Der große Traum

Eine Impfung gegen alle Krebsarten, vergleichbar mit Impfungen gegen Grippe oder Hepatitis, ist noch Illusion. Doch inzwischen können Ärzte zielgerichtet mittels Impfung einzelne Tumorarten bekämpfen.
Illustration: Maria Corbi
Illustration: Maria Corbi
Andrea Hessler Beitrag

Rund 4,6 Millionen Menschen leben in Deutschland mit einer Krebsdiagnose. Das entspricht etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Besonders häufig sind Brustkrebs (22 Prozent), Prostatakrebs (15 Prozent) und Darmkrebs (12 Prozent). Doch Krebszellen können sich an jeder Stelle des Körpers entwickeln. Kein Wunder also, dass Krebs die am meisten gefürchtete Krankheit hierzulande ist, wie das Forsa-Institut im Jahr 2020 ermittelt hat – 72 Prozent der Deutschen fürchten sich vor einer Tumorerkrankung, deutlich mehr als vor Alzheimer und Demenz (55 Prozent) und Schlaganfall (51 Prozent).

Viele Patienten verbinden mit der Krebs-Diagnose Ausgeliefertsein, Hoffnungslosigkeit und Todesgefahr, obwohl die Überlebensrate in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist. Bei etwa zwei Drittel der 4,6 Millionen Betroffenen liegt die Diagnose schon fünf Jahre oder länger zurück. Doch es gibt immer wieder Rückschläge. „Wir beobachten in den vergangenen Jahren eine unerklärliche Zunahme von Darmkrebsfällen bei Patienten unter 40 Jahren, insbesondere bei jungen Frauen“, berichtet Dr. Niels Halama, Abteilungsleiter beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Wir als Forscher und Mediziner haben keine Erklärung für diese Entwicklung, zumal die betroffenen Frauen keine riskanten Merkmale in ihrem Lebensstil hatten, nicht rauchten, tranken oder übergewichtig waren.“ In diesen Fällen bleibt den Patientinnen und Patienten nur die Hoffnung, dass Ärzte bei Beschwerden möglichst bald Verdacht schöpfen und eine entsprechende Behandlung einleiten

„Die Ansätze, Impfstoffe zur Vorbeugung von Tumoren zu entwickeln, ist bisher wenig erfolgreich“, sagt Halama. Klassische Impfungen basieren auf Immunreaktionen, ausgelöst durch die Gabe von aktiven oder abgetöteten Krankheitserregern. Das funktioniert im Falle von Krebs nur bei jenen Formen, die durch Viren verursacht werden. Dazu zählen zum Beispiel Hepatits-B- und Hepatitis-C-Viren, die eine chronische Leberentzündung auslösen und damit letztlich zu Leberkrebs führen können.

Humane Papillomviren (HPV), mit denen fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens in Kontakt kommt, können bösartige Gewebeveränderungen an Gebärmutterhals, Schamlippen, Scheide, Penis, After oder im Mund-Rachen-Bereich auslösen. Ob jemand infiziert ist, lässt sich mittels Test nachweisen. Meist siegt das Immunsystem über die Viren. Trotzdem empfehlen Mediziner, dass sich Mädchen möglichst früh gegen HPV impfen lassen, um Gebärmutterhalskrebs, die häufigste Erkrankung aufgrund von HPV, zu verhindern.

Zu Hoffnungen berechtigen jüngste Erfolge bei der Behandlung von bösartigen Geschwulsten mittels Impfungen. „Grundprinzip hierbei ist, dass für Erkrankte maßgeschneiderte Immun-Therapien entwickelt werden, die nur gegen den Tumor wirken, nicht gegen den Rest des Körpers“, so Halama. „Hierfür gelten zwei Voraussetzungen – ein Tumor muss erreichbar und seine Erbgutveränderungen müssen identifizierbar sein.“ Bekannt geworden sind Forschungen in dieser Richtung durch das Unternehmen Biontech. Dort wurde vor der Entwicklung des Covid-Impfstoffs zur mRNA-Technik bei der Krebsbekämpfung geforscht. Mittels mRNA-Technik erhält der Körper den Bauplan einer Krebszelle und lernt, sie zu bekämpfen. Ob diese Technik letztlich erfolgreich in der Behandlung eingesetzt werden kann, wird gerade erprobt. Gerade haben die ersten Patienten den Biontech-Impfstoff gegen schwarzen Hautkrebs, das bösartige Melanom, erhalten.

Schon seit Jahren forscht Dr. Theresa Bunse gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen am Deutschen Krebsforschungszentrum, wie das Immunsystem bei der Abwehr seltener Hirntumore, sogenannter Gliome, helfen kann, indem es das Wachstum von Hirntumorzellen blockiert. Für ihre Arbeit erhielt Bunse bereits 2016 den internationalen „Bayer Early Excellence in Science Award“, mit dem die Bayer Stiftung jährlich herausragende Nachwuchswissenschaftler auszeichnet. „Die Hoffnung, Patienten, die an einem der bösartigsten Hirntumoren überhaupt leiden, durch meine Arbeit eine neue Behandlungsmöglichkeit bieten zu können, ist für mich ein großer Ansporn“, erklärte die Nachwuchswissenschaftlerin.

Das Beispiel zeigt, wie langwierig diese Forschungsprojekte sind. Aktuell wird der Impfstoff, der das Immunsystem von Patienten auf ein mutiertes Protein – ein sogenanntes Neoepitop – im Gehirn lenkt, in einer klinischen Studie von Medizinern und Krebsforschern aus Heidelberg und Mannheim erprobt. Patienten können jetzt Hoffnung schöpfen. Die Impfung wirkt tatsächlich gegen das mutierte Eiweiß IDH1. „Das heißt, mit einer Impfung gegen das mutierte Protein packen wir das Problem an der Wurzel“, erklärt Studienleiter Michael Platten, Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mannheim und Abteilungsleiter im Deutschen Krebsforschungszentrum. Viele der Geimpften hatten eine große Zahl von T-Helferzellen im Blut, die auf das Impfpeptid reagierten.

„Außerdem konnten wir nachweisen, dass die aktivierten mutationsspezifischen Immunzellen in das Hirntumorgewebe eingewandert sind“, berichtet Theresa Bunse, die die immunologischen Analysen für diese Studien koordinierte. Der Erfolg: 84 Prozent der vollständig Geimpften lebten noch drei Jahre nach der Behandlung, bei 63 Prozent wuchs der Tumor nicht weiter. In einer Folgestudie wird das Vakzin in Kombination mit weiteren Immunstimulanzien erprobt, sogenannten Checkpoint-Inhibitoren.

Generell ist die Aktivierung des körpereigenen Immunsystems gegen die unterschiedlichsten Molesten hilfreich, nicht nur gegen Krebs. Doch der menschliche Organismus birgt noch viele Geheimnisse und Überraschungen. So fragte schon der französische Philosoph Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert: „Weiß man denn, was einen gesund gemacht hat? Die Heilkunst, das Schicksal, der Zufall oder Omas Gebet?“ Als hätte es Montaigne geahnt – zufällig stellte sich heraus, dass der seit langem bekannte Wirkstoff Mebendazol, enthalten in Mitteln gegen Würmer bei Mensch und Tier, ebenfalls gegen verschiedene Tumore wirkt – in einigen Fällen deutlich besser als die bisher bevorzugten Anti-Krebs-Medikamente.

Mebendazol soll sogar die Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs verhindern und bereits bestehende Krebsherde „aushungern“ können, wie Forscher der Johns Hopkins Universität in Baltimore aufgrund von Versuchen mit Mäusen berichteten. Ebenfalls wirksam gegen Tumorzellen erwies sich bei einer Schweizer Studie eine eher zufällige Kombination aus einem Diabetes-Medikament und einem Blutdrucksenker. Der ewige Skeptiker Montaigne hätte seine Freude.

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