Sicherheit in unsicheren Zeiten

Krisen sind omnipräsent und führen dazu, dass Sicherheit zu einem wertvollen Gut wird, von dem Unternehmen wie Staaten möglichst viel wollen. Dazu braucht es nicht nur Investitionen, sondern ganz neue Fähigkeiten.

Illustration: Natascha Baumgärtner
Illustration: Natascha Baumgärtner
Julia Thiem Redaktion

Häufiger auftretende Naturgefahren durch den Klimawandel, globale Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie oder durch den Menschen verursachte Unfälle – in einer Welt zunehmender Unsicherheiten und häufiger Katastrophen wird es immer wichtiger, auf den Umgang mit Risiken und Krisen vorbereitet zu sein.“ Was sich liest wie das Intro eines Survival-Trainings, ist tatsächlich Werbung für einen neuen, interdisziplinären Masterstudiengang an der Montanuniversität Leoben in Österreich. „Safety and Disaster Management“ heißt der englischsprachige Studiengang, der „Risikomanager und Führungskräfte von morgen“ darauf vorbereiten soll, Risiken proaktiv zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. „Krisen und unerwartete Ereignisse sind keine Frage des Ob, sondern des Wann“, erklärt die Studiengangsverantwortliche Dr. Renate Renner. Und ihr Amtskollege Univ.-Prof. Dr. Harald Raupenstrauch ergänzt, dass es für Krisen zwar kein Universalrezept, aber dennoch Vorgehensweisen gebe, wie man sich in diesen Situationen einer Lösung nähert. „Solche Szenarien gibt es auch im Militär“, erklärt der Professor.

Dass der Führungsnachwuchs überhaupt für den Umgang mit Krisen ausgebildet werden muss, sagt viel über das Zeitgeschehen aus – ebenso wie die neu entfachte Diskussion um die Bundeswehr. 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland abgeschafft. 14 Jahre später verkündet der frisch gebackene Bundeskanzler Friedrich Merz in einer Rede im Bundestag, er wolle in Deutschland die „stärkste Armee Europas“ aufbauen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat auch bereits ein grobes Konzept, wie die neuen Nato-Ziele bei den Verteidigungsausgaben erreicht werden können – nämlich mit schrittweisen Erhöhungen über die kommenden fünf bis sieben Jahre um 0,2 Prozentpunkte pro Jahr. 

Wie das deutsche Heer personell aufgestockt werden kann, ist indes nicht ganz klar. Die Stimmen für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht mehren sich. Von der grünen Landtagsfraktion in Bayern kommt sogar der Vorschlag für einen „Freiheitsdienst“. Alle Frauen und Männer zwischen 18 und 67 Jahren wären damit zu einem sechsmonatigen Dienst verpflichtet – bei der Bundeswehr, im Bevölkerungsschutz, bei Feuerwehr oder Hilfsorganisationen. 
 

»Was wir derzeit erleben, ist ein Umbau innerhalb der Wirtschaft mit einem klaren Fokus auf Sicherheit.«


Sowohl die höheren Bundeswehrausgaben als auch der „Master of Disaster Management“ sind Versuche, in einer Welt, die von Angst, Unsicherheit und ja, Multi-Krisen gekennzeichnet ist, für ein neues Sicherheitsgefühl zu sorgen. Und auch ein Freiheitsdienst, wie ihn die Grünen in Bayern vorschlagen, kann – wenn er denn umgesetzt wird – dazu führen, dass die Menschen im Land jenes Rüstzeug an die Hand bekommen, welches sie im Fall der Fälle gut gebrauchen können. Und damit ist eben nicht nur der Verteidigungsfall gemeint, wie der flächendeckende Stromausfall in ganz Spanien und teilen Portugals Ende April gezeigt hat. Zwar wurden mittlerweile Störungen in drei Umspannwerken als Ursache ausgemacht. Wodurch sie verursacht wurden, ist bisher nicht klar. Die spanischen Ermittler schließen einen Cyberangriff zwar aus, alleine die Tatsache, dass es theoretisch einer gewesen sein könnte, zeigt jedoch, dass durch die zunehmende Digitalisierung ganz neue Bedrohungen und damit Krisen im Raum stehen. 

Das nehmen auch immer mehr Unternehmen war – und reagieren darauf. Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft IW zeigt, dass sich die Zahl der Online-Stellenanzeigen, in denen Cybersicherheitskompetenzen gefordert werden, zwischen 2019 und 2024 von 117.000 auf 203.000 deutlich erhöht hat. Beim IW schließt man daraus, dass Kompetenzen rund um digitale Sicherheit für eine funktionierende Wirtschaft und Verwaltung zentral geworden sind – und die lassen sich Unternehmen durchaus auch etwas kosten. Der Digitalverband Bitkom rechnet vor, dass die Ausgaben für IT-Sicherheitsmaßnahmen 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 13,8 Prozent auf 11,2 Milliarden Euro gestiegen sind. 

Was wir derzeit also erleben, ist nicht nur ein Umdenken, sondern auch ein Umbau innerhalb der Wirtschaft mit einem klaren Fokus auf Sicherheit. Das ist einerseits mit Chancen verbunden – eine Analyse der Unternehmensberatung EY im Auftrag der Dekabank hat ergeben, dass die jährliche Wertschöpfung bereits um 46 Milliarden Euro steigt, wenn die europäischen Nato-Partner ihre Verteidigungsausgaben von zwei auf drei Prozent des BIP erhöhen –, birgt aber natürlich auch Risiken. Der wohl größte Spagat ist gerade für Unternehmen, aber genauso auch für Staaten, einen gewissen Grad an Autarkie in einer vernetzten und von internationalen Lieferketten abhängigen Welt zu erreichen. Zwar können Unternehmen auf eine eigene Energieversorgung setzen, fällt jedoch der Strom beim Lieferanten am anderen Ende der Welt oder auch nur in Spanien aus, sind sie machtlos. 

Auch deshalb ist gerade wieder eine Art Rückbesinnung auf lokale Zusammenschlüsse zu beobachten, die derartige globale Abhängigkeiten reduzieren sollen. Die europäischen Aufrüstungspläne sind nur ein Beispiel dafür. Allerdings bedeuten zentrale Zugänge zu wichtigen Ressourcen natürlich auch Macht. Und so versuchen gerade Amerika und China sich diese Zugänge zu sichern. Ein Beispiel ist die Übernahme des Hannoveraner Sicherheitsanbieters Hornetsecurity durch den US-Konkurrenten Proofpoint. Der Kaufpreis wird mit über einer Milliarde Euro beziffert. Das ist einerseits erfreulich, hat Deutschland doch auch in puncto IT-Sicherheit „Einhörner“ zu bieten. Andererseits fürchten Sicherheitsexperten, eröffne sich hier ein neues Einfallstor mit Zugriff auf zahlreiche KMU-Daten für die USA. 

Kämpfe werden derzeit also an vielen Fronten geführt – und das nicht ausschließlich mit Waffen. Ob daraus ein neues Wettrüsten entsteht, ist derzeit noch nicht ganz abzusehen. In jedem Fall ist es wohl klug, sich im aktuellen Umfeld ein eigenes Rüstzeug zuzulegen und genau abzuwägen, welche Gefahren sich abwehren lassen und wo ein Restrisiko bleibt. Denn eine hundertprozentige Sicherheit, das dürfte auch klar sein, gibt es nicht. Und genau deshalb werden die Master of Safety and Disaster Management, die dann in den kommenden Jahren gut ausgebildet als Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt kommen, wohl sehr gefragt sein. Wissen sie doch, wie man dem Restrisiko im Ernstfall begegnen kann.
 

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