Kritischer Konsum

Die Klimakrise zwingt uns zu schnellem Handeln, aber ein radikaler Kurs- wechsel ist anspruchsvoll. Er kann nur dann gelingen, wenn wir unser Konsumverhalten hinterfragen und dabei Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammendenken.
Illustration: Carina Crenshaw
Illustration: Carina Crenshaw
Domitila Barros Redaktion

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und das Pariser Klimaabkommen fordern einen weltweiten Wandel von Wirtschafts- und Lebensweisen – und das vollkommen zu Recht. Wie dramatisch die Lage inzwischen ist, gibt uns unter anderem der sogenannte ökologische Fußabdruck an, den wir Menschen auf dem Planeten Erde hinterlassen. Darunter versteht man die biologisch produktive Fläche, die uns Menschen zur Verfügung steht, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten. Minus 1,7 betrug dieser Wert im Jahr 2019 – bezogen auf die gesamte Weltbevölkerung. Betrachtet man westliche Industrieländer wie Deutschland isoliert, kommt man auf Werte von minus 5.


Das heißt, wir wirtschaften mit einem ökologischen Defizit. Wir hätten eigentlich 1,7 Erden gebraucht (Deutschland alleine 5!), um nachhaltig mit unseren natürlichen Ressourcen umzugehen. Oder, wenn wir unseren Ressourcenbedarf auf ein Jahr umrechnen: Bereits nach rund sieben Monaten wären wir auf null, hätten also eigentlich keine Reserven mehr. Für den 22. August definiert der Thinktank Global Footprint Network für 2021 diesen Moment, auch Earth Overshoot Day (Erdüberlastungstag) genannt. Bis zum Jahresende werden wir Raubbau an unserem Planeten betreiben!


Das hat Folgen: Die globalen Entwicklungen der jüngsten Zeit, die Covid-19-Pandemie, die Klimakrise und soziale Bewegungen haben uns vor große Herausforderungen gestellt und gezeigt, wie schlecht wir mit solch komplexen und letztlich systemischen Risiken umgehen können. Wir müssen also handeln – und zwar jetzt. Sie werden vielleicht sagen: Das hören wir doch schon seit Jahrzehnten. Stimmt, auch ich bin mit den Konsequenzen nicht nachhaltigen Konsums aufgewachsen und mit Slogans wie „die Zukunft ist jetzt“. Aber wir sollten dieses Jetzt auch mit Leben füllen. Uns nicht nur ständig ambitionierte Ziele vor Augen halten, sondern uns auf Strategien konzentrieren, die uns diesen Zielen tatsächlich näher bringen.


Schaffen werden wir das nur mit einem ganzheitlichen Blick. So wie es auch die Vereinten Nationen mit ihrem Dreisäulen-Prinzip propagieren. Nachhaltige Entwicklung, so die UN, könne nur dann erreicht werden, wenn man die ökonomische, ökologische und soziale Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft sicherstellt. Ökologie, Ökonomie und Soziales müssen also zusammenspielen. Mithilfe der drei Säulen werden globale Zusammenhänge erkannt und Privilegien in unserer Gesellschaft bewusst wahrgenommen.


Ein Schlüssel für mich hierbei ist fairer Handel und kritischer Konsum. Denn unser Konsum ist es, der Tatsachen schafft, mit dem wir Tag für Tag oft unbewusst Entscheidungen treffen, was wir unterstützen und was nicht. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Chance bewusst werden. Oder, um es mit den Worten der US-Autorin und Nachhaltigkeitsaktivistin Anna Lappé zu sagen: „Jedes Mal, wenn wir Geld ausgeben, stimmen wir ab über die Welt, in der wir leben möchten.“ Fairer Handel wiederum leistet einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung, indem er bessere Handelsbedingungen bietet und die Rechte benachteiligter Produzenten und Arbeiter, speziell in den Ländern des Globalen Südens, sichert.


Ich selbst bin in Recife, Brasilien, aufgewachsen, in einer Favela namens „linha do tiro“ („Schusslinie“), zwischen Gewalt und Armut, Verzweiflung und Drogenkriegen. Schulen, Spielplätze oder Krankenhäuser gibt es dort nicht – dafür umso mehr Müll, besonders ausgemusterte Elektronikteile. Nach wie vor werden nur rund 17 Prozent des weltweiten Elektroschrotts ordnungsgemäß recycelt, wie der Global E-waste Report für das Jahr 2019 ermittelte. Ich weiß also, was es heißt, unter den schwierigen Bedingungen leben und arbeiten zu müssen, die leider noch in vielen Regionen des Globalen Südens herrschen.


Doch ich hatte Glück. Im Jahr 2000 wurde ich für die Mitarbeit in einem Projekt für Straßenkinder, das meine Eltern gegründet hatten, von den Vereinten Nationen als „Millenium Dreamer“ ausgezeichnet. Das hat mir den Impuls und die Kraft gegeben, auch andere Menschen zu motivieren, selbst mit begrenzten Mitteln etwas zu bewegen. Im Jahr 2015 durfte ich, zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung, die Kriegsgebiete im Nahen Osten besuchen. Insbesondere die Kontakte zu den Frauen vor Ort haben mir gezeigt: Wenn wir etwas in der Welt ändern wollen, müssen wir zusammenhalten. Uns gegenseitig verstehen, respektieren und unterstützen.


Als ich vor vier Jahren die Idee hatte, eine Schmuck- und Modefirma zu gründen, die auf nachhaltigen Rohstoffen und Produktionsbedingungen basiert, war es mir deshalb wichtig, wieder mit Menschen in Recife zusammenzuarbeiten. Meine Mitarbeiterinnen sind alleinerziehende Frauen aus „linha de tiro“, denen ich faire Arbeitsbedingungen, Anerkennung, Unabhängigkeit und oft auch Schutz vor häuslicher Gewalt biete. Hier in Deutschland berate ich Unternehmen zu den Themen Nachhaltigkeit und fairer Handel.


Ohnehin steht Nachhaltigkeit schon längst ganz oben auf der Prioritätenliste von Unternehmen. Nicht Gesetze, sondern die pure Kraft der Konsumentinnen und Konsumenten haben sie zum Umlenken bewegt. Schließlich sind wir alle es, die mit bewussten und kritischen Konsumentscheidungen Trends wie nachhaltige Mode, Clean Beauty, nachhaltige Technik, nachhaltiges Zusammenleben, Car-Sharing, Co-Living angeschoben und dafür gesorgt haben, dass Konzepte wie Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft keine Fremdwörter mehr sind, sondern nach und nach zum Mainstream werden.


Nun haben Unternehmen ihre eigene Perspektive, verfolgen mit der Implementierung nachhaltiger Konzepte ja oft selbst strategische Ziele, etwa die Sicherung der eigenen Reputation. Gerade deshalb ist es aber auch wichtig, über Reputationsaspekte hinauszublicken und zu beginnen, Nachhaltigkeit als langfristige Aufgabe zu akzeptieren. Nur Unternehmen, die langfristig nachhaltige Praktiken umgesetzten, werden Erfolg haben. Dazu benötigen wir neue Key Performance Indicators, die Langzeiterfolg messen, statt lediglich kurzfristige Erfolge abzubilden. Die Wirtschaft muss sich endlich ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung bewusst werden. Dann kann auch die Synergie von Ökologie, Ökonomie und Sozialem gelingen.

Nächster Artikel
Lifestyle
Dezember 2023
Illustration: Cristian Chiscari
Redaktion

»Mama, was ist Klimawandel?«

Nicht jede Kinderfrage ist leicht zu beantworten. Wie Eltern aus dem Zwiespalt kommen, ihre Kinder ehrlich über den Zustand des Planeten aufzuklären und gleichzeitig ein Gefühl von Geborgenheit aufrechterhalten.