Talentsuche in der Automobilindustrie: Sprechen Sie die Freien an!

Die Automobilindustrie befindet sich mitten in einem strukturellen Wandel. Und während das Geschäft noch brummt, verändern sich bereits die Rahmenbedingungen.
Aleksandar Amidzic, Geschäftsführer Hays
Aleksandar Amidzic, Geschäftsführer Hays
Hays Beitrag

Um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Firmen ihre Personalkonzepte konsequent hinterfragen. Welche Stellschrauben im Wettlauf um die fähigsten Top-Talente jetzt wichtig werden, erklärt Aleksandar Amidzic von Hays im Interview.

 

Herr Amidzic, was hat sich innerhalb der letzten 16 Monate aus Ihrer Sicht bei den Personalstrategien der Automobilindustrie nebst Zulieferbetrieben getan?
Im Zuge der Pandemie wurden die Abbaustrategien in jedem Fall konsequenter umgesetzt als zuvor. Bewerberzyklen wurden zeitweise auf Eis gelegt oder erst einmal verschoben. Anschließend fand eine komplette Neubewertung von externen Ressourcen und internen Projektanträgen statt. Neubeauftragungen wurden teilweise gestoppt, Bestellzeiten verkürzt und es gab Ad-hoc-Steuerungen bei Projektlaufzeiten und Arbeitsvolumen. Kurzum: Viele Projekte und damit auch Tätigkeiten wurden erst einmal auf den Prüfstand gestellt. Im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs Ende 2020 hat der Personalbedarf dann wieder an Fahrt aufgenommen. Aktuell liegen wir bei einem Suchvolumen sogar über dem Niveau vor der Pandemie.  

 

Welche Fortschritte sehen Sie bei der kompletten Neubewertung der externen Ressourcen?
Um sich für einen harten Wettbewerb zu rüsten, prüfen derzeit sowohl die Hersteller als auch die Zulieferbetriebe ihre Wertschöpfungsstränge. Und stellen sich die Fragen: In welchen Funktionsbereichen fand bisher die Innovation statt? Wo findet künftig die Innovation statt? Welchen Einfluss hat das auf qualitative und quantitative Beschäftigung? Ein sehr wichtiger Bereich, in dem zunehmend neue Kompetenzen aufgebaut werden müssen, ist die Softwareentwicklung. Für die Entwicklung neuer Tools und Plattformen werden zwar einige interne Mitarbeitende weiterqualifiziert, aber auch Externe eingekauft. Diese Entwicklungsprojekte haben immer weniger mit dem eigentlichen Bau eines Fahrzeugs zu tun.  Vielmehr geht es um Programmiercodes, KI und Big Data. Damit verschwimmen auch die Grenzen zwischen IT und dem Ingenieurwesen und bringen neue Querschnittstätigkeiten hervor. Genau hier findet derzeit der größte Teil der beschriebenen Neubewertung externer Ressourcen statt.

 

Mit dem Anspruch künftig ein Technologieunternehmen werden zu wollen, wächst gleichzeitig der Innovationsdruck. Wo müssen Ihrer Ansicht nach jetzt Prioritäten gesetzt werden?
Tatsächlich können es sich weder Automobilfirmen noch Zulieferbetriebe gerade besonders gemütlich machen. Denn im Wettbewerb um die fähigsten Software-Entwickler:innen oder Big-Data-Spezialisten und -Spezialistinnen stehen sie mit Größen wie Tesla oder auch Apple im Ring. Diese Marktgiganten verfügen schon heute über große Forschungs- und Entwicklungszentren und rollen Top-Talenten den roten Teppich aus. Hier könnten die hiesigen Firmen, die dringend das notwendige Knowhow für alternative Elektroantriebe und Car Connectivity benötigen, deutlich mehr Entschlossenheit beim Anwerben externer Fachkräfte für innovative Projekte an den Tag legen.

 

Sie meinen, die Ansprache von Top-Talenten sollte verbessert werden?
Ja genau. Dabei verlangt niemand, dass sich ein traditionsreicher Automobilkonzern über Nacht zum hippen Tech-Player wandelt. Vielmehr geht es darum, den potentiellen Kandidaten und Kandidatinnen die Projekte, für die sie eingesetzt werden sollen, möglichst attraktiv zu machen. Das geht nur, wenn sie gedanklich die Perspektive der Bewerber:innen einnehmen. Die High-Potentials im Technologie-Umfeld achten heute vor allem darauf, ob der Purpose für sie stimmt, sie in einem möglichst agilen Teamumfeld eingesetzt werden und wie fortschrittlich das Projekt ist, für das sie angeheuert werden. Anders ausgedrückt: Die Candidate Experience muss für sie stimmen.


Wie und vor allem wo findet man diese externe Expertise?
Eine aussichtsreiche Lösung wäre beispielsweise die Rekrutierung fähiger Fachkräfte aus dem Ausland, wie beispielsweise im osteuropäischen Raum. Diese Regionen können lohnenswerte Rekrutierungsziele sein, denn hier sind die beschriebenen Fachkräfte noch verfügbar. Zudem haben wir es dort ebenfalls mit fähigen freiberuflich Tätigen zu tun, die es gewohnt sind, agil in internationalen Teams zu arbeiten. Viele von ihnen bringen eine Start-up-Mentalität mit und wollen Teil von möglichst abgefahrenen Initiativen sein. Und das ist keineswegs illusorisch. Denn die Corona-Zeit hat ja bereits gezeigt, dass die Zusammenarbeit länderübergreifender Scrum Teams, realisierbar ist.  

 

Wie relevant ist in diesem Kontext der Mixed-Teams-Ansatz?
Gerade vor dem Hintergrund, dass interne Mitarbeitende das spezielle Knowhow nicht vorhalten und häufig viele Projekte parallel angeschoben werden, sind Freiberufler:innen ein fester Bestandteil der agilen Teams. Ohnehin erhält die Einbindung externer Spezialisten und Spezialistinnen laut einer aktuellen IT-Freiberuflerstudie unter Hays‘ Beteiligung eine immer größere Bedeutung in den Organisationen. Bei der konkreten Besetzung einer solchen Mixed Workforce sehen wir allerdings noch viel Luft nach oben. Firmen sollten sich für diese Rekrutierungsoption stärker öffnen, bevor die begehrten Talente tatsächlich zu den US-Konzernen abwandern.


Welche Kompetenzen sind denn konkret auf dem Weg zum „Smartphone auf Rädern“ gefragt? Und welche Skills und Bereiche nehmen in der Priorität tendenziell eher ab?
Insbesondere Fachkräfte mit Softwarekenntnissen stehen hoch im Kurs. Das sind beispielsweise UX/UI-Spezialisten und -Spezialistinnen, Web-App-Entwickler:innen, aber auch Cyber-Security-Experten und -Expertinnen oder Embedded-Software-Entwickler:innen. Was die Elektromobilität anbelangt, gibt es ebenfalls eine sehr hohe Nachfrage nach Externen mit entsprechender Expertise – und zwar wenn es beispielsweise um das Batteriemanagement oder die Elektro-Antriebe geht. Hier werden Fachkräfte mit Spezialisierung auf KI oder Cloud-Anwendungen gesucht. Im Bereich der Antriebs- und Fahrwerk-Expertise oder auch bei den klassischen Konstrukteuren und Konstrukteurinnen gibt es eher Überkapazitäten, daher ist die Nachfrage nach Mitarbeitenden mit dieser Expertise eher rückläufig.


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