentan höhere Reichweiten zu als batterieelektrische Antriebe. Und die Technologie ist schon seit vielen Jahren von diversen Herstellern serientauglich gemacht worden, in Deutschland unter anderem von Mercedes. Visionäre sehen außerdem in Wasserstoff ein gutes Medium, um die Überschüsse an Strom, die Sonnen- und Windenergie an manchen Tagen produzieren, in speicherbare Energie zu verwandeln – „Power to Gas“ heißt das Konzept. Allerdings fehlt es derzeit noch an Transportmöglichkeiten und Zapfsäulen sowie an Ladestationen für Elektroautos.


Für die Konzerne bedeutet die Vielfalt der Antriebsszenarien große Unsicherheit. Sie bietet aber auch große Chancen für diejenigen, die auf die richtigen Pferde setzen. Zumal Corona für neue Variablen im System sorgt: Was werden die Autokäufer machen, wenn man sich erst wieder frei bewegen kann? Wird erst einmal gespart oder sorgen Konjunkturprogramme für einen Boom? Werden Nationalstaaten oder die Europäische Union mittels Verboten oder Anreizsystemen die Nachfrage hin auf bestimmte Konzepte steuern? Oder werden Klimaschutz-Regularien erst einmal aufgehoben, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen?


Unabhängig davon: Was wird ein Autobauer in einigen Jahren eigentlich per definitionem sein? Ein Umstieg von Verbrennungs- auf Elektromotoren würde einen Teil der großen Expertise der traditionellen Hersteller wertlos machen. Newcomern bietet das so gute Chancen auf einen Markteintritt wie seit Jahrzehnten nicht. Tesla hat schon vor Jahren gezeigt, wie so etwas gehen kann. Außerdem spielt die Software bei modernen Fahrzeugen eine immer größere Rolle. Einen Wagen autonom oder vernetzt fahren zu lassen, erfordert andere Kompetenzen als der Bau eines starken und gleichzeitig sparsamen Motors. Es sind Szenarien im Umlauf, die dem Auto prophezeien, was heute bei Smartphones gang und gäbe ist: Der eine produziert die reine Hardware, konzentriert sich auf weiches Leder, Fahrwerk und vielleicht den Antrieb. Ein anderer stellt das Betriebssystem zur Verfügung – gewissermaßen ein Leben mit iOS oder Android, nur eben in Gestalt eines Autos.


Dass Konzerne wie Google oder Apple bereits eigene Forschung zu autonom fahrenden Wagen betreiben, zeigt, dass auch sie die Chancen im Mobilitätsbereich erkannt haben. Oder vielleicht übernimmt doch ein Start-up, das im Moment noch niemand auf der Rechnung hat? Auch Google wurde vor zwanzig Jahren fast aus dem Nichts zur marktbeherrschenden Suchmaschine, einfach deswegen, weil ihre Technik allen anderen weit überlegen war.


Oder gewinnt am Ende derjenige, der weiterdenkt? Der Mobilität nicht mit Auto gleichsetzt, sondern mit einem Arsenal jeweils perfekt passender Transportmittel? Der in der Lage ist, verschiedene Angebote so perfekt zu vernetzen, dass man morgens nicht ins Auto steigt, sondern quasi sagt: „Alexa, bring mich zur Arbeit!“ Ob per Carsharing, Ridesharing, Bahn oder mit dem eigenen Wagen – das könnte schlagartig an Bedeutung verlieren, wenn der Service einfach unspektakulär und komfortabel funktionierte. Wenn es nur noch darum ginge, ans Ziel zu kommen, schnell, komfortabel, mit weichen Polstern, ohne Dreck und ohne sich zu stressen.


Vielleicht wird es ja so kommen, bei den Jüngeren scheint die Sehnsucht nach dem eigenen Wagen heute schon deutlich nachzulassen. Und manchmal, da würde der Assistent dann sagen: „Dreh dich noch mal um und arbeite heute von zu Hause!“

 

Technologie
Dezember 2023
Illustration: Chiara Lanzieri
Redaktion

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