Lieber mal Kaffee statt KI

Wie Künstliche Intelligenz in Unternehmen eingesetzt wird – und wie sie eingesetzt werden sollte.

Illustrationen: Josephine Warfelmann
Illustrationen: Josephine Warfelmann
Mirko Heinemann Redaktion

Künstliche Intelligenz (KI) ist längst in den deutschen Unternehmen angekommen. Nur sind es häufig nicht die Unternehmen, die KI in ihre Prozesse eingeführt haben, sondern vielmehr die Mitarbeitenden selbst, die KI-Sprachmodelle statt Google nutzen. Der Digitalverband Bitkom nennt dies „Schatten-KI“. Er rät Unternehmen, ihren Beschäftigten KI-Technologien zur Verfügung zu stellen und klare Regeln für deren Einsatz einzuführen, um „KI-Wildwuchs“ zu vermeiden. 

Aber nicht nur in Unternehmen, auch in Schule und Studium, beim Recherchieren, Schreiben, Übersetzen und sogar beim privaten Nachdenken setzen immer mehr auf die Hilfe der KI. Zugleich mehren sich Hinweise darauf, dass es Nebenwirkungen gibt, die nicht zu unterschätzen sind. Zwei neue Studien haben sich den Umgang mit KI genauer angesehen. Eine groß angelegte Untersuchung, veröffentlicht im Oktober 2025 in der Fachzeitschrift PNAS Nexus unter Leitung von Shiri Melumad und Jin Ho Yun von der University of Pennsylvania, verglich mehr als 10.000 Testpersonen. Sie sollten aus Informationen im Internet praktische Themen recherchieren und eine einfache Anleitung verfassen, etwa, wie man einen Gemüsegarten anlegt, einen gesünderen Lebensstil führt oder mit Finanzbetrug umgeht - und zwar mit Google-Suche, mit ChatGPT oder ganz ohne Hilfsmittel. 

Das Ergebnis war eindeutig: Wer selbst recherchierte und formulierte, brauchte zwar länger, aber erinnerte sich später besser an die Inhalte. Die Google-Nutzer schnitten in der Qualität und Originalität ihrer Texte am besten ab, die KI-Nutzer am schlechtesten. Menschen, die auf Sprachmodelle zurückgriffen, gaben oft nur noch leicht überarbeitete KI-Vorschläge wieder – und merkten sich kaum, was sie geschrieben hatten. 

Ein ähnliches Bild zeigte eine Studie des Massachusetts Institute of Technology unter Leitung von Nataliya Kosmyna. Dort sollten 54 Probanden Essays mit Unterstützung unterschiedlicher Werkzeuge verfassen: ChatGPT, einer Suchmaschine oder ganz ohne technische Hilfe. Die Hirnaktivität wurde mit einem EEG gemessen. Auch hier galt: Der Lerneffekt war am größten, wenn das Gehirn ohne algorithmische Stütze arbeitete. Wer sich einmal zu sehr an KI-Hilfe gewöhnt hatte, tat sich später schwer, dieselbe Aufgabe eigenständig zu lösen. Besonders auffällig war der Unterschied bei Wiederholungen nach mehreren Monaten – klassische Langzeiteffekte, die auf den Verlust kognitiver Übungsfähigkeit hinweisen.
 

PSYCHOLOGIE TRIFFT TECHNOLOGIE


Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von „kognitiver Entlastung“. Der Mensch lagert Routinen gerne aus, sobald es bequemer geht – ein Prinzip, das schon bei Taschenrechnern und Navigationssystemen galt. Doch zugleich gilt ein anderes Prinzip: „wünschenswerte Erschwernisse“. Lernprozesse verlaufen nachhaltiger, wenn sie zunächst anstrengend sind. Die Mühe am Anfang verankert das Wissen tiefer. Daraus ergibt sich ein Paradox. Gerade das, was KI verspricht – Zeitersparnis und Bequemlichkeit –, kann den entscheidenden Lernreiz ausschalten. 

Der US-Wirtschaftsprofessor Ethan Mollick von der Wharton School wirbt seit Jahren für das Konzept der „Ko-Intelligenz“. Menschen sollten KI dann einsetzen, wenn sie für eine Aufgabe besser ist als der beste verfügbare Mensch – etwa bei Datenanalyse oder Übersetzungen großer Textmengen. Beim Lernen oder Problemlösen jedoch sollte der Mensch die Hauptrolle behalten, während KI hilft, Fragen zu klären oder Perspektiven zu erweitern.

Praxisbeispiele zeigen, wie das gelingen kann. An der Stanford-Universität analysierte der Ökonom Erik Brynjolfsson gemeinsam mit Kollegen den Einsatz von KI im Kundendienst eines Softwareunternehmens. Eine KI hörte bei Telefonaten mit und gab in Echtzeit Antwortvorschläge. Die erstaunliche Folge: Vor allem schwächere Mitarbeiter verbesserten ihre Leistung deutlich, lernten typische Gesprächsmuster und wurden langfristig unabhängiger von der KI. Das Werkzeug wurde zum Tutor, nicht zum Ersatz. Als die KI einmal ausfiel, konnte das geschulte Personal dennoch auf dem erlernten Wissen aufbauen.
 

KI VERÄNDERT DEN ARBEITSMARKT


Doch nicht überall führt der Einsatz von KI zu Kompetenzgewinn. Eine gemeinsame Studie von Forschern der Princeton University und des Dartmouth College zeigte, dass Künstliche Intelligenz den Bewerbungsprozess verfälschen kann. Bewerber lassen Anschreiben und Tests zunehmend von Chatbots formulieren, was Personalern die Auswahl erschwert. Folge: Unternehmen orientieren sich stärker an Gehaltsforderungen – und stellen laut den Forschern tendenziell mehr schlechte und weniger gute Kandidaten ein. 

Die Frage bleibt also: Wie viel Arbeit wollen und dürfen wir auslagern? Gesellschaftlich ist das mehr als eine Bildungsfrage: In Büros, Schulen und Behörden könnte der leichtfertige Einsatz von KI dazu führen, dass Wissen verflacht und Fähigkeiten verkümmern, die lange trainiert wurden – vom präzisen Formulieren bis zum kritischen Denken. Die Lösung liegt in einer bewussten Balance. Es gilt, zwischen drei Arten von Aufgaben zu unterscheiden: Zum Ersten erhaltenswertes Kernwissen: Fähigkeiten, die tiefes Verständnis erfordern – etwa logisches Denken, Schreiben oder Problemlösen –, sollten nicht an KI abgegeben werden. Zum Zweiten pragmatische Assistenzaufgaben: Recherche, Routinetests oder Übersetzungen kann KI übernehmen, solange der Mensch die Ergebnisse prüft. Und zum Dritten ersetzbare Routinearbeiten: Aufgaben, die ohnehin Spezialisten oder Maschinen überlassen werden, dürfen vollständig automatisiert werden – hier schafft KI Freiraum für Kreativität.

Bildungsexperten fordern neue Leitlinien: Schüler sollen lernen, KI kritisch einzusetzen – nicht als Ersatz fürs Denken, sondern als Werkzeug zum Denken. Unter wissenschaftlicher Begleitung könnte das den Lernprozess sogar vertiefen. KI wird dann nicht zum Lehrer, sondern zum Sparringspartner. KI darf Arbeit erleichtern, aber nicht Denken ersetzen. Sie soll anregen, nicht entlasten; ergänzen, nicht ersetzen. Für Unternehmen heißt das, dass sie Räume und Situationen schaffen müssen, in denen ihre Beschäftigten zum Nachdenken angeregt werden – zum klassischen Brainstorming, ohne KI, stattdessen mit althergebrachten Hilfsmitteln wie Wasser, Tee oder Kaffee.

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