Insignien einer neuen Zukunft

Was verbirgt sich hinter den Begriffen E-Volution, Automotive Reset, Frontdoor Mobility, Femobility? Laut Zukunftsinstitut nichts weniger als die nächsten Megatrends in Sachen Mobilität.
Illustration: Jasmin Mietaschk
Illustration: Jasmin Mietaschk
Dr. Stefan Carsten Redaktion


Städte befinden sich in einem nie gekannten Erneuerungsprozess. Während es früher um Autos und Straßen ging, werden in Zukunft attraktive Räume und Mobilität im Mittelpunkt stehen. Nichts anderes als der Umbau der Stadt ermöglicht eine nachhaltige, inklusive und sichere Zukunft, in die Firmen investieren und in der Menschen leben wollen. Dies sind die zukünftigen Standortfaktoren, die wirtschaftliches Wachstum in einer wissensbasierten Gesellschaft bedeuten. Der Besitz eines Autos ist unter diesen Rahmenbedingungen immer weniger relevant. Viel wichtiger ist der Zugang zu Mobilität, der eine Auswahl verschiedener Verkehrsmittel ermöglicht: Heute Fahrrad, morgen ÖPNV und übermorgen Carsharing. Verkehrsstaus und Unfälle, Lärm- und Schadstoffemissionen gehören dann der Vergangenheit an. Gesundheit, Aktivität und echte öffentliche Räume sind die Insignien einer neuen Zukunft und einer zukunftsfähigen Mobilität.

Das Ende des Verbrennungsmotors und der Beginn der Elektromobilität (E-Volution) bringt diesen Transformationsprozess auf den Punkt. Autos werden leiser, gesünder, nachhaltiger und kostengünstiger, denn endlich einmal hat die Verkehrspolitik die richtigen Signale gesetzt. Was die deutsche Automobilindustrie nie wollte, ist tatsächlich eingetreten: Dieselfahrzeuge und Benziner werden bald Vergangenheit sein, ebenso der Hybridantrieb. Die Zukunft gehört dem Elektromotor – Mobilität, die schon heute deutlich sauberer und gesünder ist, als jeder vergleichbare Antrieb. Vorreiter dieser Transformation ist Skandinavien, allen voran Norwegen; progressive Autohersteller wie General Motors oder Volvo und natürlich die neuen Akteure um Tesla, Rivian, Arrival, Nio, Sonos Motors und viele, viele mehr. Und alle haben Auftragsbücher, die prall gefüllt sind. Einige Länder haben bereits Verbotsszenarien für Verbrennungsmotoren ausgesprochen – nur Deutschland tut sich immer noch schwer und wird im internationalen Standortwettbewerb somit weiter zurückfallen.

Die etablierte Automobilindustrie befindet sich somit in einem radikalen Wandel, und das Spektrum an Zukunftsthemen und vor allem -herausforderungen für die Branche ist immens (Automotive Reset): neue Antriebe, Produktionskonzepte und Vertriebsmodelle. Die Vernetzung von Fahrzeugen, Menschen und Infrastrukturen, autonome Mobilität und Mobilitätsdienste, Sharing-Konzepte vom Roller bis zum Schwerlaster. Das alles in einer Zeit, in der sich sogar die Politik nicht mehr bedingungslos den automobilen Werten verschreibt. Die Branche muss sich neu erfinden – denn eines ist klar: Die Zukunft der Mobilität wird klimaneutral und sicher sein. Denn nicht nur autonome Mobilität steht in den Startlöchern und wird auf der Basis von Level 4 bereits in diesem Jahr in München als Taxi-Dienst (so genannte RoboCaps) eingeführt, bereits 70 Städte unterstützen die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“. Neofencing – die nächste, nachhaltige Dimension des Geofencing – eröffnet Städten eine Vielzahl von Optionen, um Geschwindigkeiten zu kontrollieren, elektrische Antriebe zu aktivieren oder um Scooter in ihre Räume zu verbannen.

 

DR. STEFAN CARSTEN ist Stadtgeograf und Experte für Mobilität beim Frankfurter Zukunftsinstitut
DR. STEFAN CARSTEN ist Stadtgeograf und Experte für Mobilität beim Frankfurter Zukunftsinstitut

Verabschieden werden wir uns im Zuge der Antriebswende auch von Tankstellen (Energy Places). Denn die rund 14.500 Tankstellen in Deutschland werden nicht mehr gebraucht, wenn es 1 Million Ladestationen gibt. Tankstellenbetreiber sind jetzt aufgefordert, sich diesen Veränderungen zu stellen, um nicht als „Museumsdirektoren“ der fossilen Welt zu enden. Die neuen Energy Places sind Schnellladestationen, gerne vor Supermärkten oder Einkaufszentren, oder Mobility Hubs. Also neue Räume der Mobilität und gleichzeitig ein neuer sozialer, ökonomischer und kultureller Ort in der Stadt und auf dem Land.

So löst sich das Missverhältnis von urbaner Mobilität und ländlicher Automobilität langsam auf (Connecting the Countryside). Immer mehr Akteure und Akteurinnen nehmen sich dieses Dilemmas an und bieten flexible Mobilitätskonzepte in Räumen, die dafür im herkömmlichen Sinne nicht geeignet sind. Der ländliche Raum mobilisiert sich – endlich. Dank flexibler und individueller IT-Lösungen erhält auch die kleinste Gemeinde die Chance, neue Mobilitätskonzepte anzubieten. Sogar die Bahn reaktiviert dafür hunderte Kilometer Schienenstrecken. Dezentralität ist das Schlagwort unserer Zeit.

Stadtquartiere entwickeln sich zu multifunktionalen Räumen, analog wie digital: Mehr als 80 Prozent aller Wege starten und enden an der eigenen Haustür (Frontdoor Mobility). In den Quartieren der Zukunft ist alles vor Ort: Wohnen und Arbeit, Freizeit und Bildung. Das Prinzip der 15-Minuten Stadt (Paris), der 5-Minuten Stadt (Kopenhagen) und der 1-Minuten Stadt (Stockholm) verändert das Antlitz der Städte und schafft attraktive, lebenswerte Quartiere. Nicht mehr Blech und ineffiziente Parkplätze finden sich hier, sondern Menschen – zu Fuß oder auf Fahrrädern: Der Trend zum Fahrrad ist ungebrochen – für den privaten Verkehr genauso wie für die Paketlogistik. Neue Fahrradkonzepte finden sich täglich auf den Straßen (Xycles). Fahrrad oder Auto? Personen oder Pakete? Elektrisch oder sportlich? Zwei Räder oder drei – oder vier? Die neuen Konzepte der Fahrradindustrie erfüllen jeden Wunsch. Sie sind das Statussymbol unserer Zeit – und weisen den Weg in eine gesunde und inklusive Zukunft, weil Femobility in immer stärkeren Maßen das Planungsideal bestimmt. Der Fokus auf weibliche Mobilitätsmuster, die sich signifikant von der männlichen Mobilität unterscheiden, macht deutlich, dass dieser Wandel vor allem pragmatische Konzepte erfordert, die den Alltag hochmobiler Frauen erleichtern. Sharing-Konzepte, die die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigen, Räume, die Mobilität mit Kindern in den Mittelpunkt rücken, Tarife, die Flexibilität und Unabhängigkeit mit sich bringen. Immer mehr Pionierinnen der Mobilitätsbranche weisen dabei den Weg, um den in den 1950er-Jahren entstandenen „Gender Mobility Gap“ zu überwinden.

 

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