Fachkräftenot: Ohne neue Zielgruppen geht es nicht

Wenn sich die Eckwerte im Bewerbermarkt ändern und +es mit klassischem Recruitment allein nicht mehr getan ist.

Dirk Hahn, CEO von Hays Deutschland  & CEMEA
Dirk Hahn, CEO von Hays Deutschland & CEMEA
Hays Beitrag

Herr Hahn, gäbe es nicht die Energiekrise, würde der Fachkräftemangel das beherrschende Thema in der Wirtschaft sein. Wie erleben Sie den Markt für Fach- und Führungskräfte aktuell?
Im Vergleich von vor einigen Jahren, wo die Personalnot lediglich für IT-Fachkräfte galt, haben wir es heute mit einer flächendeckenden Knappheit an Arbeitskräften zu tun, und zwar vom Blue bis zum White Collar Worker. Der Fachkräftemangel hat heute eine ganz andere Qualität, weil er unmittelbare Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung sowie auch auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen hat. Unser quartalsweise erhobener Fachkräfte-Index weist seit dem dritten Quartal 2020 branchenübergreifend einen regelrechten Run auf nahezu alle Positionen aus. Das gab es seit der Ersterhebung im Jahr 2015 nicht. Laut ifo-Institut ist bereits jedes zweite Unternehmen vom anhaltenden Personalmangel betroffen. Dabei ziehen sich die Vakanzen bis in die Führungsetagen durch.

Glauben Sie, die Nachwuchskräfte haben keine Lust mehr auf den Chefsessel?
Das kann man nicht so pauschal sagen. Dennoch lassen einschlägige Studien den Rückschluss zu, dass die Boomer in der Rush-Hour ihres Arbeitslebens noch vergleichsweise begeistert nach dem Führungsjob gegriffen haben. Denn sie haben damit vor allem Status und Macht assoziiert. Sprechen wir über die Führungsaufgaben heute, brauchen wir ein neues Narrativ. Zwar wollen auch Millenials und die Generation Z gut Geld verdienen. Darüber hinaus sind ihnen aber Flexibilität, Wertschätzung, Leistungen im Team sowie Diversität mindestens ebenso wichtig.

Inwieweit spielt Diversität für die Bindung und Förderung der Fachkräfte eine tragende Rolle?
Hier geht es in erster Linie um die Vielfalt im Denken und Handeln von Führungskräften. Schauen wir auf die Nachwuchskräfte im MINT-Bereich. Seit Jahren wird hier fleißig nach Schema F rekrutiert und dabei ganz nebenbei eine Monokultur ausschließlich männlicher Kandidaten herangezogen. Jungen Frauen fehlen hier seit Jahrzehnten die Vorbilder mit der Folge, dass sie sich langfristig gegen dieses Berufsbild entschieden haben. Diese Versäumnisse fallen uns heute auf die Füße, denn uns fehlen die fähigen Frauen, die die Ingenieur-Teams bereichern und produktiver machen.

Um welche fähigen Köpfe sollte sich der Arbeitsmarkt aktuell noch stärker bemühen, die vielleicht bisher eher vernachlässigt wurden?
Für uns als Personalberatungsunternehmen ist das ein immanent wichtiger Punkt. Denn um dem Fachkräftemangel auch nur in Teilen entgegenwirken zu können, müssen wir uns um neue Zielgruppen bemühen. Beispielsweise können wir stärker das Know-how der Best Ager nutzen, den Müttern und Vätern nach ihrer Elternzeit eine lohnenswerte Jobperspektive jenseits der Teilzeit bieten und natürlich Fachkräfte aus dem europäischen Ausland ansprechen. An allen drei Punkten arbeiten wir bereits.

Also mehr als das klassische Recruitment?
Ja, das ist richtig, denn vor dem Hintergrund knapper Personal-Ressourcen einerseits und einer rasanten Veränderungsgeschwindigkeit andererseits, reicht das reine Vermittlungsgeschäft nicht mehr aus. Die Kunden erwarten von uns heute nicht nur die dringend benötigten Kompetenzen zu rekrutieren, sondern diese ebenfalls aufzubauen. Mit anderen Worten: Der punktuelle Job-Match ist dem Aufbau einer strukturellen Umsetzungskompetenz gewichen. Wir werden heute beispielsweise weniger nach einzelnen Talenten, sondern immer mehr nach umfassenden Personallösungen gefragt. Das sehen wir bereits in Bereichen wie ESG, Diversity oder Compliance Sourcing. 

Hays

Dafür brauchen Sie selbst auch weiteres Personal, richtig? Wie wirkt sich die Knappheit auf Ihr Geschäft aus?
Wir sind als etablierter Personaldienstleister in den Bereichen IT und auch Ingenieurswesen nah am Markt und können entsprechend schnell auf Veränderungen reagieren. Dennoch ist es auch für uns als Dienstleister herausfordernd, neues Personal zu gewinnen. Ein sehr dankbarer Ansatz ist hier die Gewinnung von Mitarbeitenden über Empfehlungen und auch Menschen, die schon einmal bei uns beschäftigt waren, kehren als „Bumerang-Mitarbeitende“ wieder zurück. Ein schöner Beleg für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung.

Hays tritt seit kurzem mit einem neuen Markenversprechen an. Was hat es damit auf sich?
Zum einen gibt es das neue Claim „Working for your tomorrow“. Es beschreibt sehr gut, wohin wir uns bis heute entwickelt haben und künftig entwickeln werden. Wir arbeiten daran, die Herausforderungen der Zukunft zu lösen, gemeinsam mit unseren Kunden sowie den Fach- und Führungskräften. Zwei Beispiele für Lösungen, die wir unseren Kunden anbieten: Als Spezialist für Personalberatung können wir Recruiting-Prozesse unserer Kunden optimieren, da wir sie sehr gut kennen und dafür intern das Know-how haben. Recruitment hat heute eine sehr strategische Bedeutung. Darüber hinaus können wir  als Managed Service Partner das gesamte Personalmanagement bündeln. Das freut den Kunden, der sich jetzt nicht mehr um einzelne Kompetenzen sorgen muss, sondern auf unsere ganzheitliche Beratung zurückgreifen kann. Kurzum: weniger Komplexität und Insellösungen und mehr Effizienz und Planungssicherheit für das gesamte Personalmanagement.

Warum haben Sie sich gerade jetzt für eine Neupositionierung entschieden?
Wir merken, dass die Vorstellungen der potenziellen Kandidaten zu beruflichen Perspektiven und die Angebote seitens der Unternehmen in vielen Fällen nicht mehr zusammenpassen. Das hat vielschichtige Gründe wie beispielsweise andere Erwerbsbiographien, ein neues Wertesystem, der demographische Wandel. Hier braucht die Personalberatungsbranche eine strukturelle Umorientierung. Wir fangen damit jetzt an, indem wir die starke Ausdifferenzierung unserer Services nun zu einem holistischen Beratungsansatz zusammenführen. Dieser soll einfach, klar und verständlich für alle Kunden und Kandidaten sein und sie in ihren jeweiligen Arbeitsrealitäten adressieren.

Hays versteht sich heute als Personalberatungsunternehmen, das seinen Kunden genauso wie den Fachkräften als starker Umsetzungspartner zur Seite steht. Wir beraten und unterstützen unsere Partner dauerhaft, denn Erfolg ist immer ein Teamergebnis. Für uns war schnell klar, dass wir neue Wege einschlagen müssen, da sich die Eckwerte auf dem Markt verändert haben.

www.hays.de

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