In der Fertigungshalle einer Automobilfabrik. Ein Mitarbeiter steht mitten auf der Transportstraße, auf der alle möglichen Fahrzeuge vorbeirauschen: Gabelstapler, Zugverbände, Radfahrende. Und fahrerlose Transportfahrzeuge, so genannte FTF. Um deren Reaktionsfähigkeit zu demonstrieren, stellt der Mann seinen Fuß direkt vor eines dieser Fahrzeuge, das eine Palette mit Frontscheiben für Autos transportiert. Sofort bremst es ab und kommt zum Stehen. Das Fahrzeug hatte zuvor den Mann in der Nähe bereits bemerkt und seine Geschwindigkeit stark verringert.
Automobilfabriken in Deutschland gehören zu den wohl modernsten großindustriellen Fertigungsanlagen, die es derzeit gibt. Der Automatisierungsgrad ist hoch, die Organisation ist vorbildlich. Der Grad der Vernetzung entspricht dem, was mit der Digitalisierung der Fertigung als „Industrie 4.0“ zum Standard erklärt wurde. Dazu gehören auch die vernetzten fahrerlosen Transportfahrzeuge FTF oder auch -systeme, kurz FTS. Im öffentlichen Straßenverkehr sind noch keine autonomen Fahrzeuge zugelassen. Aus Produktions- und Montagebetrieben sind sie nicht mehr wegzudenken. Zwar gibt es automatisierte Transportsysteme in Betrieben schon seit fast 30 Jahren. Aber mit der Digitalisierung, Vernetzung und modernen Sensorik steigt deren Autonomiegrad stark an. Interaktionen mit anderen Fahrzeugen und Menschen nehmen zu. Darunter sind die unterschiedlichsten Fahrzeugtypen, etwa automatisierte Schlepper, Hochhubwagen, Gegengewichts-Hochhubwagen, Schubmaststapler und Schmalgangstapler. Für Transporte über kurze und mittlere Strecken in beengten Verhältnissen gelten automatisierte Plattformfahrzeuge als eine gute Wahl.
In diesem Werk sind etwa 30 FTF im Einsatz, die in der Montagehalle für die Intralogistik zuständig sind. Sie transportieren Einzelteile vom Umschlagbahnhof in die verschiedenen Abteilungen. Die FTF bewegen sich vollautonom, ohne Führung oder Drähte im Hallenboden. Stattdessen nutzen sie Sensoren und Scansysteme zur Navigation, erkennen ihre Umgebung und umfahren geschickt Hindernisse. Sobald die Leitstelle einen Transportauftrag vergibt, übernimmt ihn das nächste verfügbare FTF. Es befindet sich entweder bereits im Umschlagbahnhof oder fährt ihn jetzt an. Dort nimmt es die dort abgestellte Ladung auf.
Während des Vorgangs wird über Induktionsspulen im Boden der Haltebucht die Batterie des FTF geladen, sodass keine weiteren Ladestopps nötig sind. Der Umschlagbahnhof ist ein Bereich, zu dem nur berechtigte Personen Zugang haben. Große Warnschilder links und rechts sowie eine Markierung auf dem Hallenboden weisen darauf hin, dass der Zugang zum Bereich verboten ist.
Das FTF, das der Mitarbeitende mit seinem Fuß gestoppt hatte, nimmt seine Fahrt durch die Fabrikhallen wieder auf. Unbeirrt steuert es durch die Fabrik, wechselt von der Anlieferungshalle in die Fertigung. Hier stehen in abgetrennten Bereichen große Montageroboter, deren grell orangefarbene Arme schnelle Bewegungen ausführen. Das FTF mit den Frontscheiben hält vor einem Garagentor. Das Rollo fährt automatisch hoch. Das FTF fährt ein, das Rollo senkt sich wieder. Durch eine Glasscheibe ist zu sehen, dass ein zweites Rollo sich hebt. Dahinter ist der ganze Roboter zu sehen. Und ein halbfertiges Auto, das langsam vorbeirollt. Das FTF fährt vor. Mit beherztem Griff schnappt sich der Roboter eine der Glasscheiben und hält sie vor den Ausschnitt am Fahrzeug. Ein zweiter Roboterarm zieht eine Bahn Klebstoff einmal herum. Fertig. Das nächste Fahrzeug rollt heran. Ist das FTF leer, rollt es zurück zum Umschlagbahnhof.
»In naher Zukunft wird wohl das gesamte Fließband mobil und autonom werden.«
Zusätzlich gibt es automatisiert fahrende Plattformen für den Transport fertiger Fahrzeuge in der Endmontage, die sich meist auf eigenen Fahrspuren bewegen, aber ebenfalls über Hinderniserkennungssysteme verfügen. Die FTF kommunizieren untereinander und mit der Leitstelle. Ausgestattet mit Kameras und zahlreichen Sensoren scannen sie ständig die Umgebung, vergleichen sie mit einer virtuellen Karte der Montagehallen und erkennen selbstständig Hindernisse. Sie passen ihre Geschwindigkeit an und stoppen bei Kollisionsgefahr. Für Notfälle verfügen sie über einen gut sichtbaren Notabschaltknopf.Im Werk decken die FTF verschiedene Betriebsbereiche ab: öffentlich zugängliche Bereiche, abgeschlossene Bereiche mit begrenztem Zugang und abgeschlossene Bereiche ohne Zutritt.
In öffentlich zugänglichen Bereichen gelten ähnliche Regeln wie im Straßenverkehr. Abgetrennte Wege für Fußgänger sind farblich markiert. In Bereiche mit begrenztem Zugang, wie dem Umschlagbahnhof, dürfen nur berechtigte Personen eintreten. Warnschilder und Bodenmarkierungen weisen darauf hin.
Als es darum ging, die FTF im Werk einzuführen, war Sicherheit ein großes Thema unter den Beschäftigten. Deren Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit der Sensoren und technischen Systeme konnten ausgeräumt werden. Seit der Einführung der FTF haben sich sowohl Transportschäden als auch Unfälle im Vergleich zum manuellen Transport mit Gabelstaplern verringert. Radfahrende sollen die FTF, die mit maximal 6 Stundenkilometer unterwegs sind, in den Hallen möglichst nicht überholen. Sie könnten zum einen in den Gegenverkehr geraten. Zum anderen sind die FTF konzeptuell so ausgelegt, dass sie jedem Konflikt ausweichen und nötigenfalls zum Stillstand kommen. Würden sich viele dieser Situationen ergeben, würde der gesamte Produktionsprozess im Werk verlangsamt werden.
Die dynamische Entwicklung der automatisierten Fertigung birgt zukünftige Herausforderungen. Agile Methoden ermöglichen es vernetzten Systemen, auf Basis selbstlernender Algorithmen die effizienteste Produktionsweise zu ermitteln. In naher Zukunft wird wohl das gesamte Fließband mobil und autonom werden. Menschenleer wird die Fabrik zwar dann immer noch nicht sein. Aber es ist abzusehen, dass die Tätigkeit der wenigen Menschen in der Fabrik eher in Richtung Planung, Überwachung, Problemlösung gehen wird. Fahrerinnen und Fahrer, Lagerarbeitende und Monteure wird es dann nur noch in spezialisierten Bereichen geben.