Vermeiden, wiederverwenden, recyceln!

Nachhaltige Produkte liegen im Trend – dazu gehören auch die Verpackungen. Viele Unternehmen entwickeln Alternativen zu den ressourcenintensiven Materialien. Aber können die das anhaltende Wachstum der Müllberge bremsen?
Illustration: Daniel Balzer
Axel Novak Redaktion

Im vergangenen Jahr fand der Earth Overshoot Day am 29. Juli statt. Kein Grund zum Feiern, denn bis zu diesem Tag hat die Menschheit im Jahr 2019 so viele Ressourcen verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr erneuern kann. Der Sportartikelhersteller Nike steuert dagegen: Die Oberflächen der neuen Sportschuhe Space Hippie bestehen zu mindestens 85 Prozent aus recycelten Plastikflaschen, T-Shirts oder Stofffetzen. Die Überlegung der Nike-Designer: Man muss sich mit dem begnügen, was der Planet zur Verfügung stellt.


Tatsächlich liegen nachhaltige Produkte im Trend. Recycling und Wiederverwertung werden wichtiger. Kreislaufwirtschaftssysteme sollen helfen, umweltschonend zu produzieren und den Einsatz von Energie und anderen Ressourcen zu minimieren. Sogar, wenn das fertige Produkt zum Kunden soll, solle das heute möglichst ökologisch vonstatten gehen – mittels „Green Logistics”.


 Bei den Verpackungen gilt dasselbe: Die meisten Konsumenten erwarten, dass so wenig Verpackungsmüll wie möglich entsteht. Mehr als drei von vier Deutschen wollen nur Produkte kaufen, für die möglichst wenig Verpackungsmaterial verwendet wird. Das haben die Marktforscher von Ipsos 2019 herausgefunden, als sie Verbraucher in 28 Ländern für die Studie „Eine Wegwerf-Welt – die Herausforderung von Plastikverpackungen und Müll“ befragten.

 

Trend zur Nachhaltigkeit

 

Fachleute bestätigen die Entwicklung. „Das Streben nach ökologisch nachhaltigen, zugleich schützenden und praktikablen Verpackungslösungen wird Handel, Konsumgüter- und Verpackungsindustrie auch in 2020 weiterhin entscheidend prägen“, sagt Hilka Bergmann, die den Forschungsbereich Verpackung und Versand beim EHI-Institut des Einzelhandels leitet. „Für Kunststoff-Verpackungen werden aktuell vermehrt alternative Lösungen oder besser recyclingfähige Materialien eingesetzt.“


Doch die Abfallberge wachsen weiterhin. Insgesamt 18,7 Millionen Tonnen Verpackungsabfall fielen 2017 in Deutschland an, drei Prozent mehr als im Vorjahr, so das Umweltbundesamt (UBA). Nur knapp 70 Prozent vom gesamten Verpackungsabfallaufkommen werden bisher wiederverwertet. Der Rest wird verbrannt.


„Wir müssen Abfälle vermeiden, möglichst schon in der Produktionsphase. Auf unnötige und unnötig materialintensive Verpackungen sollte deshalb verzichtet werden“, sagt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. „Häufig sieht man aber das Gegenteil, und selbst die Zahnpastatube ist nochmal verpackt. Wir brauchen viel mehr Mehrweg, nicht nur bei Sprudel und Bier.“

 

Hohe Ansprüche in der Lebensmittelindustrie

 

Doch Trends wie die Digitalisierung, die Individualisierung und der demografische Wandel verändern den Markt. Kleine Losgrößen und neue, verbrauchernahe Verpackungen sind gefragt, etwa Standbodenbeutel, Schutzgasverpackungen, smarte Verpackungen, Hochbarrierefolien oder regalfertige Verpackungen.


In der produzierenden Industrie mag es einfacher sein, nachhaltige Verpackungen zu realisieren, weil sie nicht den Vorgaben des Marketing unterworfen sein müssen. So transportieren in der Autoindustrie Zulieferer zwischen Fabriken die Bauteile der Karossen meist eher diskret als plakativ mit schrillem Aufdruck.  


Auch werden mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Waren in Deutschland beim Transport durch eine Verpackung aus Wellpappe geschützt. Für Verpackungen auf Papierbasis aber besteht ein ausgefeiltes, erprobtes und allgemein akzeptiertes Sammel- und Sortiersystem. Gebrauchte Transportverpackungen aus Wellpappe werden nahezu vollständig wiederverwertet, so der Verband der Wellpapphersteller.


Tatsächlich ist Wellpappe leicht, recycelbar und ausgesprochen robust. Aber eines kann das Material (noch) zu wenig: Lebensmittel vor äußeren Einflüssen bewahren. Fast zwei Drittel der Verpackungen aber, die in Deutschland im privaten Abfall landen, umhüllten zuvor Nahrungsmittel, Getränke oder Tierfutter. In der Lebensmittelbranche hat die Verpackung mehrere Aufgaben: Sie soll das Produkt frischhalten und appetitlich präsentieren – und erfüllt damit den wohl nachhaltigsten Zweck. Denn: Kauft kein Kunde, sind sowohl Herstellung als auch aufwändige Lieferkette für die Katz.


Besonders in diesem Bereich werden daher meist neue Verpackungen eingesetzt, allein aus hygienischen und Sicherheitsgründen. Auch muss der Übergang von Stoffen aus der Verpackung in das Produkt verhindert werden. Noch aber fehlen Standards, um Verpackungen von Kosmetik, Wasch-, Putz- oder Reinigungsmitteln so zu recyceln, dass sie für Lebensmittel verwenden werden können.

 

Nachhaltig: Erntereste oder Stroh

 

Dabei zeichnen sich langsam neue Lösungen ab. Seit 2015 beispielsweise forscht die Carlsberg Gruppe an der „Green Fibre Bottle“, der weltweit ersten „Papier“-Bierflasche aus nachhaltig gewonnenen Holzfasern, die vollständig biobasiert und recycelbar ist. im Oktober 2019 präsentierte Carlsberg Prototypen zweier Flaschen, die eine dünne Folie aus recyceltem Kunststoff enthielt. Ziel der weltweit drittgrößten Brauerei ist es, eine vollständig biobasierte Flasche ohne Kunststoffe zu entwickeln. Die Auswirkungen einer solchen Umstellung wären gewaltig: Carlsberg verkauft nach eigenen Angaben 114 Millionen Flaschen Bier – am Tag.


Viele Handels- und Industrieunternehmen forschen an neuen Materialen, um mit nachhaltigen Verpackungen zu punkten. Neue Ansätze bietet das Start-up Skipping Rock Labs. Die Entwickler aus London haben 2017 eine ungewöhnliche Alternative zur Flasche geschaffen: Wasserblasen in einer essbaren Algenmembran-Kugel. Wer Durst hat, saugt die Kugel aus und isst die Membran danach einfach mit auf.


Etwas weiter geht das Hamburger Start-up Bio-Lutions. Wo geerntet wird, fallen auch Reste an – sagen sich die Hamburger und stellen aus diesem Material Verpackungen her. Bananenstämme, Tomatenpflanzen, Reis- und Weizenstroh oder Ananassträucher werden getrocknet, dann zerkleinert und mit Wasser zu Faserbrei verarbeitet, der in verschiedene Formen gepresst wird. Sogar die Frischhaltefolie aus Polyethylen könnte überflüssig werden:  US-Forscher haben ein Milch-Protein in essbare Folie verwandelt. Wer es bodenständiger mag: Das schwäbische Start-up Little Bee Fresh hat aus Bienenwachs, Baumwolle und Harz eine grüne Alternative entwickelt.


Und das Münchner Unternehmen Landpack hat eine umweltfreundliche Dämm-Alternative zum Styropor gefunden: Stroh wird mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gereinigt und in Form gebracht. Noch nachhaltiger geht es kaum. „Das Aufmachen der Verpackung sollte Freude bereiten“, sagte Landpack-Gründerin Patricia Eschenlohr kürzlich in einem Interview. Laut Landpack seien vier von fünf der Kunden bereit, für wirklich nachhaltige Verpackungen mehr Geld zu zahlen.


Doch die Müllberge aus Verpackungen wachsen weiter. Der Alltag mit seinen Tücken hat uns im Griff: Wer Kisten schleppt, kauft lieber leichteres Plastik statt Glas. Plastik ist ja schließlich auch besser zu transportieren und hat einen niedrigeren CO2-Fußabdruck, wenn das Mineralwasser aus dem Süden der Republik per Lastwagen zum Kunden nach Hamburg gelangt.


Auch haben sich die Alternativen am Markt noch nicht so richtig etablieren können. Kunststoffe sind dank des niedrigen Erdölpreises heute billig. Auch warnen Experten davor, dass biobasierte Kunststoffe zur Konkurrenz für Lebensmittel werden könnten. Und schließlich stellen Biokunststoffe die städtischen Entsorger vor Probleme: In den industriellen Kompostieranlagen gibt es häufig keine Möglichkeit, die Biokunststoffe ausreichend lange biologisch zersetzen zu lassen. Da bleibt häufig nur die thermische Verwertung in der Müllverbrennungsanlage.

 

Höhere Recyclingquoten

 

Außerdem reichen neue Materialien bei Einwegverpackungen bei weitem nicht aus, um wirklich nachhaltiger zu wirtschaften. Mehrwegverpackungen sind besser, weniger Verpackungsmaterial sinnvoll – und da kommt es darauf an, Verpackungen weniger aufwändig zu gestalten und gleichzeitig das Recycling mit zu planen.


Dafür ist seit dem 1. Januar 2019 das neue Verpackungsgesetz in Kraft. Es schreibt vor, dass sich bereits bei der Konzeption der Verpackung derjenige um die Vermeidung und um die umweltgerechte Gestaltung der Verpackung Gedanken machen muss, der Verpackungen mit Produkten befüllt.


Dafür gibt es nun ein öffentliches Verpackungsregister, das alle Unternehmen erfasst, die Verpackungen in den Verkehr bringen. Außerdem müssen Verpackungen viel stärker als bisher recycelt werden: Nun sollen ab 2022 Kunststoffverpackungen zu mindestens 63 Prozent und Aluminium zu 90 Prozent verwertet werden.


Der Bedarf an Recyclaten ist hoch, nicht nur in der Lebensmittelindustrie: Aus elf alten PET-Flaschen werden bei Adidas ein neues Paar Schuhe. Nike macht aus 12 Flaschen schicke Fussballtrikots. Und was dann noch anfällt an Abfall, das kann als
Ressource für den Bedarf von morgen dienen.

Technologie
Dezember 2023
Illustration: Chiara Lanzieri
Redaktion

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