Die Realität in vielen Unternehmen sieht anders aus. KI wird im Alltag durchaus genutzt – oft ganz beiläufig. Ob mit ChatGPT zur schnellen Texterstellung oder durch Microsoft Copilot, der E-Mails automatisiert formuliert – solche Anwendungen vermitteln das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein. Doch verändern sie wirklich die Art, wie ein Unternehmen arbeitet, produziert oder verkauft? Wohl kaum. Die eigentliche Herausforderung liegt tiefer: Wie wird KI vom netten Gimmick zum echten Business-Faktor? Und ist sie für kleinere und mittlere Unternehmen ein Heilsbringer – oder doch eher ein Fass ohne Boden?
Ein differenzierter Blick zeigt: Manche Mittelständler profitieren bereits massiv von KI – andere hingegen haben sich mit schlecht vorbereiteten Projekten gründlich verspekuliert. Entscheidend ist, zu verstehen, wann Künstliche Intelligenz echten Mehrwert bietet – und wann sie mehr verspricht, als sie halten kann.
Ein gutes Beispiel für den sinnvollen Einsatz liefert ein grosser Automobilzulieferer wie ZF Friedrichshafen. Dort wurde ein KI-System zur Qualitätskontrolle eingeführt, das Getriebeteile auf feinste Risse untersucht. Die Resultate sind beeindruckend: weniger Ausschuss, höhere Produktqualität, und das rund um die Uhr. Auch beim Versandhändler Otto ist KI mehr als nur ein PR-Schlagwort. Ein System analysiert Bestellmuster und sagt voraus, welche Artikel mit hoher Wahrscheinlichkeit retourniert werden. Dadurch kann das Angebot gezielter gestaltet und die Retourenquote deutlich gesenkt werden. Beim Maschinenbauer Trumpf verhindert KI ungeplante Stillstände. Predictive-Maintenance-Algorithmen erkennen frühzeitig, wann Wartung nötig wird – das spart Zeit und Geld.
All diese Beispiele zeigen, dass KI enorme Effizienzgewinne bringen kann – wenn sie auf ein konkretes Problem trifft, das sich automatisieren oder verbessern lässt. Doch diese Erfolgsgeschichten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch viele Fehlschläge gibt. Ein Logistikunternehmen etwa führte eine KI zur automatisierten Schichtplanung ein. Ziel war es, die Effizienz zu steigern – doch der Schuss ging nach hinten los. Die KI verteilte Überstunden ungleichmäßig, ignorierte persönliche Bedürfnisse und sorgte so für Unmut unter den Mitarbeitenden. Die Folge: steigende Krankmeldungen und die rasche Rücknahme des Systems. In einem anderen Fall wollte ein mittelständischer Online-Händler den Kundenservice mithilfe eines Chatbots automatisieren. Doch das KI-System konnte komplexe Fragen nicht beantworten und verwies ständig auf eine wenig hilfreiche FAQ-Seite. Kunden waren frustriert, der Aufwand im Support stieg – und das eigentliche Ziel, die Entlastung der Hotline, wurde klar verfehlt. Auch technische Herausforderungen führen regelmässig zum Scheitern. Ein Maschinenbauer investierte viel Geld in ein KI-gestütztes System zur Lageroptimierung. Doch die historische Datenbasis war unvollständig, inkonsistent und kaum brauchbar. Die Algorithmen fanden keine verwertbaren Muster – nach zwei Jahren wurde das Projekt kommentarlos eingestellt.
»Künstliche Intelligenz entfaltet ihr Potenzial nur dann, wenn sie strategisch eingeführt wird, auf eine gute Datenbasis zurückgreifen kann und von den Mitarbeitenden mitgetragen wird.«
Diese Beispiele zeigen: Künstliche Intelligenz ist kein Selbstläufer. Sie entfaltet ihr Potenzial nur dann, wenn sie strategisch eingeführt wird, auf eine gute Datenbasis zurückgreifen kann und von den Mitarbeitenden mitgetragen wird. Gerade im Mittelstand sollte KI nicht als Allzweckwaffe verstanden werden, sondern als präzises Werkzeug – dann kann sie Prozesse verbessern, Kosten senken und Wettbewerbsvorteile schaffen. Wer hingegen glaubt, mit einer KI-Anwendung lasse sich über Nacht die digitale Transformation erzwingen, wird ernüchtert zurückbleiben.
Mittelständische Unternehmen sind deshalb gut beraten, nüchtern und pragmatisch an das Thema heranzugehen.
Nicht alles, was sich KI nennt, ist sinnvoll. Nicht jede Aufgabe braucht ein neuronales Netz – manchmal reicht tatsächlich eine sauber gepflegte Excel-Tabelle. Aber dort, wo echte Prozessverbesserungen möglich sind, wo repetitive Aufgaben automatisiert werden können oder Entscheidungen datenbasiert getroffen werden, lohnt es sich, KI gezielt einzusetzen.
Ob Künstliche Intelligenz für den Mittelstand zum Fluch oder zum Segen wird, hängt letztlich nicht von der Technologie selbst ab, sondern von der Art, wie sie eingesetzt wird. Die Chancen sind groß – die Risiken ebenso. Die gute Nachricht: Unternehmen können diese Entwicklung aktiv gestalten. Die Frage ist nicht mehr, ob KI kommt, sondern nur noch, wer sie am besten für sich nutzt.
ÜBER DEN AUTOR
BENNO LEUENBERGER ist ein langjähriger Fachexperte in den Bereichen Digitalisierung, digitale Transformation, Cyber Security und nachhaltige Unternehmensführung. Als Speaker auf internationalen Konferenzen inspiriert er Entscheiderinnen und Entscheider gleichermaßen und begleitet Unternehmen auf ihrem Weg in die Zukunft. Mit seiner strategischen Beratung unterstützt er KMU, Start-ups und Großunternehmen dabei, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Seine neueste Publikation heißt „Digitalisierung in KMU – Jetzt den Wandel meistern!“