RAFAEL LAGUNA DE LA VERA ist Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovation SPRIND. Mit 16 gründete er sein erstes Start-up, Elephant Software. Er baute zahlreiche weitere Technologie-Unternehmen auf und arbeitete als Technologie-Investor, Interim Manager und Berater für Venture Capital Fonds.
Herr Laguna de la Vera, die Bundesregierung hat laut ZEW ihre Ausgaben für die Digitalisierung massiv gesteigert – von 9,6 Milliarden Euro 2019 auf 20,5 Milliarden Euro im Jahr 2023. Was hemmt noch die Digitalisierung in Deutschland?
Es gibt sehr viele kleine Themen, die Innovationen behindern. Es sind nicht so sehr einzelne Dinge, sondern eine Summe von Hindernissen, die wir überwinden müssen, um zum Beispiel eine digitale Innovation auf den Markt zu bringen. Da ist die mangelnde Finanzierung von Innovationen – vor allem in der Spätphase bei der Skalierung. Und manchmal fehlt das richtige Ökosystem. Das sind vor allem im KI-Umfeld die fehlenden Rechenzentren, die man für die nächsten Innovationsschritte braucht, die in den USA von Hyperscalern wie Microsoft, Amazon, Google bereitgestellt werden.
Allein 16 Milliarden haben Bund und Länder 2023 für die Digitalisierung der Verwaltung ausgegeben. Wo wäre das Geld aus Ihrer Sicht sinnvoller eingesetzt?
Wir sollten die europäische Softwareindustrie stärken, indem wir beispielsweise bereits bei der Hälfte der öffentlichen Ausschreibungen festlegen, dass die Auftragnehmer Open-Source-Software verwenden müssen. Dieses Geld fließt dann in eine europäische digitale Industrie, die stark werden kann. Das würde ein paar Anbieter ausschalten, die bisher immer die Aufträge bekommen haben – und wir wären ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu digitaler Souveränität.
Gibt es bei SPRIND ein digitales Projekt, das Deutschland im Bereich Bürokratieabbau wirklich voranbringen würde?
Ja, das Projekt heißt Rulemapping. Das Projekt digitalisiert Gesetze und prüft sie auf logische Brüche. Gleichzeitig entstehen Anwendungsprogramme mit konkretem Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir verknüpfen dabei rechtliche Regeln mit KI. Diese digitalisiert Gesetze und Regeln in einem sogenannten Regelbaum. Rulemapping visualisiert und automatisiert komplexe Prozesse und kann konkrete Fragen sofort beantworten, zum Beispiel nach einem Gutachten für ein Bauprojekt. Wir unterstützen und finanzieren ein Team in Berlin, aus dem jetzt ein Start-up namens Rulemapping Group hervorgegangen ist. Rulemapping ist eine echte Disruption, die in diesem Jahr stattfindet. Die Rulemapping Group könnte das nächste SAP werden.
Wie sieht es mit Künstlicher Intelligenz aus? Kann Deutschland in diesem Bereich aufholen?
In Deutschland hat sich bei KI viel getan, die Grundlagenforschung ist schon sehr lange wegweisend. Es gibt sehr gute Universitäten und Studiengänge. Auch bei der Hardware tut sich viel. Beispielsweise entstehen rund um die TU Dresden im Silicon Saxony neue Chipfabriken. Zudem sehen wir Verbesserungen bei den Algorithmen, weil wir jetzt auch in Europa die Rechenleistung haben, um mit großen Datenmengen zu trainieren und zu skalieren.
Der chinesische Chatbot DeepSeek hat gezeigt, dass disruptive Techniken sehr schnell und unerwartet kommen können. DeepSeek soll der Konkurrenz aus den USA – etwa ChatGPT – zumindest ebenbürtig sein, dabei aber viel weniger Ressourcen und Energie verbrauchen. Was haben wir in petto?
Die Chinesen haben uns gezeigt, was bessere Algorithmen leisten können. Vor allem haben sie bewiesen, wie wenig Hardware sie brauchen. Das zerstört das Narrativ der Amerikaner, dass man quasi einen Graben um seine Burg zieht, indem man immer mehr Hardware baut. Ich bin mir nicht sicher, ob für uns Großfinanzierungen von KI-Rechenzentren auf Basis der heutigen Hardware-Architekturen sinnvoll sind. Da schicken wir Milliarden von Dollar einfach nur an die Chip-Hersteller nach Amerika. Wir könnten diesen Schritt einfach überspringen, indem wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen und weiter an neuen KI-Algorithmen und neuer KI-Hardware arbeiten. Hierzu haben wir bei SPRIND bereits drei Innovationswettbewerbe gestartet und wir werden weitere starten.
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Zukunft von KI?
Die Rechenzentren, die heute KI-Modelle trainieren und KI zur Verfügung stellen, benötigen enorm viel Strom, was aus ökologischer und ökonimischer Sicht ein Wahnsinn ist. Was wir also brauchen, sind neue Algorithmen mit neuer Hardware, die einfach anders rechnen und viel effizienter sind. Wie zum Beispiel in unserem Gehirn, wo jede Zelle gleichzeitig rechnen und speichern kann. Technisch heißt das In-Memory-Computing. Und dazu haben wir in Dresden zwei Projekte. Einmal die Firma Semron, die eine neuartige 3D-KI-Chiptechnologie entwickelt hat. Und die Firma TECHiFAB, die neue, neuromorphe Rechnerarchitekturen ermöglicht, indem sie elektronische Bauelemente mit Rechenund Speicherfähigkeit, sogenannte Memristoren, entwickelt. Wenn das funktioniert, wird das die KI revolutionieren. Das wäre ein gewaltiger Sprung und würde die riesigen Rechenzentren der Hyperscaler obsolet machen.
Vorbild der SPRIND ist die US-amerikanische Innovationsagentur DARPA. Diese verfügt über ein Budget von 4,4 Milliarden US-Dollar. Wie viel Budget steht Ihnen zur Verfügung?
Die DARPA wurde 1958 gegründet. Zahlreiche Sprunginnovationen wie das Internet und GPS wurden anfänglich von der DARPA mitfinanziert, bevor sie sich selbst wirtschaftlich tragen konnten. Der heutige Wohlstand der USA basiert zu einem großen Teil auf dieser Strategie. Das Budget der SPRIND ist in den ersten fünf Jahren auf nunmehr 250 Millionen Euro für 2025 gewachsen. Idealerweise bräuchten wir 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, um vergleichbar mit der DARPA arbeiten zu können. Ich sehe uns da auf einem guten Weg. Das Geld ist gut angelegt, denn wir werden eine gute Rendite erwirtschaften. Wenn in fünf Jahren ein Unicorn nach dem anderen entsteht, haben wir enorme volkswirtschaftliche Werte geschaffen, die in Form von Beteiligungsgewinnen der SPRIND und Steuereinnahmen bei den neuen Unternehmen wieder an die Bevölkerung zurückfließen.
Andererseits gehen viele kluge Köpfe heute in die USA, wenn sie ihre Erfindung weiterentwickeln wollen. Was kann Deutschland, was Europa dagegen setzen?
Wir haben in Deutschland in den letzten 80 Jahren kaum Sprunginnovationen hervorgebracht. Zudem sind viele unserer Technologien und Talente ins Ausland abgewandert, in die USA oder später nach Asien. Wir haben viel zu lange vom Wohlstand der Sprunginnovationen aus der Gründerzeit von 1871 gezehrt, als wir die Chemie-, Pharmazie-, Elektro- und Automobilindustrie begründet haben. Das wollen wir ändern. Deshalb sprechen wir heute von einer Gründerzeit 2.0.
Die USA sind nach dem Zweiten Weltkrieg sehr attraktiv geworden. Sie haben ein Kulturmodell geschaffen, das sehr optimistisch war – da wollten die klugen Köpfe hin. Aber das hat sich geändert. Die heutige Situation ist eine große Chance für Europa. Wir haben ein humanistisches Fundament, wir haben ein gutes Gesundheitssystem, wir haben ein tolles Bildungssystem. Wir können uns jetzt auf unsere Stärken konzentrieren. Seit den letzten Wahlen in den USA fragen uns viele Länder, wie wir Innovation fördern.
Dann wenden wir uns doch der Gretchenfrage zu: Wie erkennt man zukünftige Innovationen?
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Die schlechte Antwort lautet: Man kann Innovationen immer erst hinterher erkennen, wenn sie den Weg in die Welt geschafft haben. Die gute Antwort lautet: Was man erkennen kann, ist Innovationspotenzial. Bei SPRIND bewerten wir das Potenzial für Sprunginnovationen. Das sind Innovationen, die unser
Leben verändern, indem sie einen neuen Markt oder ein völlig neues Ökosystem schaffen oder ein großes Problem lösen. Bei uns kann sich jeder mit einem Projekt bewerben. Zudem schreiben wir Wettbewerbe aus, mit denen wir gezielt nach Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit suchen, sogenannte Challenges. Konkurrierende Teams mit unterschiedlichen Herangehensweisen arbeiten über mehrere Jahre an diesen Problemen. Wir legen die Meilensteine fest und stellen Mittel bereit. Und am Ende weiß man, welches der beste Lösungsweg war.